Wattenscheid. Die Achillessehne machte Hendrik Pfeiffers Traum von Olympia zunichte. Im Interview erklärt er, warum die nötige Operation dennoch ein Glücksfall war.
Der Wattenscheider Leichtathlet Hendrik Pfeiffer schaffte beim Düsseldorf-Marathon eine kleine Sensation, als er bei seinem Debüt über die 42,195 Kilometer in einer Zeit von 2:13:11 die Olympia-Norm knackte und sich für Rio 2016 qualifizierte. Doch schon vor dem Marathon hatte der 23-Jährige mit kleineren Verletzungsproblemen zu kämpfen.
Über den Sommer meldete sich dann seine Achillessehne. Pfeiffer wagte im Juli noch einen Start im Halbmarathon bei den Europameisterschaften in Amsterdam. Doch seine Verletzung zwang ihn zum Ausstieg, eine Operation wurde notwendig und zerstörte den Olympia-Traum. Der Wattenscheider verkündete seinen Verzicht und ermöglichte so dem Regensburger Julian Flügel den Start in Rio.
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Redakteur und Laufblogger Stefan Reinke hat mit Hendrik Pfeiffer über Olympia, den Stellenwert der Leichtathletik, den Unterschied zwischen Läufern und Fußballern und über die persönlichen Karriere-Aussichten gesprochen.
"Mir wurde mehr gegeben als genommen"
Nach deiner Verletzung mal eine ganz banale Frage: Wie geht’s?
Hendrik Pfeiffer: Besser als man sich denken könnte. Das Aus für Rio war ein Schock, den ich gut verarbeitet habe. Am 10. August hatte ich die Operation. Es wurde ein Schleimbeutel entfernt, ein Stück Knochen wurde abgeschliffen und ein schon degenerierter Teil der Achillessehne entfernt. Das heißt, wenn ich weiter gemacht hätte, wäre das Ding gerissen. Mit dem Wissen im Hinterkopf war es deutlich leichter, das Olympia-Aus wegzustecken. Mir wurde deutlich mehr gegeben als genommen.
Wie muss man sich so eine Reha vorstellen? Langweilig?
Pfeiffer: Ja, aber ich hatte noch Glück! Ich konnte meine Reha in Herxheim bei Johannes Eisinger, der ein großer Förderer von mir ist, machen. Ich konnte dort alle Einrichtungen, wie den Kraftraum oder das Schwimmbad nutzen und habe viel Unterstützung bekommen. Ohne diesen Kontakt hätte ich bestimmt nicht so eine gute Reha gehabt. Auf dem Alter-G (ein Laufband, in dem durch Luftdruck die Schwerkraft und somit das Körpergewicht gemindert wird, Anm. d. Red.) konnte ich sogar schon wieder laufen. Ich hatte da schon die perfekte Betreuung. Ansonsten sitzt man in der Reha natürlich auch viel rum.
Wie geht es jetzt weiter?
Pfeiffer: Es entwickelt sich sehr gut. Vielleicht kann ich im Oktober wieder joggen. Genau kann ich das nicht prognostizieren. Aber es wird nicht die befürchteten fünf bis sechs Monate dauern. Ich bin dem Plan weit voraus. Im November fahren wir ins Trainingslager, bis dahin möchte ich wieder regelmäßig laufen können.
Du hast dich relativ spät für den Olympia-Verzicht entschieden...
Pfeiffer: Das war sogar relativ früh, also direkt nach der EM in Amsterdam. Ich wollte mich rechtzeitig entscheiden, damit der Julian (Julian Flügel, Anm. d. Red.) noch nachnominiert werden könnte. Der Halbmarathon in Amsterdam sollte die Generalprobe sein. Ich dachte, wenn die misslingt, laufe ich auch nicht in Rio.
Du hattest die Entscheidung in einem bewegenden Blog-Eintrag begründet. Wie war die Resonanz darauf?
Pfeiffer: Sehr positiv. Mit wurde sehr viel Respekt ausgesprochen. Mir haben aber auch viele geraten, um jeden Preis zu Olympia zu fahren und zur Not beim Rennen auszusteigen. Das habe ich mir auch durch den Kopf gehen lassen, aber moralisch konnte ich das nicht vertreten.
Olympia-Tourist ist kein erstrebenswertes Karriere-Ziel?
