Essen.. Der erste Sieger auf der Marathon-Strecke am Baldeneysee hieß Werner Nießer, der knapp über 2:40 Stunden lief. Die Trikots waren damals noch aus reiner Baumwolle.

Um sieben Uhr morgens wird es ernst. Drei Stunden braucht der Körper, bevor er richtig auf Touren kommt. „Zum Frühstück nehme ich drei Scheiben Toastbrot mit Marmelade und leichtem Käse, eine Banane und Fencheltee“, sagt Paul Kowalski, „dann reibe ich meine Waden und Oberschenkel mit einer Pferdesalbe ein.“ Der 77-Jährige weiß, wie man sich auf einen Marathonlauf vorbereitet. Wenn er am Sonntagmorgen um 10 Uhr am Start stehen wird, ist es das 25. Mal, dass er die 42,195 Kilometer lange Strecke rund um den Essener Baldeneysee in Angriff nimmt. Aber nicht nur Paul Kowalski feiert Jubiläum, auch der Ausrichter Tusem Essen. Der Lauf im Essener Süden findet zum 50. Mal statt und ist damit der älteste Marathon in Deutschland.

Bei der Premiere 1962 gewann der Wuppertaler Werner Nießer in 2:40:55 Stunden. „Wir waren damals 50 Läufer“, erinnert sich der heute 81-Jährige, „Verpflegung gab es nicht. Das war noch nicht modern. Wir sind einfach durchgelaufen.“ Marathon, das war Spezialisten vorbehalten. 42,195 Kilometer am Stück laufen? Das war etwas für ein paar Dutzend kauzige Abenteurer. Und wenn sich der heutige 4:30-Stunden-Durchschnittsläufer per Zeitmaschine 50 Jahre zurück versetzen ließe und sich in den Tusem-Marathon verirren würde, wäre das Erwachen bitter. 4:30 Stunden nach dem Startschuss war früher das Ziel am Baldeneysee längst abgebaut, die Zeitnehmer saßen schon längst zuhausen bei Kaffee und Kuchen.

Essener Strecke gilt schon lange als superschnell

Die Essener Strecke galt schon in den Sechziger und Siebziger Jahren als superschnell, obwohl sie noch nicht wie heute um den See führte, sondern als Pendellauf an einem Ufer durchgeführt wurde. Als in Essen schon längst Sieger gekürt wurden, war an den Berlin oder New York Marathon noch nicht zu denken. In New York gingen am 13. September 1970 bei der Premiere 127 Läufer – 126 Männer und eine Frau – auf die vier großen Schleifen durch den Central Park. Die Erfolgsgeschichte des Berliner Marathons, bei dem heutzutage schon Monate vor dem Meldeschluss die Maximalzahl von 45 000 Läufern erreicht wird, begann am 13. Oktober 1974 mit 286 Läufern aus vier Nationen.

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Der Tusem-Marathon kann mit den großen Stadt-Läufen nicht konkurrieren. Aber der Kurs hat bei einer maximalen Teilnehmerzahl von 3000 Läufern bis heute nicht an Beliebtheit verloren. „Der Lauf am Baldeneysee ist von der Landschaft wunderbar und ist auch sehr schnell“, sagt Paul Kowalski, „ich bin hier 1980 zum ersten Mal gelaufen. Damals war Zielschluss nach 3:30 Stunden.“ Es war sein erster Marathon. Im Alter von 45 Jahren kam er nach 3:20 Stunden ins Ziel. Mit 50 steigerte er sich sogar auf 2:53 Stunden. Paul Kowalski kommt jedes Jahr zum Tusem-Marathon. „New York oder Berlin? Da juckt es mich nicht in den Füßen“, sagt er, „viel zu viele Leute, nur Gedränge.“

Die Sohlen waren steinhart

Aber früher war nicht alles besser. Nicht für Kowalski. „Wir sind doch früher mit Schuhen gelaufen, deren Sohlen steinhart waren. Und dann die Trikots. 100 Prozent Baumwolle. Die konntest du hinterher auswringen. Man hat doch ein Kilo Schweiß mitgeschleppt.“ Wenn Paul Kowalski am Sonntag insgesamt zum 46. Mal auf die 42195 lange Strecke gehen wird, dann setzt er auf seine leichten High-Tech-Schuhe und seine atmungsaktive Funktionskleidung. Drei Jahre will er noch mindestens dem Tusem-Marathon die Treue halten. „Mit 80 ist dann Schluss“, sagt er. Unter fünf Stunden will er beim Jubiläum am Sonntag bleiben. Das wäre bei der Premiere vor 50 Jahren gar nicht möglich gewesen. Früher war nicht alles besser. Nicht nur für Kowalski.