Wattenscheid. Zehn Tage vor dem Regionalliga-Start spricht der Sportvorstand der SG Wattenscheid ausführlich über die Lage – und verspricht Verstärkungen.
Etwas mehr als eine Woche hat die SG Wattenscheid 09 noch Zeit, um sich auf die kommende Saison vorzubereiten. Der Regionalliga-Aufsteiger startet am Samstag, 23. Juli, beim Aufstiegsaspiranten Preußen Münster - ein denkbar schwieriger Auftakt für die Mannschaft von Trainer Christian Britscho. Während die Preußen vor der Neuauflage des einstigen Zweitliga-Duells als gut gerüstet für das Unternehmen Drittliga-Rückkehr gelten, hat der ehemalige Bundesligist viel Basisarbeit zu erledigen. Wir sprachen mit Sportvorstand Christian Pozo y Tamayo über die Situation der SGW.
Herr Pozo y Tamayo, in knapp anderthalb Wochen beginnt die Regionalliga-Saison. Mit welchen Gefühlen und mit welcher Auffassung blicken Sie auf den Start?
Ich verspüre große Vorfreude. Es ist eine richtig interessante Liga mit vielen Traditionsvereinen. Die Leistungsdichte wird groß sein. Was unser Auftaktprogramm betrifft, kann man dieser oder jener Meinung sein. Ich finde es gut, dass wir direkt zu Beginn ein paar Kracher haben.
Der große Optimismus schwang noch nicht mit.
Bei uns ist Realismus angesagt. Vor der Liga habe ich aber keine Angst.
SG Wattenscheid 09 will auf den Aufstiegskader setzen
Haben Sie denn schon einen Regionalliga-Kader?
Ich denke, den hatten wir auch schon am letzten Spieltag der vergangenen Saison. Spielerisch waren wir mit das Beste in der Oberliga. Und wir haben den großen Vorteil, dass wir den Stamm unserer Mannschaft halten konnten. Jetzt haben wir Ergänzungen geholt und werden auch noch welche holen.
Wir reden über die wohl stärkste vierte Liga in Deutschland. Bisher hat die Mannschaft vor allem Erfahrung abgegeben. Passt das zusammen?
Ich glaube, wir kommen mehr über den Teamgeist. Wir können immer noch nicht die individuelle Qualität hinzu holen, wie es andere Vereine können. Das zeigt schon das Größenverhältnis: Zu Saisonbeginn werden wir gegen Mannschaften spielen, die jeweils einen Spieler haben, der allein mehr verdient als unsere erste Elf. Für mich bedeutet das aber nicht, dass wir schlechter sind. Allerdings stimme ich zu, dass Erfahrung vor allem dann gut ist, wenn es mal nicht so gut läuft.
Wie ist die Tendenz bei Berkant Canbulut?
Positiv. Ich glaube, dass wir das geregelt bekommen. Es kann sein, dass das erst sehr spät passiert. Aber das ist eine Angelegenheit, die wir nicht direkt beeinflussen können. Er klärt mit seinem Arbeitgeber, ob die Möglichkeit besteht, dass er auch samstags für uns spielen kann.
Pozo verspricht: „Es kommen noch Spieler, die weiterhelfen“
Bei allem Respekt: Fehlt Ihnen nicht ein echter „Kracher“, der die Mannschaft mit Ideen anführen kann?
Das kann man so sehen. Ich persönlich bin der Meinung, dass man so einen Spieler nicht zwingend braucht. Ein Spieler, der das Gehaltsniveau durcheinanderbringt, kann auch kontraproduktiv sein. Finanziell konnten wir sowieso keine Experimente machen. Es kommen aber noch Spieler dazu, die uns beim Ziel weiterhelfen können.
Wie zufrieden sind Sie mit dem, was Sie von der Vorbereitung erlebt haben?
Es war eine improvisierte Vorbereitung. Das Trainingslager musste abgesagt werden, da wir eigentlich eins für eine Oberliga-Vorbereitung gebucht hatten. Unser Trainer musste Testspiele im Urlaub von Mallorca aus planen – optimal war es nicht. Aber ich bin der Meinung, dass wir das Beste daraus gemacht haben. Wir haben viele Erkenntnisse aus den Testspielen gehabt. Die Jungs machen körperlich einen guten und fitten Eindruck. Ich hoffe nur, dass wir nach der kurzen Pause kein Lehrgeld zahlen.
