Dortmund. Selbst im TV war Olympia 2016 nicht das, was man von London oder Sydney kannte. Olympia hat sich selbst vergessen und muss geerdet werden – im Revier.

Zwei Wochen lang hat die sportinteressierte Welt auf Rio de Janeiro geblickt und irgendwie versucht, sich an den Leistungen der Sportler aus aller Welt zu erfreuen. Doch so richtig wollte der Funke nicht überspringen. Eine Teilschuld daran hatten sicherlich die oft höchstens halbvollen Ränge der Sportstätten und das unfaire Verhalten der Zuschauer, die sich dann doch zu den Wettkämpfen verirrt hatten. Traurig, traurig und aus Sicht der Sportler vor allem unwürdig. Dabei können große Sportveranstaltungen so schön sein, wenn sie sich auf den Sport beschränken.

Rückblende: Im Jahr 1989 fand vom 22. bis 30. August die Universiade in Duisburg statt. Die Ruhrgebietsstadt hatte sich mehr oder weniger spontan als Ausrichter gemeldet, nachdem Sao Paulo einen Rückzieher gemacht hatte. Binnen 153 Tagen improvisierte Duisburg eine abgespeckte Version der Weltspiele der Studenten. Rudern, Leichtathletik, Fechten und Basketball bildeten das sportliche Programm in Duisburg. 3000 Athleten aus 93 Ländern kamen in die Stadt.

Dauergast bei den Leichtathleten

Ich ging damals noch zur Schule und war angesichts der vielen Athleten aus aller Welt, die an jedem Tag in der Stadt unterwegs waren und Duisburg endlich einmal so etwas wie internationales Flair verliehen, total mit dem Universiade-Virus infiziert. Bei den Leichtathleten im Wedaustadion war ich Dauergast. Seitdem steht für mich fest: Ich will, dass Olympia ins Ruhrgebiet kommt.

Auch interessant

Seit 1989 hat sich vieles geändert. Olympia ist größer, pompöser und noch korrupter geworden. Die Anforderungen, die das IOC an die Ausrichterstädte stellt, sind immens und – das Beispiel Rio zeigt es – kaum zu stemmen, wenn eine Vielzahl neuer Sportstätten, die später eigentlich niemand braucht, aus dem Boden gestampft werden muss. IOC-Chef Thomas Bach sagte den Einwohnern Rios, sie sollten sich bitte über die neue U-Bahn freuen, die sie Dank Olympia nun haben. Vermutlich hätten sich einige Bürger der Stadt auch schon über eine dauerhaft funktionierende Stromversorgung gefreut. Aber das ist ja Kleinkram, mit dem sich das IOC nicht abgibt.

Olympia landet in seinen Austragungsorten wie ein Ufo und wenn die Aliens vom IOC wieder abgezogen sind, hinterlassen sie eine Wüste aus Beton und einen Berg aus Schulden.

Athleten sollen die verdiente Anerkennung bekommen

Daher fällt es schwer, für Olympia in meiner Heimat zu sein. Aber einfach „Nein“ zu sagen wie die Hamburger, wäre mir wiederum auch zu billig. Denn so ein „Nein“ ist oft ein „Nein“ um des Neinsagens Willen. Wenn ich für Olympia im Ruhrgebiet bin, dann in aller erster Linie aus dem Grund, dass ich dieses Flair wieder spüren möchte und den vielen, vielen Athleten in dieser Region wünsche, dass sie endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen.

Auch interessant

Ich glaube, in ganz Deutschland gibt es keine Region, die schon jetzt so viele Voraussetzungen für Olympia erfüllt – zumindest dann, wenn man die Spiele als das betrachtet, was sie eigentlich sein sollten: ein Sportfest.

Keine Region hat so viele bereits bestehende Sportstätten. Nirgends gibt es so viele Mehrzweckhallen, nirgends gibt es eine so große Dichte an Sporthallen und -plätzen und nirgends ist die Infrastruktur – zumindest auf dem Papier – so gut wie im Ruhrgebiet oder gerne auch in ganz NRW.

Olympia der kurzen Wege in NRW möglich

Selbst wenn man die Spiele aufs ganze Bundesland ausweiten würde (plus Segeln irgendwo an der Küste), wären bei uns Spiele der kurzen oder zumindest schnellen Wege möglich. Die Infrastruktur ist da, muss aber natürlich kräftig verbessert werden. Das Schienennetz führt selbst in das entlegenste Dorf. Es wird nirgends nötig sein, Menschen zu vertreiben, Stadtteile abzureißen oder Umweltsünden zu begehen.

