Essen. Jan Fitschen vom TV Wattenscheid, Europameister 2006 über 10000 Meter, ist der erfolgreichste deutsche Langstreckler der vergangenen Jahre. Oft ist er nach Kenia gereist, um von den Laufwundern zu lernen. Wir haben einige seiner Eindrücke aufgeschrieben. Im Herbst tut er das selbst. In einem Buch.
In der Ferne bellen einige Hunde. Ansonsten ist es mucksmäuschenstill. Kinder kommen aus ihren Hütten, um sich auf den weiten Fußmarsch zur Schule zu machen. Es ist noch stockduster, sie sind nur wegen der Reflektoren an ihren Schuluniformen zu erkennen. Sechs Uhr. Fitschen ist pünktlich. Er fragt sich, ob er sich den falschen Treffpunkt, die falsche Zeit gemerkt hat. Aber er ist nur pünktlich. So sind wir Deutschen. Aber dann kommen sie noch ein wenig müde aus ihren Hütten geschlappt, die laufenden Helden der roten Feldwege. Vom Olympiasieger bis zum jugendlichen Hoffnungsträger. Allmählich brechen sich die Sonnenstrahlen ihren Weg durch den frühmorgendlichen Nebel. Und jetzt sind die schmalen, feingliedrigen Gestalten in ihren bunten Jacken zu erkennen. Mal sind es 80, mal sind es 120 Kenianer, die sich zu diesem Lauftreff der besonderen Art versammeln. Zwischen 10 und 20 Kilometer rennen sie auf den ebenso welligen wie roten Lehmwegen. Hähne krähen in den benachbarten Gärten. Der Morgenlauf beginnt.
Laufen macht reich
Nicht nur in Iten, auf den staubig roten Pisten inmitten des Rift Valleys 300 Kilometer von Nairobi entfernt, spulen Hundertschaften von Kenianern ihr Trainingsprogramm ab. Sie rennen um ein besseres Leben. Sie laufen, um so reich zu werden wie ihre Vorbilder. Jeder kennt einen Nachbarn, der den Weg aus den Hütten hinaus in die Weltelite geschafft hat.
Zum Beispiel Wilson Kipsang, der eines der drei Hotels in Iten besitzt. Der Läufer vom Stamm der Nandi schraubte 2013 in Berlin den Marathon-Weltrekord auf unfassbare 2:03:23 Stunden und strich vor einer Woche eine hohe sechsstellige Prämie für seinen Erfolg in London ein. Mindestens 1000 Läufer, manche sprechen von 3000, wollen nach oben. Sie warten darauf, von einem Manager entdeckt zu werden. Vielleicht 30 von ihnen werden den ersehnten Sprung nach Europa schaffen. Die anderen bleiben bei diesem gnadenlosen Aussiebungsverfahren auf der Strecke.
So wie Jakob Limo. Bett, Tisch, Stuhl - und natürlich der Ugali-Kocher, viel mehr besitzt er nicht. Laufschuhe sind sein einziger Luxus. Bevor er am Sonntag in die Kirche geht, wäscht er den roten Staub ab. Jakob hat die 30 überschritten. 2:19 Stunden ist seine Marathon-Bestzeit. Selbst als Deutscher könnte er nicht auf die Karte Sport setzen. Jakob tut es. „Er hat nur zwei Möglichkeiten“, sagt Fitschen, „entweder er rennt weiter oder er passt auf die Kühe seines Vaters auf.“
Jakob läuft weiter. Neun Euro Miete zahlt er für seine Hütte. Maisbrei macht satt. Jakob gibt nicht auf, sein Traum lebt.
Ugali macht schnell
Ugali macht schnell. Das glauben jedenfalls wir, weil die Kenianer so viel von diesem Maisbrei essen. Es ist nur ein Teil der Wahrheit. Die meisten Kenianer können sich gar nicht viel mehr leisten als Ugali. Ein bisschen Obst, ein wenig Gemüse. Milch von der Kuh aus dem eigenen Garten. Jakob Limo zahlt 80 Cent für zwei Kilo Ugali. Eine Woche kommt er damit aus.
Natürlich isst auch Fitschen Ugali, wenn er auf dem Plateau in 2400 Meter Höhe trainiert. Der Maisbrei ist eine zähe Masse, lädt nach kilometerlanger Rennerei jedoch die Akkus wieder auf. Garantiert 100 Prozent Bio. Aber schmeckt es auch? Fitschen ist ehrlich: „Mit ordentlich Ketchup drauf geht es.“
Die Muzungus kommen
In der Marathon-Weltrangliste 2013 kommen 36 der besten 50 Läufer aus Kenia, bei den Frauen sind es 23. Seit einigen Jahren sind die Kenianer in ihren Trainingsorten in Elderet oder Iten nicht mehr allein. Die Muzungus kommen, wie die Einheimischen die Weißen nennen. Auch Deutschlands Lauf-Asse wie Jan Fitschen oder Sabrina Mockenhaupt bereiten sich in Kenia vor.
„In der ersten Woche bist du in einer Höhe von 2400 Metern fix und fertig“, sagt Fitschen. Aber dann setzt der gewünschte Effekt ein. Inzwischen kommt nicht nur die Elite. Auch Hobbyläufer fahren nach Iten. Mit dem Flugzeug bis Nairobi, mit dem Kleinbus für sieben Euro nach Iten. Eine Nacht im Kerio View Hotel kostet rund 70 Euro. Der atemberaubende Blick auf das 1000 Meter tiefer gelegene Tal inklusive.
Geboren, um zu rennen
Was haben die Kenianer, was wir nicht haben? Jan Fitschen kennt die Antwort auch nicht, aber wenn er sich neben einen seiner ostafrikanischen Gegner stellt, sieht er sofort zwei Unterschiede. Erstens haben sie viel, viel dünnere Wadenmuskeln und zweitens bei gleicher Größe weitaus längere Beine. Fitschen: „Was will ich mit einem langen Oberkörper. Ich brauche Beine, Beine, Beine.“ Seine Beine kann er nicht verlängern, aber die Haare verkürzen. Fitschen trägt jetzt Glatze. Wenigstens auf dem Kopf ist er Kenianer.