Wattenscheid. Hartmut Fahnenstich ist neuer Sportvorstand der SG Wattenscheid 09. Er spricht über Emotionen, Teamgeist, seine Rolle, was fehlt, was Mut macht.

Seit Ende vergangener Woche steht fest: Dr. Hartmut Fahnenstich wird Sportvorstand der SG Wattenscheid 09. Der 61-Jährige war schon einmal bei der SGW, wurde Anfang 2017 entlassen. Der Sozialmediziner tritt die Nachfolge von Christian Pozo y Tamayo an, der Ende Oktober nach andauerndem Misserfolg der Mannschaft und Anfeindungen von Zuschauerinnen und Zuschauern zurückgetreten war. Wir sprachen mit dem neuen Funktionär des Westfalen-Oberligisten.

Herr Fahnenstich, in Ihrem Profilbild hält der frühere Torhüter Edin Sancaktar ein Trikot mit Ihrem Namen hoch. Erklären Sie uns das?

Hartmut Fahnenstich: Ja, gern. Das war wohl der emotionalste Moment meiner Fußball-Laufbahn. Ich bin bei Wattenscheid 09 entlassen worden, und die Mannschaft wollte mir ihren Respekt zeigen und klarmachen, dass sie hinter mir steht. Die Entlassung war für mich überhaupt nicht schön. Vor allem, weil etwas abrupt zu Ende gegangen ist, wofür ich mich lange und intensiv engagiert habe.

Der damalige Wattenscheider Torwart Edin Sancaktar verabschiedete im Februar 2017 den damals entlassenen Hartmut Fahnenstich mit einem Trikot. Für Fahnenstich der emotionalste Moment seiner Fußball-Laufbahn.
Der damalige Wattenscheider Torwart Edin Sancaktar verabschiedete im Februar 2017 den damals entlassenen Hartmut Fahnenstich mit einem Trikot. Für Fahnenstich der emotionalste Moment seiner Fußball-Laufbahn. © Thorsten Tillmann | Thorsten Tillmann

Und jetzt kehren Sie zurück. Warum?

Wenn man bei so einem Verein war und viel erlebt hat, ist so eine Anfrage etwas Besonderes. Frank Kolberg und Mano Olivieri aus dem Aufsichtsrat haben mich angerufen, damit hatte ich nicht gerechnet. Dann war sofort Hochspannung da. Aber natürlich musste ich das erst noch abklären.

Fahnenstich: Das Herz für Wattenscheid war sofort da

Wie lange mussten Sie über die Zusage nachdenken?

Das Herz war sofort da, aber das ist bei mir und Wattenscheid normal. Irgendwann habe ich dann auch den Verstand eingeschaltet. Danach habe ich nicht sofort ‚Nein‘ geschrien, aber auch nicht abgesagt. In den Tagen danach habe ich mit den verschiedenen Gremien gesprochen, wir haben uns getroffen und sind ins Detail gegangen. Dann haben wir uns füreinander entschieden.

Wie war das für Sie, dass plötzlich so viele Entscheidungsträger beteiligt waren?

Ich würde das alles nicht so schwarz und weiß malen. Klar, es war eine unruhige Zeit: Da ist auch mal eine Mülltonne nach dem Sportvorstand geschmissen worden und wir mussten die Mannschaft über drei Wochen mit Nudeln und Cornflakes bezahlen. Aber man darf sich das auch nicht vorstellen wie den Wilden Westen. Jetzt ist es schön, dass einiges geordnet ist. Aber ein paar Dinge von früher, die jetzt nicht mehr da sind, täten dem Verein gut.

Teamgedanke ist in Wattenscheid das Besondere

Welche?

Die sportliche Fähigkeit der Spieler ist ja nicht immer der Schlüssel für den Erfolg. Das, was außerhalb passiert, ist ebenfalls wichtig. In meiner ersten Zeit in Wattenscheid war der Teamgedanke das Besondere. Ohne ins Detail gehen zu wollen: Aus der damaligen Zeit ließe sich das eine oder andere wieder implementieren.

Welche Chancen sehen Sie aktuell im Verein?

