Wattenscheid. Wattenscheid 09 verzichtet auf die Regionalliga-Chance: Das wirft große Fragen auf. Wie die Mannschaft reagierte und wie die Perspektive nun ist.
Der „Tod auf Raten“, er ist Geschichte. „Tod auf Raten“ – so hat Wattenscheid-09-Trainer Christian Britscho das Gefühl der Rückrunde beschrieben, als seine Mannschaft sich Niederlage um Niederlage einfing, aber zumindest auf dem Papier den Klassenerhalt in Reichweite hatte und sogar nach dem sportlichen Abstieg weiter hoffen durfte, weil der 1. FC Düren seinen Lizenzantrag verpatzte. Hoffendurfte - oder warten musste. Zuletzt wurde die Regionalliga-Chance eher zur Belastung.
Daher fiel am Mittwochabend die Entscheidung, auf die Regionalliga zu verzichten, unabhängig von der Düren-Entscheidung, aus nachvollziehbaren und hinreichend diskutierten Gründen. Eine Entscheidung gegen den sportlichen Ehrgeiz und Anspruch, aber für Planungssicherheit und Solidität. Eine Entscheidung, die zum vielzitierten „Wattenscheider Weg“ passt. Es ist trotzdem eine Entscheidung, die Fragen aufwirft.
SG Wattenscheid 09: Nur bis Freitag war Zeit für den Verzicht
Die erste Frage: Warum hat der Klub so lange gewartet? Immerhin ist der Schwebezustand seit rund zwei Wochen anhaltend, am Montag wird das Sportgericht den Fall Düren verhandeln. Die Antwort: Die Wattenscheider Verantwortlichen hatten auf eine deutlich schnellere Entscheidung gehofft. Diese wird es aber nicht geben – womöglich gäbe es Klarheit nicht einmal zum fürs Regionalliga-Szenario angepeilten Vorbereitungsstart Mitte Juni.
Und, so erklärt SGW-Vorstand Christian Pozo: Nur bis zu diesem Freitag habe die Absprache mit dem Vorsitzenden des WDFV-Verbands-Fußball-Ausschusses Wolfgang Jades gegolten, dass Wattenscheid ohne Konsequenzen verzichten kann.
Für die ehrgeizige sportliche Führung ist der Verzicht ein Rückschlag
Die zweite Frage ist schwieriger: Wo führt das hin? Was muss sich ändern? Wenn man nicht die Chance nutzt, sich auf möglichst hohem Niveau zu messen: Was macht das mit dem sportlichen Anspruch eines Vereins? Wie ist die Perspektive?
Die Antwort: kompliziert. Für das ehrgeizige Sportliche Führungsduo Pozo/Britscho ist die Entscheidung ein Rückschlag. Der Frust ist groß, Entschlossenheit und Geschlossenheit aber auch: Pozo verantwortet die Entscheidung, Britscho trägt sie mit – bei allem Zähneknirschen. Auch in der Mannschaft habe Enttäuschung geherrscht, räumen beide ein, bei allem Verständnis: „Aber sie haben auch eingesehen, dass sie ja auch sportlich abgestiegen sind.“ Pozo: „Nach ein paar Minuten hat sich eher die Stimmung entwickelt: Dann greifen wir eben in der Oberliga an. Und dafür liebe ich die Jungs.“
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Direkte Reaktionen im Sinne von Spieler- oder Sponsoren-Abgängen gebe es nicht, sagt Pozo, zumal alle ja eh auf Oberliga eingestellt waren. Und personelle Konsequenzen, was ihre eigenen Positionen angeht, schließen Pozo und Britscho auch aus – für den Moment zumindest. Entscheidend ist für beide die Entwicklung.
Britscho und Pozo sehen weiter eine Perspektive in Wattenscheid
Britscho erklärt, die Latte in der Regionalliga habe zu hoch gelegen für den Verein, das habe man im vergangenen Jahr gemerkt. Ob er überlegt habe, als Reaktion auf den Verzicht hinzuschmeißen? Britscho antwortet: „Ich nehme das kämpferisch. Die Umstände sind in diesem Jahr, wie sie sind. Es liegt jetzt aber an uns allen, im und um den Verein herum, diese Umstände dauerhaft zu verbessern. Ich glaube, das Ende der Fahnenstange ist nicht erreicht.“
Wenn das Ende aber erreicht sei, dann müsse er sich über seine Zukunft Gedanken machen. Auch Pozo spricht von einem neuen Anlauf auf die Regionalliga, er sei von Wattenscheid als Standort für ambitionierten Amateurfußball überzeugt.
Kurzfristig ist der Verzicht eine sportliche Erlösung. Die SGW wäre in der Regionalliga wieder schlecht vorbereitet in eine Spielklasse gestartet, die für den Kader eine Nummer zu groß gewesen wäre. In der Oberliga geht es später los und wird es leichter, neue Talente wie die jüngst verpflichteten Fynn Broos (Wanne 11) oder Fabrizio Fili (Viktoria Köln U19) einzubinden. Und dominant und ballbesitz-orientiert aufzutreten passt auch besser zu Britschos Spielidee, als jeden Samstag wie ein Pokalspiel gegen Bayern München angehen zu müssen.
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Im kommenden Jahr könnten sich die gleichen Fragen erneut stellen
Die Regionalliga bleibt das Ziel. Das erste Oberliga-Drittel ist der defensiv formulierte Mindestanspruch für kommende Saison. Nicht zuletzt wird der Zuschauerzuspruch wohl bei einer guten Oberliga-Saison besser sein als in der Regionalliga – das ergibt auch wirtschaftlich mehr Sinn als die Regionalliga.
Ob die Identitätskrise des Vereins, die Pozo zuletzt benannt hatte, durch die drastische Verzichts-Entscheidung gelöst ist? Wohl kaum. Sportlicher Erfolg in der Oberliga kann sicher helfen, diese vorerst zu überdecken. Wenn sich der allerdings einstellt, muss die SGW spätestens im Frühjahr die gleichen Fragen beantworten wie in diesem Sommer.
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