Essen. Am 8. März 1971 stieg das bis dahin weltweit größte Box-Spektakel. Joe Frazier bezwang Muhammad Ali – den nicht nur selbst ernannten Größten

Für dieses Sportereignis der Superlative verzichtet selbst der Bundeskanzler auf Schlaf. Willy Brandt lässt sich im Münchener Hotel „Bayerischer Hof“, wo er sich gerade aufhält, um kurz nach vier Uhr wecken für einen Boxkampf, der dem Veranstalter 20 Millionen Dollar Einnahmen beschert, so viel wie nie zuvor ein einzelner sportlicher Wettkampf. Der Kanzler versteht etwas vom Faustkampf, er hat selbst in seiner Schulzeit ein wenig geboxt.

Im Madison Square Garden im New Yorker Stadtteil Manhattan steigt in der deutschen Nacht das Duell zweier ungeschlagener Weltmeister – Joe Frazier und Muhammad Ali. Frazier tritt als Titelverteidiger an, Ali hat seinen Titel nicht im Boxring eingebüßt, sondern durch eine Entscheidung des Verbandes, nachdem er 1967 wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt worden war.

Ihr Duell vor 50 Jahren, am 8. März 1971, wird ein brillanter Kampf, den auf der Welt 300 Millionen Menschen im Fernsehen sehen.

Frazier gegen Ali: Das Duell zweier Unbesiegter

„Es ist auf jeden Fall einer der größten Kämpfe überhaupt“, findet heute Henry Maske, der berühmteste deutsche Boxer der letzten Jahrzehnte, wie die beiden Widersacher von 1971 selbst Olympiasieger und in den 90er-Jahren auch Weltmeister (im Halbschwergewicht). „Alle waren beeindruckt vom fürs Schwergewicht sehr hohen Tempo über 15 Runden.“ Wegen der Qualität des Kampfes und der Konstellation vorher sprechen viele Box-Experten vom „Kampf des Jahrhunderts“. Bis heute.

Beide Widersacher sind bis dahin unbesiegt, auf der einen Seite der präzise Schläger Frazier, auf der anderen der tänzelnde Ästhet Ali, der stille Bibelleser gegen den lauten Muslim, der biedere Patriot gegen den rebellischen Gegner des Vietnamkrieges. Ali, der unter seinem ursprünglichen Namen Cassius Clay 1964 Weltmeister wurde und danach zum Islam konvertierte, ist zwar ein Großmaul, aber auch ein charismatischer, umgänglicher Typ.

Mit der Frage: „Wer ist der Champion der Welt?“ animiert er auf offener Straße und vor laufender Kamera immer wieder Menschen zu Jubelarien auf ihn – und er lässt gerne mit sich reden. Weil das ZDF vier Wochen vor dem Kampf die von Alis Management geforderten 12.000 D-Mark für ein Interview sparen möchte, klopft Reporter Helmut Bendt einfach an Alis Tür im 14. Stock des Octagon Towers Hotels in Miami. Der Weltstar gewährt das Interview umsonst und rührt dabei die Werbetrommel.

Ali der selbst ernannte "Größte aller Zeiten"

Lässig auf der Couch sitzend gibt der selbst ernannte „Größte aller Zeiten“ zu Protokoll: „Ob ich gewinne, hängt von Allah ab. Keiner glaubt, dass ich Joe Frazier nicht schlage.“ Er werde „der erste Farbige auf dem Mond“ sein, erläutert Ali dem deutschen Fernsehpublikum seine weiteren Ziele, dann auch „der Meister des Universums“.

