Krakau. Die Sensation ist perfekt: Die deutsche Handball-Nationalmannschaft ist Europameister! Im Finale deklassierte das DHB-Team Favorit Spanien mit 24:17.
So manch ein Zuschauer wird sich am Sonntagabend vermutlich kurzzeitig gefragt haben, ob er wachte oder träumte. Der Blick auf das Ticket wird ihm bestätigt haben, dass er gerade das Finale der Europameisterschaft zwischen Deutschland und dem zweifachen Weltmeister Spanien verfolgte, das Duell des Favoriten gegen die jüngste Mannschaft des Turniers. Was auf dem Feld geschah, war allerdings eine Machtdemonstration der deutschen Handballer, eine Ansage für die Zukunft und die Gegenwart, denn Deutschland besiegte Spanien 24:17 (11:6) und darf sich nun zum zweiten Mal seit 2004 Europameister nennen.
DHB-Präsident Michelmann hüpfte auf die Stühle an der Seitenlinie
DHB-Präsident Andreas Michelmann war derart begeistert, dass er mit der Schlussirene auf die Stühle an der Seitenlinie hüpfte und beinahe die gesamte Reihe umwarf. Dabei zeigt er immer wieder auf seinen Deutschlandschal, denn den hatte er erst nach der ersten Partie der Deutschen bei der EM erhalten, der Niederlage gegen Spanien. Seit er ihn trägt, hat Deutschland nicht mehr verloren.
Nachdem Kroatien sich gegen Norwegen die Bronzemedaille gesichert hatte (31:24) und damit wie Deutschland und Spanien für die WM 2017 in Frankreich qualifiziert hatte, sahen die Zuschauer in der bis unter das Dach gefüllten Tauron Arena zunächst eine unglaubliche Abwehrleistung der deutschen Handballer. Nacht acht Minuten kamen Finn Lemke und Hendrik Pekeler mit erhobenen Armen vom Feld. Spaniens Trainer Manuel Fadenas hatte die erste Auszeit genommen, denn seinem Team war bis dahin erst ein Treffer gelungen. Deutschland hingegen hatte gerade per Gegenstoß das 4:1 erzielt. Torschütze war Kai Häfner, der mal wieder eingesprungen war.
Wolff ist Deutschlands Handball-Held
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Ursprünglich hatte Fabian Wiede im rechten Rückraum begonnen, doch der Berliner hatte in der zweiten Minute einen Schlag abbekommen. Während er behandelt wurde, trug sich Häfner drei Mal in die Torschützenliste ein. Am Ende war der Linkshänder aus Schwäbisch Gmünd mit sieben Treffern der beste deutsche Werfer. Die Grundlage dafür bereiteten Lemke und seine Nebenmänner, die hervorragend eingestellt waren und jegliches Anspiel auf den spanischen Kreisläufer Julen Aguinagalde verhinderten. Darüber hinaus muss Torhüter Andreas Wolff die Wurfbilder der spanischen Außenspieler in Form eines fotografischen Gedächtnisses in seinem Kopf gespeichert haben, denn jedes Mal, wenn Spanien versuchte, die Mauer der Deutschen über die linke oder rechte Seite zu überlisten, war Wolff zur Stelle.
Allein 55 Prozent der Bälle hielt er in der ersten Hälfte. Sein Gegenüber Arpad Sterbik zeigte allerdings auch eine herausragende Leistung. Ohne ihren Schlussmann hätte Spanien schon im ersten Durchgang den Anschluss verloren. Der gebürtige Serbe hielt sogar zwei Siebenmeter von Tobias Reichmann, der während des gesamten Turniers nur einmal von der Strafwurflinie gepatzt hatte. Auch mit ihrer offensiven Deckung bereiteten die Spanier den Deutschen nun Probleme, so dass sich eine richtige Abwehrschlacht entwickelte.
Unsere Handball-Helden im Blickpunkt
Drittliga-Handballer Kevin Herzog (24) beurteilt die DHB-Auswahl.
