Bottrop/New York. Vor 50 Jahren: Die halbe Welt schaute zu und in Bottrop klingelten rechtzeitig die Wecker. Erinnerungen an den Kampf zwischen Ali und Frazier.

Es war der Kampf des Jahrhunderts – und Bottrop fieberte mit. 300 Millionen Menschen sahen auf der Welt dem Boxkampf zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier vor 50 Jahren im Madison Square Garden in New York zu, etliche davon in der Nacht zum 9. März 1971 auch in Bottrop. „Ich kenne viele in meiner Altersgruppe, die das geguckt haben“, sagt Klaus-Wilhelm Beyhoff (65), der Inhaber des Möbelhauses. „Das war eine tolle Zeit damals.“ Auch Reinhard Wieczorek (67), Künstler in Grafenwald, klingt begeistert: „Das war interessant. Ali war ja der Superstar und unsere ganze Clique hat das angeschaut.“

Ein halbes Dutzend großer Kämpfe gab es in den 70er-Jahren mit Muhammad Ali, in der besten Sendezeit in den USA und tief in der deutschen Nacht. Legendär sind noch ein weiteres Duell mit Frazier 1974 auf den Philippinen („Thrilla in Manila“) und Alis Sieg über George Foreman in Kinshasa/Kongo („Rumble in the jungle“). „Das waren Kämpfe, die wurden mit Begeisterung geguckt“, erinnert sich der frühere Fußballprofi Fred Bockholt (77). „Selbstverständlich bist du da um drei, halb vier Uhraufgestanden.“ Für den sportbegeisterten Bockholt, damals Torwart von Rot-Weiss Essen, war klar: „Ali war ‘ne Institution, da musstest du gucken. Da gab es nichts anderes. Du hattest später diese Schlägertypen, aber Ali war von der Technik her, von der Bewegung, der Koordination und seiner Beinarbeit für einen Schwergewichtler außergewöhnlich.“

Parallelen zu Dieter Renz

Wenig überraschend war auch Freddy Bonk (77), einer der großen Bottroper Boxer der 60er Jahre, ein Ali-Fan: „Ich habe mir die Kämpfe immer angesehen und vor allem den Stil von Ali. Mit Distanz zum Gegner und langen Armen, den Oberkörper nach hinten ausgependelt und schwer zu treffen – so hat auch unser Dieter Renz geboxt.“ Renz war der beste der Bottroper Faustkämpfer und Teilnehmer an den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko; nach ihm ist die große Sporthalle benannt. Der Name Ali habe ihn elektrisiert, schwärmt Bonk: „In der Kneipe bei Hölscher in der Welheimer Mark habe ich 1960 das Olympiafinale gesehen. Da sah man schon, was für ein Herz der hat. Mein Gott, was ist das für ein Boxer.“

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1971 ist Ali, der seine Karriere unter dem Namen Cassius Clay begonnen hatte, wie Frazier als Profi noch ungeschlagen. Frazier ist Weltmeister, Ali war der Titel nach seiner Kriegsdienstverweigerung 1968 aberkannt worden. Mit je 2,5 Millionen Dollar Gage für die Kontrahenten wird ein neuer Rekord aufgestellt (der alte lag damals bei 1,4 Millionen für Floyd Patterson, ebenfalls einen Boxer) und es ist nicht nur wegen der finanziellen Dimension der erste große Schritt des Sports in Richtung Showgeschäft.

In der Halle in New York tummelten sich unter 20.5000 Zuschauern Hollywoodstars, Literaten, Sänger wie Bob Dylan und die größten Gangsterbosse der Stadt; die Eintrittsgelder summierten sich auf 1,3 Millionen Dollar.

