Wattenscheid. Die sportliche Krise sorgt bei der SG Wattenscheid 09 für immer größere Probleme. Der Sportchef geht. Das aber mit einem schlechten Gefühl.
Der Blick nach vorn war ihm gestattet, schließlich fiel der erstmals seit längerer Zeit wieder positiv aus. „Am meisten freut sich meine kleine Tochter, weil ich jetzt mehr Zeit für sie habe“, sagte Christian Pozo y Tamayo, angesprochen auf die Reaktionen auf seinen Rücktritt als Sportvorstand der SG Wattenscheid 09. Seit gestern ist der 42-Jährige nicht mehr Mitglied der Vereinsführung.
Nun hat der Ex-Funktionär diese Entscheidung aber nicht aus familiären Gründen getroffen. Sein Umfeld kannte diese Belastung schließlich schon und wusste damit umzugehen. Pozo y Tamayo hatte den Entschluss unter anderem aus zwei Gründen gefasst.
Zum einen, weil ihm in den vergangenen Wochen ein eisiger Wind entgegengeschlagen war - in Form von Anfeindungen des eigenen Publikums. Zum anderen, um dem Tabellenletzten der Oberliga Westfalen die Möglichkeit zu geben, den Umschwung zu schaffen.
Kurze Meldung zur einer vier Jahre andauernden Zusammenarbeit
„Ein Neuanfang kann sehr viel Energie freisetzen. In der aktuellen Situation, in der wir uns befinden, braucht die Mannschaft unbedingt diesen Neuanfang. Momentan haben wir vier Punkte Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz. Noch ist der Abstand nicht zu groß. Daher hoffe ich, so den nötigen Impuls setzen zu können“, erklärte Pozo y Tamayo und wiederholte damit als Begründung im Wortlaut nahezu identisch das, was er dieser Zeitung im Gespräch am Sonntag gesagt hatte.
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Mit einer kurzen Meldung endete eine fast vier Jahre dauernde Zusammenarbeit: Ende 2019 war er als Vorstand für Sport, Medien und Kommunikation in ein Amt gekommen, dessen Zuständigkeitsbereich bei der SG Wattenscheid 09 kurz nach der Insolvenz im selben Jahr aber eher Aufräumarbeiten nach einer Naturkatastrophe glich.
Nichts war da, mit Ausnahme einer zaghaften Spieler-Zusage. Ansonsten: Keine Mannschaft, kein Geld, dafür aber Fans, die Wattenscheider Fußball sehen wollten. Pozo y Tamayo baute den Verein mit vier weiteren Vorstandsmitgliedern von und mit Null auf, präsentierte im Sommer des Folgejahres eine vollständige Mannschaft.
Herausforderung SG Wattenscheid 09: wenig Geld
Die besondere und in Wattenscheids Historie eher ungewöhnliche Herausforderung: Mit wenig Geld, dafür aber vielen Mitsprechern eine schlagkräftige Truppe zusammenschustern. Erstmals seit langer Zeit lagen Wohl und Wehe der SG 09 nicht in der Hand eines wie auch immer motivierten Mäzenen, sondern in vielen wohlwollenden, die Lust auf Wattenscheid hatten.
Pozo y Tamayo und seine Kollegen verpassten dem ehemaligen Bundesligisten einen neuen Anstrich. Die Kommunikation wurde seriös, die Finanzierung des Vereins ebenso. Das erste Augenmerk richtete die Vereinsführung auf die Jugend, erst dann dachte sie an den Männer-Fußball. Das war neu, das machte Eindruck, das lockte den einen oder anderen an. Und damit machte sich der Ex-Sportvorstand zunächst einmal unsterblich.
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Ja, zunächst einmal unsterblich, so funktioniert das im Fußball im Allgemeinen und in Wattenscheid im Besonderen. Denn während zunächst Transfers von Spielern aus tieferen Klassen zündeten und Pozo y Tamayo Anerkennung und Bewunderung zukommen ließen, war die Kaderplanung im Sommer ein Meilenstein auf dem Weg in die sportliche Krise, in der der Verein derzeit steckt und deren Ende der Ex-Sportvorstand nun mit seinem Rücktritt einleiten möchte.
Als „feindselig“ habe er die Stimmung beim Heimspiel gegen den TuS Ennepetal (0:2) empfunden. Nach dem Spiel wurde der 42-Jährige angepöbelt, übergab einem erbosten Fan sogar seinen Mitgliedsausweis. Eine symbolische Geste, ähnlich dem fragwürdigen Prozedere, wenn Spieler vor dem Fanblock ihre Trikots ausziehen müssen. Man könnte es als Demütigung empfinden.
So ein harter Schnitt, also die sofortige Aufgabe von allem, ist für Pozo y Tamayo keine Option. Er wolle seine Geschäfte ordentlich übergeben, an wen auch immer. Ein Nachfolger steht dem Vernehmen nach noch nicht fest. Und dann steht noch der Abschied von Mannschaft und Vereinsführung an. Durchaus mit Bauchschmerzen: „Ein wenig fühlt es sich so an, als würde ich die Leute im Stich lassen“, sagt der scheidende Funktionär.