Der Haken an der Sache: Die Zeit drängt. Denn oberflächlich mögen schon heute zahlreiche potenzielle olympische Schauplätze vorhanden sein. Aber wer genauer hinsieht, wird bald merken, dass es bröckelt und die meisten Stätten natürlich völlig unterdimensioniert wären. Unsere Sporthallen zerbröseln, auf so mancher Tartanbahn wächst Moos und viele, viele Sportstätten versprühen den Charme einer schlecht gelüfteten Umkleidekabine aus dem Jahr 1977.

Wir bräuchten ein Olympiastadion, denn ein großes Stadion mit Laufbahn haben wir in ganz NRW nicht mehr. Der Fußball hat gewonnen. In Köln, Düsseldorf und Gelsenkirchen standen Arenen, die problemlos zum Olympiastadion hätten hochgerüstet werden können. Das kleine Wedaustadion, das den Anforderungen der Universiade genügte, ist längst eine reine Fußball-Arena, das Stadion Rote Erde in Dortmund ist klein und wird es auch bleiben müssen. Wir haben kein Schwimmstadion, geschweige denn eine Sprunganlage, seit immer mehr Sportbäder in Spaßbäder umgewandelt werden. Statt Sprungtürmen ragen Wasserrutschen in den Himmel. Kurzum: Die Infrastruktur für Leistungssport wird immer dünner und immer schlechter. Das gilt es zu stoppen.

Möglichkeiten von Aachen bis zum Sauerland

Doch neben diesen Defiziten, gibt es in NRW reichlich Lichtblicke. Die Regattabahn in Duisburg hat internationale Klasse. Triathlon-Wettbewerbe könnten angesichts der Vielzahl an Seen, Baggerseen und Kanälen problemlos an zehn Orten stattfinden. Wildwasserbahnen und Mountainbike-Strecken ließen sich perfekt in die sauerländischen Berge einbetten. Für Straßenradrennen böte allein schon Dortmund herausragende Bedingungen für eine anspruchsvolle Streckenführung. Aachen ist bereits jetzt das Mekka des Pferdesports. Alle Sportstätten, die wir nicht haben, ließen sich auf den zahlreichen Industriebrachen errichten. Darüber hinaus könnte Olympia ein Motor für den sozialen Wohnungsbau sein, denn irgendwo müssen die Athleten ja untergebracht werden – München wäre hier ein Beispiel für die nachhaltige Nutzung eines olympischen Dorfs.

Im Ruhrgebiet oder in NRW wäre Olympia kein Ufo. Im Gegenteil. Alle, wirklich alle Sportarten würden in dieser Region und ihrem Umland ihr fachkundiges und faires Publikum finden. Die fleißigen Mitglieder Abertausender Sportvereine im Revier hätten endlich Gelegenheit, ihre Sportart einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und zu zeigen, dass es neben dem Fußball noch zig andere interessante Sportarten gibt, die dringend Nachwuchs benötigen. Aber diese Disziplinen benötigen Präsenz, am besten im Alltag einer Stadt.

Daher appelliere ich an alle Leichtathleten, Bogenschützen, Schwimmer, Ruderer, Kanuten, Rugby-Spieler, Turner, rhythmische Sportgymnastinnen und, und, und: Verbündet euch, zeigt euch! Wenn das Publikum und der Nachwuchs nicht zu euch kommen, müsst ihr dahin, wo Publikum und Nachwuchs sind: in die Schulen, in die Fußgängerzonen, ins Leben. Lockt Sponsoren, zeigt, wie sexy ihr seid.

Olympia im Ruhrgebiet? Haben wir an jedem Wochenende!

Denn wenn es in NRW gelänge, dass alle Nicht-Fußballer an einem Strang zögen und deutlich Präsenz zeigten, dann würde eines sehr schnell klar: Olympia im Ruhrgebiet? Haben wir schon längst – an jedem Wochenende.

Olympia im Ruhrgebiet wären Spiele mittendrin. Zwischen Trinkhalle und Villenviertel gibt es eine immens hohe Dichte an Sportlern und Sportbegeisterten. Das Ruhrgebiet wäre der beste Ort der Welt, um Olympia zu erden und wieder auf den Boden der sportlichen Tatsachen zu holen. Ja, wir im Ruhrgebiet können Olympia retten.

Also, Jugend der Welt: Komma bei mich bei!