Wattenscheid. Alleine auf der Bank: Marvin Schurig bekam nicht den erhofften Abschied von Wattenscheid 09. Er spricht über Britscho, Lerche, Fehler - und seine Zukunft.
In seinem letzten Spiel für den Fußball-Oberligisten SG Wattenscheid 09 saß Marvin Schurig (35) auf der Bank und blieb dort auch sitzen, als die Mannschaft die letzten Sekunden der Partie gegen den 1. FC Gievenbeck (1:3) Arm in Arm am Spielfeldrand verfolgte. Im Team stieß die Entscheidung, den früheren Kapitän auf der Bank zu lassen und ihm damit einen ordentlichen Abschied nach vier Jahren zu verwehren, auf Unverständnis.
„Das ist meiner Meinung nach misslungen, dass Schu nicht den Abschied bekommen hat, den er verdient hat“, sagte etwa Stürmer Felix Casalino, der den ehemaligen Bundesligisten ebenfalls verlassen hat. Nach dem letzten Spiel sprachen wir mit Marvin Schurig.
Herr Schurig, wie war Ihr letztes Spiel für Wattenscheid 09?
Marvin Schurig: Nicht so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich gern gespielt hätte. Das durfte ich nicht, und deswegen bin ich auch enttäuscht. Nach vier Jahren habe ich so etwas schließlich nicht verdient. Aber diese eine Erfahrung zum Schluss macht das viele Positive aus den vergangenen vier Jahren nicht kaputt. Es kamen sehr viele Fans und Spieler zu mir die sich für die Zeit bedankt haben. Ich kann das nur zurückgeben.
Sie saßen auf der Bank, was ging Ihnen durch den Kopf?
Vieles aus den vier Jahren, aber vor allem der 6. Juni 2022. Da sind wir aufgestiegen, und diesen Tag werde ich immer in Erinnerung behalten. Darauf werde ich immer wieder Mal angesprochen. Ich war einfach gedankenverloren, habe an die Jahre gedacht, an die Corona-Zeit, an Trainingslager, die wir hatten, den Aufstieg. Da waren viele Situationen in meinem Kopf.
Wattenscheid 09: Schurig ist Ex-Trainer Britscho sehr dankbar
Auch Personen?
Ja. An meine Familie, die mich immer begleitet, an die Stimmung der Fans, Leute aus dem Medienteam, an Manno Olivieri, der sich um viele Belange der Spieler gekümmert hat. Natürlich auch Christian Britscho (Ex-Trainer, Anm. d. Red.). Ich bin mit ihm in Ahlen aufgestiegen, und eigentlich hätte ich dort bleiben und in der Regionalliga spielen können. Aber er hat mich auf die SG Wattenscheid 09 angesprochen und mich vom Projekt zum Glück überzeugt.
Zum Glück?
Ja, das war die richtige Entscheidung. Ich bin Christian Britscho dafür sehr dankbar. Er hatte die Fähigkeit, die Mannschaft zu formen, hat sich immer vor uns gestellt. Klar, auch unter ihm hat es Grüppchen gegeben, das ist bei so einer großen Gruppe völlig normal. Aber er hat die Stimmung hochgehalten, hat für Spaß gesorgt und so die Mannschaft zusammengehalten.
Nach dem letzten Spiel waren Sie allein. Wie haben Sie sich dann gefühlt?
Da war ich immer noch gedankenverloren. Natürlich hatte ich auch vier Jahre zu verarbeiten. Aber das war gut, denn so konnte ich den Tag verdrängen. Für mich ist deshalb klar, dass ich Wattenscheid 09 immer im Herzen tragen werde. Ich war gerne Kapitän, aber ich weiß auch, dass wir nicht alles richtig gemacht haben. Nur: Wer macht das schon?
Was war denn nicht richtig?
Das ist vielschichtig und schwer zu beziffern, wann was hätte anders laufen können. Im Corona-Jahr hatten wir nur neun Spiele, in der Saison danach ging vieles in die richtige Richtung. Nach dem Regionalliga-Aufstieg hatten wir allerdings eine unfassbar kurze Zeit der Regeneration. Und mit Saisonbeginn haben wir direkt Lehrgeld bezahlt. Da fing es an, dass wir individuelle Fehler machten und so die notwendigen PS nie auf die Straße bringen konnten. Und das hat sich leider durch die gesamte Saison gezogen.