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Pfeiffer: Auf keinen Fall. Gerade vor dem Hintergrund meiner Entscheidung fand ich die Entscheidung der Hahners auch wie einen Schlag ins Gesicht für mich (die Zwillinge Anna und Lisa Hahner liefen beim Marathon händchenhaltend als 80. und 81. ins Ziel, Anm. d. Red.). Das hat meine Werte konterkariert und hat dann auch noch so eine Aufmerksamkeit bekommen, dass niemand mehr über den 40. Platz von Anja Scherl gesprochen hat. Blöd ist, dass durch die Aktion der Hahners jetzt möglicherweise die Normen wieder verschärft werden sollen. Dann wird’s wieder härter, sich für Olympia zu qualifizieren.
Mit welchen Gedanken hast du Olympia verfolgt? Wehmut? Interesse?
Pfeiffer: Mit Dankbarkeit (lacht)! Ich war im Rehazentrum und lag die ersten zehn Tage nur im Bett. Da war ich heilfroh, dass Olympia lief, sonst hätte ich mich zu Tode gelangweilt. Wehmut war aber auch dabei, vor allem bei der Eröffnungsfeier. Am meisten habe ich mich natürlich auf die Leichtathletik-Wettbewerbe gefreut, wobei es da auch einige unerfreuliche Ereignisse gab. Das Finale über 10.000 Meter der Frauen habe ich ausgemacht. Diese absurde Leistung (die Äthiopierin Almaz Ayana verbesserte den 13 Jahre alten Weltrekord auf 29:17.45 Minuten, Anm. d. Red.) konnte ich mir nicht angucken, das macht keinen Spaß. Meine Bestzeit ist 29:16. Dass eine Frau mit sauberen Mitteln schneller ist als ich, kann ich mir nicht vorstellen.
Und der Marathon?
Pfeiffer: Der Marathon war natürlich ein Highlight. Ich habe sehr genau verfolgt, was die Jungs machen. Die haben wacker gekämpft, aber ich glaube, ich hätte in dem Rennen auch nicht schlecht ausgesehen. Dass der Amerikaner Jared Ward Sechster und der nur ein Jahr ältere Brite Callum Hawkins Neunter wurde, hat mir Mut gemacht. Die sind mir zwar noch etwas voraus, aber da komme ich auf jeden Fall hin. Wenn die unter die Top 10 rennen, macht mir das Hoffnungen für Tokio.
Warum Hendrik Pfeiffer Leichtathlet statt Profi-Fußballer wurde
Bei Olympia haben Weiße offenbar ohnehin bessere Chancen, vordere Plätze zu belegen, während bei den großen Marathons die Afrikaner vorweg laufen. Wie kommt das?
Pfeiffer: Ein Grund ist natürlich, dass pro Land nur drei Läufer starten können. Dadurch fallen 99 Prozent der Kenianer und Äthiopier schon mal weg. Ich glaube aber, dass man bei Olympia viel durch Taktik rausholen kann. Die Kenianer haben dort keinen Tempomacher und müssen auf eigene Faust laufen, was sie in der Regeln nicht so gut können. Da hat man gute Chancen, wenn man mit einer vernünftigen Taktik läuft.
Wie bist du überhaupt zur Leichtathletik gekommen?
Pfeiffer: Ich war Fußballer und technisch ganz gut, hatte konditionell aber Schwierigkeiten. Um besser zu werden, habe ich mich dem LAZ Rhede angeschlossen und habe den einen oder anderen Volkslauf mitgemacht. Dann war aber relativ schnell klar, dass ich beim Laufen bleiben würde.
Warum?
Pfeiffer: Es hat mir mehr Spaß gemacht und die Umgangsformen sind besser als beim Fußball. Fußball war nicht meine Welt. Es hieß ja mal, dass ich zur Leichtathletik gegangen wäre, weil ich zu dick für Schalke gewesen sei. Das stimmt nicht ganz. Ein paar Jungs von meinem Verein hatten die Chance, zu einem Probetraining bei Schalke zu gehen, aber da wurde ich gar nicht erst hingeschickt, vor allem wegen meiner damaligen Statur.
Hast du bereut, nicht Fußballer geworden zu sein, speziell mit dem Blick aufs Geld?
Pfeiffer: Nee. Ich bin zwar sicher, dass ich es mindestens in die zweite Liga geschafft hätte, wo es mir finanziell natürlich deutlich besser gehen würde. Aber ich mache das, was mir Spaß macht. Beim Laufen mache ich vieles aus Idealismus. Ich kicke immer noch gerne, aber Laufen ist als Sport ehrlicher, weil die Zeiten klar messbar und vergleichbar sind – außer, es kommt Doping ins Spiel. Beim Fußball ist man zu sehr auf die Gunst der Mitspieler und des Trainers angewiesen.