Das weckte auch die Neugier in Bottrop. „Unglaublich: Wir Deutsche stehen für zwei Amerikaner auf“, sagt Klaus-Wilhelm Beyhoff. Wie bei Fred Bockholt („Meine Frau hat gesagt, man sei verrückt, dafür aufzustehen.“) hörte auch bei Familie Beyhoff nicht jeder auf das Schellen des Weckers: „Mein Vater hat gesagt, dafür stehe ich nicht auf in der Nacht, meine Mutter und ich aber – wie bei der Mondlandung.“ Auch der Bottroper Unternehmer ist von dem Boxer aus Louisville in Kentucky, der 2016 im Alter von 74 Jahren verstarb, fasziniert: „Der war ja schon spektakulär mit seinem Ali-Shuffle und wie er seine Gegner ausgetanzt hat. Es gab keinen, der so geboxt hat.“ Und Beyhoff erinnert sich an noch eine Eigenart: „Ali war der Erste, der immer böse geguckt und die Gegner gereizt und vielleicht auch beleidigt hat.“

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In seinem Kampf gegen Joe Frazier vor 50 Jahren hilft ihm das nicht. Es ist ein temporeiches, großartiges Duell, das Frazier nach Punkten gewinnt. „Ali hat das einfach zu leicht genommen,“ urteilt Freddy Bonk, der zweimal in der Nationalstaffel der Bundesrepublik Deutschland boxte. Fred Bockholt erinnert sich sogar an ein Detail: „Ist der Ali da nicht zu Boden gegangen?“ In der 15. und letzten Runde streckte ihn ein linker Haken von Frazier nieder. Dennoch findet Bonk: „Ich kann mich noch daran erinnern. Das Urteil war ein Skandal.“

Ähnliches sagte auch Muhammed Ali am Morgen nach dem Kampf, als er ein Fernsehteam im Bett seines Hotelzimmers empfing: „Ich finde, dass ich gewonnen habe. Ich habe dreimal so häufig getroffen.“ Der elegante Boxer bezeichnete sich gerne selbst als den Größten und – sehr zutreffend – als Großmaul. Doch weil er dabei meist lachte oder lächelte, nahm ihm das kaum jemand krumm.

„Ich fand ihn sympathisch“, erklärt Reinhard Wieczorek, dem dieser Kampfsport eigentlich nicht gefiel: „Mein Vater hat mich mal in die Berufsschule zum Boxen mitgenommen. Das fand ich sehr ekelhaft, denn die haben alle geblutet wie die Schweine.“ Es gibt viele Menschen, die dem nichts abgewinnen können, wenn sich zwei Sportler ins Gesicht schlagen, aus nachvollziehbaren Gründen.

Bernd Tischler schaut lieber Fußball

So hat der Kirchhellener Zahnarzt Jürgen von der Gathen die Ergebnisse immer nur der Zeitung entnommen, Kabarettist Ludger Stratmann (72) war gar nicht interessiert, anders als seine Frau Brigitte. Sie berichtet: „Ich hab‘ das immer geguckt und einmal haben mich die Arbeitskollegen deswegen hochgenommen. Da hatte ich eine allergische Reaktion auf Kosmetika und die Augen etwas zugeschwollen. Da fragten alle, ob ich in der Nacht mitgeboxt hätte.“

Auch Oberbürgermeister Bernd Tischler (61) hat sich fürs Boxen nicht interessiert, sondern hauptsächlich für Fußball. Da unterscheidet sich der Sozialdemokrat diametral von einem großen Parteigenossen. Willy Brandt, Bundeskanzler 1971, sagte beim Besuch eines Balls des Sports mal dem ZDF:„Ich war ganz schlecht im Fußball, doch nicht im Boxen.“ Als Gymnasiast in Lübeck hatte Brandt nämlich eine Zeit lang geboxt. Entsprechend gespannt war er dann auch im März vor 50 Jahren auf diesen Meilenstein der Sportgeschichte. In dem Hotel in München, in dem er sich damals gerade aufhielt, ließ sich der Bundeskanzler nachts zum Fernsehgucken wecken.

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