Die Grundlage, um zu arbeiten, ist sehr gut. Ich habe mich mit meinem Vorgänger Christian Pozo schon ausgetauscht, er hat mir seinen Geschäftsbereich sehr professionell übergeben. Es sind insgesamt viele Leute im Verein, die alles gut im Griff haben. Das ist gut für mich, da ich mich auf meinen Aufgabenbereich konzentrieren kann und mir die Antworten auf viele Fragen nicht mehr selber suchen muss.

Provokativ könnte man sagen, Sie haben nichts zu verlieren. Es kann nur besser werden.

Das sehe ich anders, denn wir könnten ja absteigen. Aber wir wollen in der Oberliga bleiben. In meiner bescheidenen Fußball-Karriere war ich immer in schwierigen Konstellationen, aber ich bin nie abgestiegen. Wenn ich eines Tages in Fußball-Rente gehe, dann möchte ich das gern weiter behaupten. Also: Wenn wir da stehenbleiben, wo wir sind, verlieren wir schon eine Menge. Aber ich bin mir sicher, dass es aufwärts geht. Sonst wäre ich auf dem Sofa sitzen geblieben.

Kern des Teams soll den Klassenerhalt schaffen - Neue sollen auch dazukommen

Welche eigenen Ideen bringen Sie mit?

Aktuell bin ich in der Phase der Bestandsaufnahme. Ich muss die Mannschaft erst noch spielen sehen und das auf mich wirken lassen. Wir werden den Rest der Saison mit dem Kern des Teams bestreiten. Natürlich führen wir auch Gespräche mit den Spielern und klopfen ab, wer bereit ist, den Weg weiter mitzugehen. Und klar: Wir werden auch neue Leute holen. Aber das werden wir mit Bedacht tun. Da vertrauen wir nicht auf ein Video, das jemanden zeigt, der wie Cristiano Ronaldo über den Platz rennt. Da ist mit Bildbearbeitung ja mittlerweile viel möglich.

Wie soll es also laufen?

Vergleichen Sie es ruhig mit einer Suppe. Da reichen manchmal zwei, drei Gewürze, um den richtigen Geschmack hinzubekommen. Also Spieler, die uns gezielt verstärken. Das müssen nicht zwingend gestandene Regionalliga-Spieler sein. Das dürfte finanziell gar nicht passen.

Fahnenstichs Eindrücke von Trainer und Team

Sie hatten schon Kontakt mit der Mannschaft. Wie ist Ihr Eindruck?

Am Sonntag haben wir gemeinsam gefrühstückt. Da hatte ich Gelegenheit mit den Spielern zu sprechen. Es war eine gute Sache. Ich hatte nicht den Eindruck, dass einer von ihnen pessimistisch ist. Auch der Trainer macht einen sehr engagierten Eindruck. Viele Dinge an Engin Yavuzaslan erinnern mich an Farat Toku. Es gefällt mir sehr, wie akribisch er arbeitet.

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Was könnte es bewirken, dass nun auf dieser Position Klarheit herrscht?

Trainer, Co-Trainer und Sportvorstand sind die ersten drei Ansprechpartner für die Mannschaft. Da jetzt Klarheit zu haben, ist für alle wichtig.

Ein Co-Trainer soll kommen - Fahnenstich plant perspektivisch

Welche Pläne haben Sie mit 09?

Ich bin Sportvorstand, aber ich interpretiere meine Rolle etwas anders. Mein Wunsch ist es, dass ich nah bei der Mannschaft bin. Dazu gehört, dass wir gemeinsam im Bus sitzen oder ich den Trainer am Spielfeldrand unterstütze. Wir sollten jetzt noch einen Co-Trainer holen, aber dann aufhören herumzudoktorn. Wir brauchen Punkte.

Wie weit geht denn Ihre Planung? Können Sie sich vorstellen, dass Wattenscheid 09 diesmal zu einer längerfristigen Beschäftigung wird?

Zuletzt war ich zweieinhalb Jahre in Wattenscheid, aber das kam mir vor wie zehn Jahre. Zumindest bin ich in der Zeit um so viele Jahre gealtert (lacht). Ich bin sicher nicht angekommen, um kurz aufzutauchen und direkt wieder abzuhauen. Aber im Fußball kommen viele Faktoren zusammen. Ich muss mich ja auch an gewissen Dingen messen lassen. Jetzt gerade ist sehr viel zu tun, ich bin quasi mitten im Kampfgebiet. Es wird auf Dauer mein Ziel sein, einen ehemaligen Spieler als Sportlichen Leiter zu installieren.