Das kannte man bis dahin nicht: Der große Muhammad Ali geht geht in der 15. Runde zu Boden. Er wird angezählt – und steht wieder auf.
Das kannte man bis dahin nicht: Der große Muhammad Ali geht geht in der 15. Runde zu Boden. Er wird angezählt – und steht wieder auf. © dpa

Als Bendt sich aber erkundigt, was denn im Falle eine Niederlage passiere, fährt der Boxer aus der Haut, vermutlich mehr der Folklore willen als aus Verärgerung. „Ich und verlieren? Völlig unmöglich. Ich werde Joe Frazier zusammenschlagen.“ Ali poltert richtig los: „Sie bringen mich auf die Palme, wenn Sie mich so etwas fragen.“ Dann steht er auf, fuchtelt mit dem Finger und wirft den Journalisten raus: „Was fällt Ihnen ein, so gut über Frazier zu reden. Hauen Sie ab! Ich bin schließlich der wahre Weltmeister!“

Der Rummel um den Boxkampf ist so groß, dass von der vielen Prominenz im Madison Square Garden nur die drei Astronauten, die kurz zuvor die Mission Apollo 14 beendet haben, namentlich begrüßt werden: Alan Shepard, Stuart Roosa und Edgar Mitchell. Frank Sinatra, Bob Dylan, Sammy Davis Jr., Burt Lancaster und Norman Mailer bleiben unerwähnt unter den 20.500 Zuschauern, die fast 1,5 Million Dollar Eintritt bezahlen.

Kein Konfetti, keine Nebelmaschine

In den USA wird das Spektakel nicht im Fernsehen gezeigt, die Lizenzrechte bringen sechs Millionen Dollar für exklusive Übertragungen in Kinos und Hallen ein; manches Kinoticket kostet tausend Dollar.

An diesem Montagabend im März 1971 gibt es im Madison Square Garden weder Einlaufmusik noch Nebelmaschinen, kein Konfetti, keine durchschrittenen Triumphbögen. Die Gegner schälen sich aus ihren Bademänteln, und los geht es. Weltmeister Joe Frazier in grüner Hose mit goldenen Streifen, Herausforderer Ali in Rot und Weiß.

Pulitzer-Preisträger Norman Mailer, als Journalist akkreditiert, wird nachher sagen: „His legs are gone“, Alis begnadete Beinarbeit ist Vergangenheit. Kein Tänzeln mehr wie früher, Muhammad Ali steht oft am Ringseil und steckt viele Körpertreffer ein. Immer wieder aber schüttelt er den Kopf in Richtung Publikum, um zu demonstrieren, die Treffer seien nicht schlimm. Auch Frazier interagiert mit den Zuschauern, tut so, als lache er seinen Gegner aus.

Ali muss schwere Treffer hinnehmen

Unglaubliche je 2,5 Millionen Dollar Gage kassieren die beiden Boxer vorher – Rekordbörse. Und die Männer sind ihr Geld wert. Mit linken Haken lässt Frazier seinen Herausforderer in der elften Runde wackeln und in der 15. Runde zu Boden gehen. Ali richtet sich zwar wieder auf, doch Frazier gewinnt knapp nach Punkten. „Es war für alle Zuschauer total beeindruckend, dass sich da zwei gegenüberstehen, die zu Recht gewinnen dürfen,“ analysiert Henry Maske. Damals war der Brandenburger sieben Jahre alt und boxte bereits, die Szenen von Ali-Kämpfen aus dem Westfernsehen wirken noch heute nach: „Wie Ali mit dem Gegner umgeht, wie er ihn selektiert, das war für mich immer ein ehrfürchtiger Anblick.“

Dass Ali nach dem letzten Niederschlag, einem linken Haken ans Kinn, bei Drei schon wieder auf den Beinen ist, bringt ihm viel Respekt ein. Am nächsten Morgen empfängt er ein Kamerateam ohne gravierende Verletzung im Hotelbett und zweifelt die Entscheidung der Ringrichter an: „Ich denke, ich habe nach Punkten gewonnen. Schauen sie sein Gesicht an und meins! Ich bin sicher, dass ich ihn dreimal häufiger getroffen habe.“ Tatsächlich ist Frazier schlimmer gezeichnet. „Smoking Joe“ bleibt noch zwei Jahre Weltmeister, bevor er von George Foreman abgelöst wird.

Muhammad Ali erkrankte schwer an Parkinson, er starb 2016 im Alter von 74 Jahren. Joe Frazier war bereits 2011 gestorben, er wurde nur 67 Jahre alt. Auf der Beerdigung spendete Ali ihm Beifall.