„Es ist wichtig, dass der Verein weiterlebt und sportlich erfolgreich ist“
War die Regionalliga-Saison der sportliche Bruch?
Das würde ich so nicht sagen. Natürlich darf man nicht vergessen, wie stark die Regionalliga ist. Wir haben durchweg gegen Profis gespielt. Daher muss man das Ganze auch vernünftig einordnen. Aber rückblickend hast du dir immer halt die Frage gestellt, was man hätte besser machen können.
Eine Phase der Ruhe hatten Sie in Wattenscheid offenbar nie. Hand aufs Herz: Sind Sie auch ein bisschen froh, dass das Kapitel abgeschlossen ist?
Zumindest gehe ich mit dem guten Gefühl, dass wir die vergangene Saison gut abgeschlossen haben. Denn es ist wichtig, dass der Verein weiterlebt und sportlich erfolgreich ist. Zwei Abstiege in Folge hätten sich schlecht angefühlt, zumal wir vor einem Jahr eine andere Vorstellung davon hatten, wie die Saison ausgehen soll. Es ist eine Erleichterung, dass wir den Klassenerhalt geschafft haben.
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Lob für Winter-Abgänge Lerche und Cirillo
Wie kann man die Stimmung während der Saison beschreiben?
Auch wenn die Situation bedrückend war, war die Stimmung in der Kabine gut, auch wenn wir eine Zeit lang nur vier Punkte hatten. Aber uns war immer klar, dass wir noch viele Spiele vor der Brust haben werden. Und wir wussten, dass wir Qualität haben, ich denke da an Dennis Lerche und Marco Cirillo. Unser Problem bestand meist in den Köpfen.
Lerche und Cirillo sind aber im Winter gegangen.
Stimmt, und ich finde es immer noch sehr schade, dass beide gehen mussten. Ich habe zu beiden noch Kontakt, vor allem zu Dennis Lerche.
Es hieß, die Mannschaft das nicht gar schlimm fand, dass Lerche gehen musste.
Spannend zu hören, aber das war überhaupt nicht so. Dennis kam innerhalb der Mannschaft sehr gut an. Er sieht zwar riesig groß aus, hat aber einen sehr weichen Kern. Er ist ein spezieller Mensch, das stimmt zwar, aber ich glaube zu wissen, wie man mit Menschen wie ihm umzugehen hat. Sonst würde ich nicht wissen, dass Dennis einen sehr weichen Kern besitzt. Nicht umsonst betitelt er mich immer wieder mal als seinen persönlichen Mentor.
Zweikämpfe mit Lerche waren auch mal grenzwertig
Es wurde erzählt, er habe im Training einen Mitspieler geschlagen.
Das ist nicht korrekt.
Wie kommt man denn darauf, das zu erzählen?
Das weiß ich nicht, ich habe so etwas jedenfalls nie mitbekommen oder gesehen. Man darf nicht vergessen, dass Fußball ein körperbetontes Spiel ist. Und das es im Training auch mal zur Sache geht, ist völlig normal. Was meinen Sie, wie viele Zweikämpfe Dennis und ich schon im Training hatten, die auch mal grenzwertig waren. Dass da auch mal ein Ellenbogen unabsichtlich im Gesicht landet, kann passieren. Unsere Arme kleben schließlich nicht am Körper. Da regt man sich kurz auf, gibt sich die Hand und spielt weiter Fußball. Selbstverständlich entstehen mal Reibereien, aber Reibung erzeugt bekanntermaßen Wärme. Wir haben heute immer noch einen engen Kontakt und telefonieren fast täglich.
Trotzdem war viel Unruhe im Verein. Klingt fast wie auf Schalke.
Ja, stimmt. Aber ich hoffe jetzt, dass sich in Wartenscheid eine neue Kraft entwickelt, damit der Verein viele kleine Schritte in die Richtung gehen kann. Das wünsche ich mir für diesen Verein. Vor allem, dass es in Zukunft überwiegend positive Schlagzeilen gibt.
War der viel zitierte neue Wattenscheider Weg einer, den Sie begrüßt haben?
Ja, absolut. Es ist immer noch so, dass die Spieler nicht nur von diesem Gehalt alleine leben können. Das ist auch richtig so. Denn der Verein muss vernünftig wirtschaften.
„Ich wollte bei Wattenscheid 09 meine Karriere beenden“
Eine romantische Vorstellung.
