Lemgo. Nach zwei Niederlagen zum Saisonstart hat der TBV Lemgo seinen ersten Saisonsieg in der Handball-Bundesliga gefeiert. 31:28 (17:15) über die MT Melsungen. Torwart Nils Dresrüsse und Rechtsaußen Florian Kehrmann präsentieren sich in starker Verfassung.
Die Bilder, die nach dem Schlusspfiff am Mittwochabend in der Lipperlandhalle zu sehen waren, machen Worte fast überflüssig. Riesig war die Erleichterung bei Trainer Dirk Beuchler und den Spielern des TBV Lemgo, dass sie nicht einen totalen Fehlstart in der Handball-Bundesliga hingelegt hatten und am dritten Spieltag zu ihren ersten Punkten gekommen waren. Glücklich waren sie. „Die Moral hat absolut gestimmt. Der Kampfgeist war da und auch die Wachsamkeit, die Aktionen anzunehmen“, sagte der Lemgoer Coach nach dem 31:28 (17:15) über die immer noch sieglose MT Melsungen.
Nach den Pleiten im Ostwestfalen-Derby gegen den TuS N-Lübbecke sowie bei Frisch Auf Göppingen hatte es ein bisschen rumort. „Wir haben schon Druck gehabt, und das hat man auch gespürt“, sagte Dirk Beuchler. Was er wohl gesagt hätte, wenn der TBV in der Tabelle jetzt mit 0:6 Punkten stünde? Dazu hätte es vielleicht kommen können, wenn Melsungens Michael Allendorf den Siebenmeter in der 49. Minute nicht an den Pfosten gesetzt und zum 26:26 ausgeglichen hätte. „Dann“, sagte MT-Coach Michael Roth, „hätten die Lemgoer vielleicht noch ein bisschen Nerven gezeigt.“
Zeigten sie aber nicht. Und in der Folge ging es dann vor den 3557 Zuschauern eigentlich ganz schnell. Timm Schneider traf von der Siebenmeter-Marke zum 27:25. Dirk Beuchler nahm eine Auszeit, und die drei (!) Melsunger Fans sangen in der Lipperlandhalle „Lemgo ist nervös“. Carsten Lichtlein, der seinen Platz nach 13 schwachen Minuten für Nils Dresrüsse hatte räumen müssen, parierte den Siebenmeter-Ball von Nenad Vuckovic. Auf der anderen Seite machte es Timm Schneider besser. Viel besser sogar. Es war schon klasse, wie cool der 24-Jährige MT-Keeper Mikael Appelgren überwand. Und als dann Jens Bechtloff einen Gegenstoß zum 29:25 nutzte, war die Partie entschieden.
Überzeugend im Innenblock: Sebastian Preiß und Gunnar Dietrich
„Der Lemgoer Sieg ist verdient“, sagte dann auch Michael Roth. „Wir haben nur einmal geführt, das war beim 1:0.“ Zufrieden war der 50-Jährige mit seinem Angriff, bei dem er eine deutliche Leistungssteigerung erkannt hatte. Obwohl: Eine gefühlte halbe Stunde bestand der Melsunger Rückraum nur aus zwei Spielern, weil sich Grigoris Sanikis ausschließlich darauf konzentrierte, den Volleyball-Libero auch im Handball populär zu machen. Die Devise: Es ist nicht erlaubt zu werfen. Und schon gar keine Tore. Ohnehin sah das, was die Melsunger im Angriff präsentierten, auch wenn Michael Roth das anders wahrgenommen haben sollte, häufig nicht schön aus. Total unattraktiv.
Dafür gab es jedoch auch einen Grund, nämlich eine 6:0-Deckung des TBV Lemgo, die sich deutlich stärker präsentierte als in den ersten beiden Saisonspielen. Trainer Dirk Beuchler stellte vor allem die Gemeinschaft in den Vordergrund und sprach von einer „kollektiven Leistung, die wir aus der vergangenen Saison und aus der Vorbereitung gewohnt sind“. Er wird jedoch auch gesehen haben, dass der Mittelblock, den meistens Sebastian Preiß und Gunnar Dietrich bildeten, der allerdings recht früh mit zwei Zeitstrafen belastet war und entlastet werden musste, phasenweise richtig gut funktionierte. Und auch dafür gab es eine Erklärung. „Wenn Michael Allendorf und Christian Hildebrand 30-mal schießen, dann schießen sie halt 30-mal“, sagte Dirk Beuchler und meinte die Melsunger Außen. „Aber zumindest die Mitte muss zu sein.“ War sie nicht immer, aber häufig.
Nils Dresrüsse bleibt neun Minuten ohne Gegentor aus dem Feld
Und damit es auch jeder am Mittwochabend verstand, erklärte der Lemgoer Trainer – neben ihm saß TBV-Geschäftsführer Fynn Holpert und strahlte ob des ersten Saisonsieges – noch einmal ganz deutlich: „Es geht nur übers Kollektiv. Wir haben keine überragenden Einzelspieler.“ Ja. Vielleicht nicht konstant über eine ganze Saison. Für kurze Momente aber doch. Deshalb sollten vor allem zwei TBV-Spieler auch erwähnt werden: Nils Dresrüsse und Florian Kehrmann.