Welche Umfänge trainierst du?
Pfeiffer: In der Marathon-Vorbereitung waren es 180, manchmal 200 Kilometer in der Woche...
… ächz...
Pfeiffer: … ja, das ist schon viel (lacht). Jetzt gehe ich erst mal wieder zurück auf die Bahn, da werden die Einheiten dann kürzer, aber dafür schneller. Durch die Reha werde ich wohl mehr im Alter-G laufen, um Verletzungen zu vermeiden.
Die Leichtathletik rückt nur alle zwei oder vier Jahre, bei Weltmeisterschaften und Olympia, in den Fokus. Was hast du durch die verpassten Olympischen Spiele für deine Karriere verpasst, um dich ins Schaufenster zu stellen?
Pfeiffer: Sehr viel! Das ist sehr bitter. Ich hätte ein Karriere-Ziel erreicht. Und als Olympia-Teilnehmer läuft in jungen Jahren sicherlich einiges leichter ab, auch in Sachen Sponsoring. Da habe ich bestimmt große Einbußen. Aber ich bin trotzdem stolz, dass ich verzichtet habe, weil ich zu meinen Werten gestanden habe. Ich werde mich niemals verbiegen oder meine Seele verkaufen.
Welche Erleichterung bringt es, Sponsoren oder Ausrüster zu haben? Wie sieht diese Unterstützung aus?
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Pfeiffer: Wir sind sehr auf Unterstützung angewiesen. Nicht nur finanziell, sondern zum Beispiel so wie bei mir mit der Möglichkeit, die Reha zu machen. Das ist natürlich eine Unterstützung, die erst zum Tragen kommt, wenn man verletzt ist. Aber sie ist sehr wichtig. Finanziell muss man irgendwie über die Runden kommen. Man lebt von der Hand in den Mund. Das ist bei Leichtathleten halt so. Es gibt gute Jahre und schlechtere. Ich möchte natürlich nicht meinen Eltern auf der Tasche liegen. Die wichtigsten Stützen sind der TV Wattenscheid und die Sporthilfe. Ich habe auch noch einen kleinen Nebenjob als studentische Hilfskraft für Sport und arbeite noch als Pressesprecher für den Verein. Sicherheit sieht anders aus. Ich wäre bestimmt noch eine ganze Ecke besser, wenn ich keinen Nebenjob haben müsste. Daher sind Sponsoren sehr wichtig.
Viele Sportler sichern sich über die Bundeswehr oder die Polizei ab.
Pfeiffer: Das habe ich auch überlegt, aber die Bundeswehr ist überhaupt nichts für mich. Ich habe mich für den Weg entschieden, es so zu versuchen. Momentan funktioniert es auch ganz gut.
"Ich kann mich mit dem IOC nicht identifizieren"
Man könnte es verlogen nennen, dass die Öffentlichkeit von Sportlern, die ihr vier Jahre lang egal sind, erwartet, bei Olympia mit Spitzenleistungen zu glänzen...
Pfeiffer: Es ist verlogen. Und sehr schade, dass es so wenig Wertschätzung gibt. Die Leichtathletik ist seit der Antike eine der Kernsportarten. Für mich als Sportler war es ein Schlag ins Gesicht, dass die Hamburger gegen Olympia gestimmt haben. Jetzt wurde wieder vor allem auf den Leichtathleten und den Schwimmern herumgehackt. Aber man muss auch sehen, dass in diesen Sportarten die internationale Konkurrenz am größten ist. Ohne das diskreditieren zu wollen, aber beim Springreiten machen weniger Leute mit als beim 100-Meter-Lauf oder beim Marathon.
Dazu kommt gerade in den Ausdauersportarten das Doping-Problem. Ich gehe davon aus, dass Deutschland weitgehend sauber ist. Daher finde ich es schon bedenklich, die Leistungen nur durch die Anzahl der Medaillen zu vergleichen und auf den vermeintlich erfolglosen Sportlern rumzuhacken. Eine Top-20-Platzierung beim Marathon hat angesichts der großen Konkurrenz einen hohen Stellenwert. Das müssten die Medien allerdings transparenter machen und erklären.
In der Bevölkerung stößt Olympia nicht wegen des Sports auf Ablehnung, sondern wegen der Kosten, Korruption und Filz. In wie weit können Athleten dafür sorgen, dass der sportliche Aspekt wieder in den Vordergrund rückt?
