Gelsenkirchen. . Jan Fitschen, Ex-Europameister über 10.000 Meter, steht vor dem Karriereende. Sonntag läuft der Wattenscheider mit Lesern in einer Marathon-Staffel.

Seit seinem Sensationssieg über 10.000 Meter bei den Leichtathletik-EM 2006 ist Jan Fitschen vom TV Wattenscheid so etwas wie der deutsche Vorläufer. Fitschen ist aber nicht nur wegen seiner Leistungen so populär. Er ist ein Star zum Anfassen, der locker mit Fans plaudert. So freuen sich auch die drei Leser dieser Zeitung, die bei einer Verlosung einen Platz in der Marathon-Staffel gewonnen haben, auf ihren Einsatz mit Fitschen. Am Sonntag starten im Revier beim Vivawest-Marathon 8000 Läufer in verschiedenen Disziplinen. Fitschen, der im August erstmals Vater wird, laboriert allerdings seit zwei Jahren an einer Fußverletzung. Im Interview spricht er über das nahende Karriereende, über die deutsche Laufszene und seine Bewunderung für Kenianer.

Herr Fitschen, beim Ruhr-Marathon steht für Sie der Spaß im Vordergrund. Ihr letzter ernsthafter Wettkampf ist zwei Jahre her, als Sie Deutscher Halbmarathon-Meister wurden. Wie läuft es buchstäblich im Moment?

Jan Fitschen: Nicht so gut. Die Fuß-OP im Herbst 2013 ist nicht so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Damals hieß es, nach drei Monaten kannst du Vollgas geben. Leider habe ich schon seit zwei Jahren nicht richtig Gas gegeben. Ich habe immer noch Schmerzen. Mehr als dreimal in der Woche joggen ist nicht drin. Das ist richtig doof.

Vor einer Woche sind Sie 38 Jahre alt geworden. Ist jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, um einfach mal zu sagen, Leute, es geht leider nicht mehr?

Fitschen: Ich denke jeden Tag mehr über dieses Thema nach. Offiziell will ich meinen Rücktritt aber noch nicht erklären. Ich schaffe es nicht zu sagen, so, das war es. Aber der Tag rückt näher und ich freunde mich langsam mit dem Gedanken an. Ich weiß, dass es ziemlich unrealistisch ist, dass ich noch einmal voll in den Leistungssport zurückkehren werde.

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Was hindert Sie denn daran, den letzten Schritt für das Karriereende zu vollziehen?

Fitschen: Ich lasse mich im Juni noch einmal am Fuß operieren. Wenn die OP super verläuft, dann werde ich sehen, ob das Feuer in mir nicht noch zu heiß brennt, um einen letzten Versuch für ein Comeback zu wagen. Erst einmal ist die Zielstellung jedoch, überhaupt wieder schmerzfrei laufen zu können. Nichts macht mir soviel Spaß wie das Laufen.

Wie weh hat es getan, so viele Frusterlebnisse zu erleben?

Fitschen: Es war nicht die erste längere Verletzungspause für mich. Aber es schmerzt gewaltig, so untätig zu sein. Jedes Mal probierst du neue Methoden der Medizin und der Physiotherapie aus und dann bekommst du wieder so einen Schlag ins Gesicht. Das ist nervenaufreibend. Eine Zeit lang war ich, ehrlich gesagt, unausstehlich. Wenn man so viel Leidenschaft mitbringt wie ich, dann leidet man auch besonders, wenn es nicht läuft.

Wenn es den Profiläufer Jan Fitschen nicht mehr gibt, was machen Sie dann? Sie sind Diplom-Physiker und haben Betriebswirtschaft studiert.

Fitschen: Den Freizeitläufer Jan Fitschen wird es immer geben. Wo es beruflich hingehen wird, weiß ich noch nicht. Im Moment konzentriere ich mich auf Projekte für mein Buch über Kenia, das im Herbst erscheinen wird. Am liebsten würde ich weiterhin auch beruflich mit dem Sport verbunden bleiben.

Der Läufer Jan Fitschen fehlt der deutschen Marathon-Szene. Warum gibt es so wenige gute Marathonläufer?

Fitschen: Leider haben wir keine so breite Basis von Läufern über 10.000 Meter, die dann sagen, so, jetzt probiere ich es mal mit dem Marathon.

Sind die heutigen Läufer zu bequem oder stimmen die Rahmenbedingungen nicht?

Fitschen: Sowohl als auch. Es gibt zu viele, die sich für den leichten Weg entscheiden und nicht genügend Kilometer machen. Das kann man ihnen gar nicht vorwerfen, denn jeder muss sehen, wo er beruflich bleibt. Und dann ist die Entscheidung für das Laufen die falsche, denn die Möglichkeit ist sehr gering, damit wirklich Geld zu verdienen. Die Förderung in Deutschland ist nicht gut. Ohne Hilfe der Eltern geht nichts.

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Was müsste passieren?

Fitschen: Wirtschaftsunternehmen müssten Geld geben, um Laufgruppen zu unterstützen. Aber damit ist es nicht getan. In erster Linie muss in den Schulen mehr Begeisterung für den Laufsport geweckt werden. Die Schulstaffel jetzt beim Marathon durch das Ruhrgebiet ist ein positives Beispiel. Wenn am Sonntag mehr als 1000 Schüler am Start stehen, dann bleiben vielleicht ein paar übrig, die den Biss, die den Ehrgeiz haben, mehr zu wollen und es dann ernsthaft mit der Leichtathletik probieren.

In Kenia ist dies anders. Was haben die Kenianer uns voraus?

Fitschen: Die Antwort ist ganz einfach. Ihnen geht es nicht so gut wie uns in Deutschland. In Kenia gibt es keine beruflichen Alternativen. Nur über das Laufen kommst du nach oben. Man läuft oder man passt auf die Kühe auf. Die Kenianer haben aber auch bessere körperliche Voraussetzungen, weil sie eine andere Muskelstruktur als wir haben. Selbst wer bei uns als drahtig durchgeht, ist in Kenia am oberen Gewichtslimit.

Was kann ein deutscher Hobbysportler aus Ihrem Buch über das Laufen in Kenia lernen?

Fitschen: Sehr viel, was die Motivation angeht. Es ist bewundernswert, wie die Kenianer den Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Lockerheit hinbekommen. Ein Kenianer wird nicht nervös, wenn er am Verpflegungsstand mal nicht seinen Wasserbecher bekommt. Die kriegen das hin, was man Hakuna matata nennt: Nur keine Sorgen machen.