Der vermeintlich zweite TBV-Keeper kam beim 7:7 und schaffte es dann, neun (!) Minuten ohne einen Gegentreffer aus dem Feld zu bleiben. In dieser Zeit setzten sich seine Vorderleute auf 12:7 ab. Unter anderem, weil Nils Dresrüsse klasse gegen Melsungens Linksaußen Michael Allendorf parierte, weil der 22-jährige Keeper auch Glück hatte, dass sein total verunglückter Pass trotzdem noch bei seinem Mannschaftskameraden Sebastian Preiß ankam, und weil Nils Dresrüsse einen Rückraum-Wurf von Nenad Vuckovic sogar fing.
Starke Leistung des Weltmeisters von 2007: Florian Kehrmann
Florian Kehrmann. Weltmeister 2007 und dreimal Deutschlands Handballer des Jahres. Der Kapitän des Lemgoer Teams. Trotz seiner inzwischen 35 Jahre ist er auf der Rechtsaußen-Position unumstritten. Warum, zeigte er mal wieder am Mittwochabend. Die TBV-Institution ist aber anders als eine gewöhnliche Institution. Zwar routiniert, aber nie langweilig. Florian Kehrmann sorgte im Spiel gegen die Nordhessen für Frische und für Ideen, und zwar nicht nur auf seiner Position. Ein Beispiel seiner für die Ostwestfalen unverzichtbaren Klasse: Nachdem die Melsunger eine Sechs-gegen-vier-Überzahl genutzt hatten, um von 13:16 auf 15:16 zu verkürzen, wühlte sich Florian Kehrmann durch und den Ball auch an Keeper Per Sandström vorbei: vier gegen sechs. Zum 17:15-Pausenstand, weil Nils Dresrüsse den Gegenzug beendete – mit einer Parade gegen Christian Hildebrand.
Nach dem Wechsel startete MT-Coach Michael Roth wieder mit einer 6:0-Deckung wie zu Beginn des Spiels. Und wie auch in der ersten Hälfte änderte er die Abwehrformation später in eine 5:1-Deckung. Diesmal in der 39. Minute, um genau zu sein. Letztlich ohne Erfolg. Obwohl sich die Rote Karte, die sich Abwehr-Chef Daniel Kubes nach einem sehr, sehr rüden Foul an Martin Strobel in der 37. Minute eingehandelt hatte, bei den Melsungern nicht bemerkbar gemacht hatte. „Die Konsequenz der Roten Karte war, dass meine Mannschaft besser gespielt hat“, sagte Trainer Michael Roth. Er sprach von einer berechtigten Disqualifikation, hielt einen Bericht der Schiedsrichter Matthias Brauer/Kay Holm und somit wohl eine Sperre für Daniel Kubes für überzogen.
Martin Heuberger nominiert Carsten Lichtlein und Felix Danner
Apropos Martin Strobel: Für den Rückraum-Mitte-Mann des TBV, der nach seinem Mikroriss im Fuß längst noch nicht bei 100 Prozent ist, folgte auf den Mini-Einsatz in der ersten Halbzeit, als Dirk Beuchler eigentlich mit sechs Akteuren plus Torwart durchgespielt hatte, eine komplette zweite Hälfte. „Ich freue mich, dass sich die Mannschaft einmal mehr gesteigert hat“, sagte Fynn Holpert. Und der seit dem Abschied von Volker Zerbe einzige Geschäftsführer der Lemgoer Handballer musste dann auch unbedingt sein Sonderlob loswerden. „Man hat gesehen, dass Martin Strobel für diese junge Mannschaft absolut wichtig ist. Aber wir dürfen das jetzt nicht nur auf Martin reduzieren.“ Das ließe Trainer Dirk Beuchler auch gar nicht zu.
Zwei Spieler, die am Mittwochabend in der Lipperlandhalle gespielt haben, stehen im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft für die Länderspiele gegen den EM-Zweiten Serbien in Schwerin und Rostock am 22. und 23. September: Bundestrainer Martin Heuberger hat Lemgos Torwart Carsten Lichtlein und erstmals Melsungens Kreisläufer Felix Danner nominiert.
TBV Lemgo – MT Melsungen 31:28 (17:15)
TBV Lemgo: Lichtlein (1.-13. und bei fünf 7m), Dresrüsse (13.-60.) – Preiß (4), Bechtloff (2), Kehrmann (5), Strobel (3), Hermann (5), Pekeler, Schneider (10/7), Lemke (n.e.), Dietrich (2), Haenen (n.e.), Zieker (n.e.).
MT Melsungen: Sandström (1.-35. und bei einem 7m), Appelgren (35.-60. und bei einem 7m) – Stenbäcken (2), Mansson, Kubes, Fahlgren (1), Schröder (3), Vasilakis (5), Hildebrand (2), Danner (4), Sanikis, Pregler (n.e.), Allendorf (7/5), Vuckovic (4).