Wattenscheid. Kaum Geld, kaum Verstärkungen, Testspiel-Pleiten: Kam der Aufstieg zu früh? Vor dem Regionalligastart sind Zweifel an Wattenscheid 09 berechtigt.

Wer über Preußen Münster gegen Wattenscheid 09 spricht, redet über ein Duell mit Tradition. Über eine Begegnung mit Zweitliga-Historie. Über ein Spiel zwischen zwei Vereinen, deren Anhänger Leiden und Genuss des Fußballs in all ihren Extremen kennen. Wer vor dem ersten Pflichtspiel der beiden Klubs seit über 15 Jahren spricht, der redet 2022 über den Auftakt der Regionalliga West.

Heute Abend beginnt die neue Runde mit der PartieRot-Weiß Oberhausen gegen Alemannia Aachen. Am Samstag ist Wattenscheid zu Gast im Preußenstadion. Für die einen – Münster – ist diese Saison eine unliebsame Extra-Runde in Liga vier. Für die anderen die Fortsetzung der Geschichte ihrer Wiederauferstehung. Aber es ist vor allem das Duell zwischen dem Top-Favoriten auf den Aufstieg und dem ersten Abstiegskandidaten.

SG Wattenscheid 09 kokettiert mit der Außenseiterrolle

Bei der SG Wattenscheid 09 sind sie sich der Rolle des Underdogs bewusst, schließlich kokettiert das Leitbild des Vereins seit dem Neustart 2019 dauerhaft mit den Widrigkeiten. Wenig Etat, Feierabendfußballer, Kampf und Zusammenhalt statt dicker Schecks. Mit diesem Credo hat es der ehemalige Bundesligist zurück in die Regionalliga geschafft, und mit diesen Voraussetzungen geht der Verein auch an die nächste große Herausforderung.

Mit dem wohl kleinsten Etat aller West-Regionalligisten kann für die SGW das Ziel nur der Klassenerhalt sein.

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Doch so eindeutig, wie diese Rollenzuschreibung sein mag, so unsicher ist der Verlauf der anstehenden Spielzeit. Bereits in der vergangenen Saison, die mit dem nicht eingeplanten Aufstieg endete, war vieles, was in Wattenscheid passierte, überraschend. Auch, weil die zur Verfügung stehenden Mittel teilweise nur einen Bruchteil dessen ausmachten, was andere Vereine in ihre Kader investieren konnten. Das ist eine Liga höher nicht anders, im Gegenteil. Das hat die jüngste Transferphase besonders herausfordernd gemacht.

Auf dem Transfermarkt war 09 mit relativ leeren Taschen unterwegs

Mit leeren Taschen shoppen zu gehen, ist gemeinhin ein wenig erquickendes Unterfangen, doch die SGW war gezwungen, den nach Abgängen von Nils Hönicke und Timon Schmitz geschwächten Kader auszubessern.

Timur Mehmet Kesim wurde kurz vor dem Ligastart von Rot-Weiss Essen zur SG Wattenscheid ausgeliehen.
Timur Mehmet Kesim wurde kurz vor dem Ligastart von Rot-Weiss Essen zur SG Wattenscheid ausgeliehen. © FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann

Ob Zugänge wie Kim Sane, Moritz Hinnenkamp oder Timur Kesim einschlagen werden, ist offen und wird sich vor allem nach dem Hammer-Auftakt in Münster und gegen Wuppertal zeigen. Doch wer hätte zu Jahresbeginn gedacht, dass ausgerechnet die Winter-Zugänge Jeff Malcherek, Timon Schmitz und Dennis Lerche zu entscheidenden Figuren in der Aufstiegsrunde werden sollten? Sie alle haben im schwarz-weißen Trikot einen Leistungssprung gemacht, was das Vertrauen in die Arbeit der Sportlichen Leitung um Christian Pozo y Tamayo manifestiert hat.

Eine Entscheidung bei Berkant Canbulut steht weiter noch aus

In diesem Sommer hat Wattenscheid 09 Spieler mit noch mehr Potenzial verpflichtet und damit einen Kader verstärkt, der dem Vernehmen nach ohnehin schon Regionalliga-Niveau hatte. Wie sonst ist zu erklären, dass einem Führungsspieler wie Berkant Canbulut derart viel Zeit gegeben wird, seine beruflichen Angelegenheiten zu klären, damit er weiter in der Lohrheide spielen kann?

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Eine Entscheidung fällt nach Informationen dieser Redaktion in der Woche nach dem Preußen-Spiel. Andernorts hätte der offensive Mittelfeldspieler womöglich den Laufpass bekommen. Die SGW hält dem 30-Jährigen, der stets in alle Richtungen sauber kommuniziert hat, die Tür bereitwillig offen.

Die Fans müssen in dieser Saison Geduld mit ihrem Verein zeigen

Doch hat der Kader – ob mit oder ohne Canbulut – tatsächlich diese Durchschlagskraft? Zweifel sind berechtigt. Die Britscho-Elf hat in der Aufstiegssaison kaum einen Oberliga-Gegner aus dem Stadion geschossen. Auf der Zielgeraden hatte es den Anschein, als wollten die, die aufsteigen konnten, nicht so sehr, wie sie hätten wollen müssen. Und die, die wollten, konnten offensichtlich nicht. Wattenscheid wollte, nutzte die Patzer der Konkurrenz, sicherte sich den natürlich verdienten Aufstieg – und nahm die Herausforderung an.

Die neue Saison ist ein Wagnis. Für viele Beteiligte. Die Fans haben den Verein begleitet, haben die Aufstiegsrunde wie im Rausch erlebt und gelernt, mit ihrem geliebten Klub geduldig zu sein. Wie wird das, wenn die kommende Spielzeit zu einem Schaulaufen für vorformulierte Abgesänge wird? Kam der Aufstieg womöglich doch zu früh? Es gibt Anzeichen, die dafür sprechen.

Die Vorbereitung lief nicht optimal – aber die Verantwortlichen haben Vertrauen verdient

Die suboptimale Vorbereitung, bei der nicht vor allem über Gastspieler, sondern vor allem mannschaftsintern vornehmlich über die Urlaubsplanungen von Spielern und Trainern gesprochen wurde. Das geplante Trainingslager musste ausfallen, weil es eigentlich für eine Oberliga-Vorbereitung geplant war.

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Wattenscheid 09 ist und bleibt auch nach dem vorläufigen sportlichen Höhepunkt ein Mysterium. Eines, das unberechenbar ist, das deshalb auch spannend und attraktiv ist und daher nichts von seiner Anziehungskraft einbüßen wird. Einmal mehr steht der Verein vor einer echten Härteprüfung. Seit der Wiederauferstehung hat der einstige Bundesligist, der mehr Tiefen als Höhen durchgemacht hat, sämtliche Stolpersteine aus dem Weg geräumt.

Eine Qualität, die Vertrauen in die Arbeit geschaffen hat. Vertrauen, das auf dem Weg zum erklärten Ziel helfen kann.

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