Wie ist der Stand bei Kim Sané?
Es sieht gut aus.
Kim Sané beeindruckt die Verantwortlichen der SG Wattenscheid
Kann ein Spieler, der fünf Jahre nicht gespielt hat, überhaupt weiterhelfen?
Ich glaube, dass er uns tierisch weiterhelfen kann. Aber er hat seit fünf Jahren nicht auf hohem Niveau gespielt. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass er ein Fremdkörper ist. Er bringt viel mit, auch mental. Außerdem habe ich selten einen fitteren Spieler gesehen. Er sieht überhaupt nicht aus wie ein Amateurfußballer. Und ich bin mir außerdem sehr sicher, dass er trotz seiner Leichtathletik-Karriere nicht beim Anpfiff im Startblock stehen wird.
Der Trainer und Teile der Mannschaft waren während der fünf Wochen dauernden Vorbereitung im Urlaub. Wie passt das zusammen?
Ich glaube, dass Co-Trainer Timo Janczak das gut gemacht hat, als Christian Britscho nicht da war. Aber das ist die Losung, wenn man jemanden als Trainer hat, der mit seinem schulpflichtigen Sohn in den Ferien Urlaub machen muss. Wenn wir in der Oberliga geblieben wären, hätten wir die Situation nicht gehabt. Christian investiert unglaublich viel in seine Aufgaben bei 09. Auch er muss ja seinen Akku irgendwann mal aufladen.
Nicht alle Spieler haben positiv darüber gesprochen - wenn auch nur vorsichtig.
Das ist die Krux. Du kannst nicht verlangen, dass jemand sein Leben nach einem Job ausrichtet, für den er 450 Euro im Monat bekommt. Das gilt ja auch irgendwo für alle. Spieler, Trainer, Mitarbeiter. Alle sind mit viel Idealismus dabei. Da müssen wir als Verein auch mal akzeptieren, dass jemand ein paar Tage nicht da ist.
250 Dauerkarten sind verkauft – Vorfreude auf Duelle mit Traditionsclubs
Feierabend-Fußball schön und gut: Sie wissen, wie sportlicher und finanzieller Erfolg zusammenhängen. Ist das eine Sorge, die Sie durch die kommende Saison begleiten wird?
Wir haben rund 250 Dauerkarten verkauft. Pro Spiel kommen an der Tageskasse etwa 350 hinzu - so kalkulieren wir. Wenn wir die Kosten betrachten, die wir jetzt stemmen müssen, stellen wir fest, dass wir in dieser Saison schlechter gestellt sind als in der vergangenen. Aber wir sind sauber, alles ist gedeckt.
Der organisatorische und finanzielle Aufwand ist nun viel größer. Hat im Vorstand schon jemand den Aufstieg bereut?
Nein. Wofür machen wir es denn? Nicht, weil wir ein Plus auf dem Konto haben wollen. Wir machen das für Spiele gegen Oberhausen, Wuppertal und Aachen. Unser Ziel war es, den Verein wieder auf gesunde Füße zu stellen.
Bisher haben Sie in Szenarien denken müssen, vor allem coronabedingt. Welche Szenarien sind für die kommende Saison denkbar?
Wir werden es genauso lösen müssen. Sollten uns Zuschauereinnahmen wegbrechen, wovon wir aktuell nicht ausgehen, müssen wir an der Kostenschraube drehen. Ich glaube, dass unsere Partner und Sponsoren uns im Fall einer erneuten Krise mit Geisterspielen weiter unterstützen werden.
Schwieriger Start gegen Münster und Wuppertal
Und sportlich?
In Münster wird’s schwierig, gegen Wuppertal wird’s schwierig. Die letzten Spielzeiten haben aber gezeigt, dass niemand einfach durch die Regionalliga durchmarschiert ist. Deshalb können wir selbstbewusst sagen: Auch mit uns wird zu rechnen sein. Dass wir nach vier Spielen mit null Punkten dastehen, glaube ich daher nicht.
Und was, wenn bei sportlicher Erfolglosigkeit das Interesse schwindet?
Es kann sein, dass die Zuschauer uns dann den Rücken kehren. Aber das fände ich sehr schade. Denn wir vergessen nicht, wo wir herkommen.
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