Ja klar, bei mir ging sie ja noch ein Stück weiter. Ich wollte bei Wattenscheid 09 meine Karriere beenden. Dann hätte ich sagen können, dass ich immer für Traditionsvereine gespielt habe. Zwar nicht immer für eine Menge Geld, dafür aber in schönen Stadien mit einer tollen Fanbase. Mal gucken, was als nächstes kommt. Nochmal für so einen Verein zu spielen, wäre cool. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert.
Wo geht’s denn jetzt hin?
Weiß ich noch nicht, aber ich schaue mal, was es wird. Da wird mir mein Bauchgefühl das Richtige sagen.
Was trauen Sie sich noch zu?
Ich bin 35 Jahre alt, aber immer noch top fit. In der Oberliga kann ich definitiv immer noch locker mithalten und bringe auch eine Menge Erfahrung mit. Und wenn ein ambitionierter Verein kommt, der die Oberliga als Ziel hat, dann höre ich mir das auch gerne an. Wenn man in dem Alter noch gut spielen möchte, muss man sich vernünftig ernähren, gut ausruhen und sich drumherum mit Sport fit halten, was ich auch regelmäßig tue. Aber man darf auch nicht vergessen, dass mein Beruf auch im Vordergrund steht.
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Ja, stimmt (lacht).
Aber?
Es hat noch niemand angerufen.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
Es ist keine Überraschung, dass die Gesundheit meiner Familie und mir über allem steht. Meine Verlobte und ich heiraten im Winter, wir haben uns außerdem ein Haus gekauft. Wir haben noch eine Menge an großen und kleinen Entscheidungen zu treffen. Da wünsche ich uns viel Erfolg dabei (lacht). Aber das ist ja ein positiver Stress.
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Und sportlich?
Da wünsche ich mir noch viele schöne Spiele oder auch Dinge zu erleben, die man nicht vergisst. Jürgen Klopp sagte einmal: „Es ist nicht wichtig, was die Leute von dir denken, wenn du in einen neuen Verein kommst, sondern was sie von dir halten, wenn du gehst“. Ich möchte auf jeden Fall noch so lange aktiv Fußball spielen, solange es mir Spaß macht und ich gesund bleibe. Und wenn die Zeit dann reif ist und ich aufhören sollte zu spielen, konzentriere ich mich auf die Trainer-Laufbahn.
Und vorher noch ein richtiges Spiel zum Abschied?
Das wäre schön, ja.
Risse zwischen Schurig und Yavuzaslan
Wattenscheids Ex-Trainer Engin Yavuzaslan ist am Flughafen, als er von dieser Redaktion mit den Aussagen des früheren Kapitäns konfrontiert wird. Zwar nennt der 42-Jährige keine Details, aber seine klausulierten Formulierungen weisen deutlich darauf hin, dass zwischen ihm und Marvin Schurig tiefe Risse entstanden waren.
Zur Entscheidung, den Verteidiger in dessen letztem Spiel nach vier Jahren beim ehemaligen Bundesligisten auf der Bank sitzen zu lassen, entgegnete Yavuzaslan: „Wir mussten zehn Spieler verabschieden und konnten leider nur fünfmal wechseln. Da hat es Marvin getroffen.“ Kurz später wurde er deutlicher: „Die Entscheidung hatte definitiv Gründe. Aber die waren intern, da möchte ich nicht drauf eingehen.“
Auch die Aussage, dass Dennis Lerches Demission bei der Mannschaft nicht auf Zustimmung gestoßen war, weist der Ex-Coach zurück. „Er mag das so sehen. Aber vielleicht sollte er sich mal die Tabelle anschauen und gucken, wie wir in der Rückrunde performt haben. Und zwar ohne Dennis Lerche, und fast ohne Marvin Schurig.“
Aktuell ist Yavuzaslan ohne Verein, ein neuer Vertragsabschluss ist seiner Aussage nach nicht in Sicht. „Ich muss erstmal meine Akkus auffüllen“, betonte er auf dem Weg zu seinem Flieger in den Urlaub. Nicht unzufrieden mit dem, was er mit der SGW geschafft hatte: „Ich habe immer gesagt, dass in meiner Vita kein Abstieg stehen wird. Das ist auch weiterhin so. Aber in Wattenscheid dürfen sich gern die selbsternannten Häuptlinge fragen, warum der Verein aus der Regionalliga abgestiegen ist.“