Pfeiffer: Wir brauchen eine Plattform und müssen selber dafür sorgen, dass wir uns der breiten Masse präsentieren. Wenn alle an einem Strang ziehen und den Menschen zeigen, was wir für unseren Sport investieren, wie hart wir arbeiten und wie viel wir aus purem Idealismus machen, wäre das ein gutes Gegenbild zu dem Bild, das zum Beispiel das IOC abgibt. Natürlich ist das filzig. Aber es ist einfach schade, dass das dann zu unseren Lasten geht. Die Medien müssen zeigen, was es für einen Sportler bedeutet, bei Olympia zu starten.
In den Medien gibt es nur Robert Harting. Gefühlt ist das seit Jahrzehnten der einzige Leichtathlet, der den Mund aufmacht. Müsst ihr alle mutiger werden?
Pfeiffer: Meine Meinung unterscheidet sich nicht großartig von der Robert Hartings. Aber er wird halt angerufen und gefragt. Ich finde super, was Robert Harting macht, auch dass er Thomas Bach kritisiert hat. Aber man hat ja gesehen – sofort hat er einen auf den Deckel bekommen. Ich kann mich auch nicht mit dem IOC identifizieren.
Beim Schwimmen und in der Leichtathletik liegen Aufwand und Ertrag in krassem Missverhältnis, wenn man sich Trainingsumfänge und -zeiten ansieht. Müsstet dann nicht gerade ihr so laut sein, bis die Medien nicht mehr weghören können?
Pfeiffer: Die Strukturen sind gewachsen. Auf den ersten drei Seiten der Zeitung steht Fußball. Ich kann nur appellieren, den anderen Sportarten Raum zu geben und auch mit erbrachten Leistungen angemessener umzugehen. Paul Biedermann ist bei Olympia Sechster geworden und wird dargestellt, als hätte er völlig versagt. Das hat mich sehr geärgert. Oder eben dass Anja Scherls Leistung im Marathon überhaupt nicht gewürdigt wurde, vor allem bei ihrem Hintergrund (sie ist Hobby-Läuferin und arbeitet Vollzeit, Anm. d. Red.). Ich persönlich kann nicht viel mehr tun, als meine Meinung auf Facebook zu posten oder sie bei Gelegenheit zu vertreten und zu hoffen, dass viele es lesen.
Wie kann sich die Leichtathletik interessanter für den Nachwuchs machen? Meinen Kindern ist es irgendwann zu langweilig geworden, Dinge zu tun, die auf den ersten Blick wenig mit Leichtathletik zu tun haben. Die sehen die Großen auf der Bahn laufen, selber machen sie aber noch Kinderleichtathletik.
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Pfeiffer: Viele verlieren vielleicht auch die Lust, weil die Idole, die produziert werden, eben nicht aus der Leichtathletik kommen. Wenn Robert Harting so bekannt wäre wie Marco Reus, hätten bestimmt mehr Leute Bock auf Diskus. Andererseits plädiere ich auch dafür, möglichst früh den Leistungsgedanken einzubringen. Unsere Konkurrenten aus Kenia fangen mit acht Jahren an, sich miteinander zu messen und nicht nur zu spielen. Natürlich ist es ein guter Ansatz, den Kindern erst einmal Spaß zu vermitteln. Aber wenn das Training leistungsorientierter wäre, ohne die Kinder zu drängen, käme auch mehr Erfolg. Wenn Kinder zum Beispiel fangen spielen, rennen sie ja auch um die Wette und messen sich miteinander.
Geht ihr als Verein in die Schulen und werbt dort?
Pfeiffer: Wir arbeiten mit Schulen zusammen und bieten Schnupperkurse und Probetrainings an. Da wird schon viel versucht.
Im Erwachsenenbereich erlebt der Laufsport einen Boom. Kannst du als Profi Hobby-Läufer, die plötzlich von Wettkämpfen reden, überhaupt ernst nehmen?
Pfeiffer: Laufen ist Volkssport. Ich finde es toll, wie diese Community wächst. Das Laufen hat den großen Vorteil, dass alle – egal, auf welcher Leistungsebene – das gleiche Problem haben, sobald sie sich an Zeiten orientieren. Es ist egal, ob ich über zehn Kilometer von 50 Minuten auf 49 will oder von 29 auf 28 Minuten. Die Freude über eine erreichte Zeit ist gleich. Das macht den Reiz von großen Volksläufen aus. Da steht die Elite zusammen mit Hobby-Läufern am Start und alle haben ein ähnliches Ziel. Diese Mischung gibt es nur beim Laufen. Diese Verzahnung von Spitzensport und Breitensport ist cool.