Dortmund. Deutsche Athleten müssen für Olympia strengere Normen erfüllen als ihre Konkurrenz. Dagegen regt sich Widerstand. Mit Recht, meint unser Laufblogger.
Stellen Sie sich vor, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird in der EM-Qualifikation mit Ach und Krach Gruppensieger, löst aber das Ticket zur Europameisterschaft. Doch, Stopp! Was der Uefa zur Teilnahme am Endturnier genügt, reicht dem DFB noch lange nicht. Der Verband meldet "Die Mannschaft" nicht zur EM, weil sie das vom DFB geforderte Torverhältnis von +15 nicht erreicht hat.
Unvorstellbar? Ja! Blödsinn? Absolut! Wer macht denn sowas? Niemand. Halt, doch! Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) macht sowas.
Der DLV bürdet vielen seiner Athleten eine strengere Qualifikationsnorm für die Olympischen Spiele 2016 in Rio auf als es der Weltverband für alle tut. Was das für einzelne Sportler bedeuten kann, zeigen gleich drei Beispiele, die der Berlin-Marathon geliefert hat. Dort rannten mit Anna Hahner, Philipp Pflieger und Julian Flügel gleich drei Deutsche um die Qualifikation für Rio. Die gute Nachricht: Alle drei erfüllten die Norm des Internationalen Verbandes IAAF.
Die Ergebnisse der besten drei Deutschen beim Berlin-Marathon:
- Philipp Pflieger 2:12:50
- Julian Flügel: 2:13:57
- Anna Hahner: 2:30:19
Die schlechte Nachricht: Keiner der Drei darf nach jetzigem Stand nach Rio. Denn der DLV ist strenger als die IAAF. Philipp Pflieger und Julian Flügel hätten in Berlin eine Zeit von 2:12:15 Stunden laufen müssen, um den DLV-Anforderungen zu genügen, während der Weltverband schon mit 2:17:00 zufrieden gewesen wäre. Anna Hahner lag mit ihrer Zeit ebenfalls klar unter der internationalen Norm von 2:42:00. Der DLV verlangt aber 2:28:30 Stunden.
Besonders abstrus werden die DLV-Normen, wenn man einen Blick auf die Ergebnisse der letzten Leichtathletik-WM in Peking wirft. Die dortigen Medaillengewinner im Marathon der Männer liefen Zeiten von 2:12:28, 2:13:08 und 2:13:30 Stunden. Der DLV verlangt also allen Ernstes, dass ein deutscher Marathoni eine Zeit laufen kann, die bei Olympia in Rio möglicherweise für einen Platz auf dem Treppchen reicht. So viel zum Thema "Dabei sein ist alles".
Für Pflieger ergab sich beim Berlin-Marathon die absurde Situation, dass er über eine lange Distanz in einem Grüppchen mit den Belgiern Laurent Caelen und Willem van Schuerbeeck lief. In der Endabrechnung liegt das Trio zwei Sekunden auseinander, mit Pflieger in der Mitte. Doch anders als der Regensburger konnten seine belgischen Kontrahenten ganz entspannt laufen. Denn Caelen hatte bereits im April beim Marathon in Anvers das Ticket für Rio gelöst (2:16:08), und van Schuerbeeck spurtete in Berlin ebenfalls zu seinem Rio-Ticket.
Veranstalter der fünf großen Marathons kämpfen für Pflieger
Angesichts dieser Schieflage melden sich nun auch die Veranstalter der fünf größten deutschen Marathons zu Wort und fordern, dass Pflieger für Olympia in Rio nominiert wird. "So wird aufstrebenden Athleten wie dem 28 Jahre alten Pflieger die Olympiachance genommen. Was dies für seine Motivation und noch viel schlimmer: für die Motivation von Nachwuchsläufern bedeutet, sich der zehrenden Marathon-Laufbahn mit meist nur zwei großen Wettkämpfen im Jahr hinzugeben, dürfte klar sein", schreiben die Organisatoren der Läufe von Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Köln. Hinzu kommen im Falle Pflieger besondere Umstände. Im Vorjahr gab der 28-Jährige sein Debüt beim Frankfurt-Marathon und brach dort bei Kilometer 36 ohnmächtig zusammen. Berlin 2015 war sein erster gefinishter Marathon - und auf Anhieb erfüllte er die internationale Olympianorm.
Die Leichtathletik führt in Deutschland nicht gerade ein Leben auf der Sonnenseite des Sports. Sie existiert im Schatten des Fußballs, in einem Jammertal, in welchem sie mit Sportarten wie Hockey, Tischtennis oder Badminton um mediale Aufmerksamkeit konkurriert. Doch statt ihre Vorzüge offensiv zur Schau zu stellen, also mit den vielen engagierten, intelligenten und obendrein oftmals unverschämt gut aussehenden Sportlerinnen und Sportlern für sich zu werben, jammert die Leichtathletik über ihr tristes Dasein. Und damit sich das bloß nicht ändert, verhindert der DLV über seine wahnwitzigen Normen, dass junge, talentierte Sportler die Möglichkeit bekommen, sich bei Olympia mit den besten der Welt der Welt zu messen und sich für Sponsoren und Medien ins Schaufenster zu stellen.
DLV sollte auf verschärfte Normen verzichten
Es sollte darum auch keine besondere "Lex Pflieger" geben, sondern einen grundsätzlichen Verzicht auf die verschärften DLV-Normen. Wo liegt der Sinn darin, von einem deutschen 100-Meter-Sprinter eine Zeit von 10,14 Sekunden zu fordern, wenn die IAAF 10,16 Sekunden verlangt? Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland vor Weltklasse-Sprintern nur so wimmelt.
In offiziellen Verlautbaren verlangt der DLV von seinen Olympioniken oder WM-Startern eine "erweiterte Endkampfchance". Das soll heißen, dass der DLV Boris Becker 1985 nicht nach Wimbledon geschickt hätte und dass die deutschen Fußballer 1954 nicht zur WM hätten fahren dürfen. So schafft sich eine Sportart selbst ab.