Der 24-jährige Student lebt für den Handball. Er spielt in der 3. Liga beim Aufsteiger TuS Volmetal. Seine Position: Linksaußen oder Rückraum links. (Foto: Biene-Hagel)
Carsten Lichtlein (35), Torwart vom VfL Gummersbach. Größe: 2,02 Meter; Gewicht: 100 Kilo. Quote bei Siebenmetern: 44 Prozent
Das sagt Kevin Herzog über Lichtlein: "Lütti ist der letzte Weltmeister von 2007. Ein großer Teamplayer und unermüdlicher Motivator." (Foto: imago sportfotodienst)
Andreas Wolff (24), Torwart von der HSG Wetzlar. Größe: 1,98 Meter; Gewicht: 105 Kilo. Quote bei Feldwürfen: 35 Prozent
Das sagt Kevin Herzog über Wolff: "Unser bisher vielleicht wichtigster Spieler. Müsste aufgrund seiner Statur Bär heißen." (Foto: dpa)
Finn Lemke (23), Rückraum links vom SC Magedeburg. Größe: 2,10 Meter; Gewicht: 115 Kilo. Tore im Turnier: 1
Das sagt Kevin Herzog über Lemke: "Er ist schon durch seine Größe der Turm in der Schlacht. Sieht lieb aus, packt in der Abwehr aber zu." (Foto: dpa)
Tobias Reichmann (27), Rechtsaußen von VS Vive Kielce. Größe: 1,88 Meter; Gewicht: 85 Kilo. Tore im Turnier: 40
Das sagt Kevin Herzog über Reichmann: "Sprungwunder und Top-Torschütze. Zudem ein sicherer Siebenmeterschütze." (Foto: dpa)
Johannes Sellin (25), Rechtsaußen von MT Melsungen. Größe: 1,86 Meter; Gewicht: 85 Kilo. Tore im Turnier: 5
Das sagt Kevin Herzog über Sellin: "Ein sehr abgezockter Spieler, der hinter dem überragenden Reichmann allerdings wenig Einsätze hat." (Foto: imago sportfotodienst)
Fabian Wiede (21), Rückraum rechts der Füchse Berlin. Größe: 1,94 Meter; Gewicht: 93 Kilo. Tore im Turnier: 22
Das sagt Kevin Herzog über Wiede: "Einer der Helden aus dem Dänemark-Spiel. Besonders stark im Eins-gegen-Eins." (Foto: Getty Images)
Hendrik Pekeler (24), Kreisläufer der Rhein-Neckar Löwen. Größe: 2,03 Meter; Gewicht: 101 Kilo. Tore im Turnier: 7
Das sagt Kevin Herzog über Pekeler: "Bildet mit Lemke den Innenblock und versteht es gut, die Gegner zu provozieren. Der Schlingel." (Foto: Getty Images)
Steffen Weinhold (29), Rückraum rechts beim THW Kiel. Größe: 1,91 Meter; Gewicht: 94 Kilo. Tore im Turnier: 19
Das sagt Kevin Herzog über Weinhold: "Kapitän, Rammbock. Sieht aus wie S04-Fußballer Benedikt Höwedes. Geht dahin, wo es wehtut. Daher: leider verletzt." (Foto: dpa)
Martin Strobel (29), Rückraum Mitte der HSG Balingen-Weilstetten. Größe: 1,89 Meter. Gewicht: 90 Kilo. Tore im Turnier: 4
Das sagt Kevin Herzog über Strobel: "Der Kopf des Teams. Debütierte kurz nach der Heim-WM 2007, hat also Titel-Nachholbedarf." (Foto: Getty Images)
Erik Schmidt (23), Kreisläufer beim TSV Hannover-Burgdorf. Größe: 2,04 Meter; Gewicht: 101 Kilo. Tore im Turnier: 13
Das sagt Kevin Herzog über Schmidt: "Er ist einer der großen Überraschungen. Schmidt spielt einen soliden Part in Abwehr und Angriff." (Foto: Getty Images)
Steffen Fäth (25), Rückraum links der HSG Wetzlar. Größe: 1,95 Meter. Gewicht: 95 Kilo. Tore im Turnier: 32
Das sagt Kevin Herzog über Fäth: "Er ist der Spieler mit dem Hammer im Arm. Fast jeder seiner Würfe findet den Weg ins Tor." (Foto: dpa)
Rune Dahmke (22), Linksaußen vom THW Kiel. Größe: 1,90 Meter; Gewicht: 81 Kilo. Tore im Turnier: 22
Das sagt Kevin Herzog über Dahmke: "Rune ist der einzige Linksaußen im Team und besticht durch überragende Würfe." (Foto: Getty Images)
Simon Ernst (21), Rückraum Mitte beim VfL Gummersbach. Größe: 1,95 Meter; Gewicht: 84 Kilo. Tore im Turnier: 1
Das sagt Kevin Herzog über Ernst: "Simon ist wie der dritte Torwart beim Fußball: dabei, um Erfahrungen zu sammeln." (Foto: Getty Images)
Niclas Pieczkowski (26), Rückraum Mitte beim TuS Nettelstedt-Lübbecke. Größe: 1,93 Meter; Gewicht: 97 Kilo. Tore im Turnier: 5
Das sagt Kevin Herzog über den früheren Spieler von Einracht Hagen und dem TV Letmathe: "Er ist der Allrounder im Team, der da aushilft, wo gerade Bedarf besteht." (Foto: Getty Images)
Christian Dissinger (24), Rückraum links vom THW Kiel. Größe: 2,02 Meter; Gewicht: 103 Kilo. Tore im Turnier: 17
Das sagt Kevin Herzog über Dissinger: "Der Kieler war Deutschlands große Hoffnung - bis er sich im Turnier ebenfalls verletzte." (Foto: Getty Images)
Jannik Kohlbacher (20), Kreisläufer der HSG Wetzlar. Größe: 1,93 Meter. Gewicht: 113 Kilo. Tore im Turnier: 10
Das sagt Kevin Herzog über Kohlbacher: "Er besticht nicht nur durch perfekt liegende Haare, sondern auch durch unbändigen Willen." (Foto: dpa)
Kai Häfner (26), Rückraum rechts beim TSV Hannover-Burgdorf. Größe: 1,92 Meter. Gewicht: 96 Kilo. Tore im Turnier: 13
Das sagt Kevin Herzog über Häfner: "Bester Feld-Torschütze der Bundesliga, nachträglich für Weinhold nominiert und sofort gut im Spiel." (Foto: dpa)
Julius Kühn (22), Rückraum links vom VfL Gummersbach. Größe: 1,98 Meter. Gewicht: 92 Kilo. Tore im Turnier: 3
Das sagt Kevin Herzog über Kühn: "Julius ist ein typischer Shooter. Er wurde für Dissinger nachnomiert." (Foto: imago sportfotodienst)
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In dieser Disziplin war der zweifache Weltmeister der jungen deutschen Auswahl aber unterlegen. Vor allem Wolff knüpfte derart nahtlos an seinen Auftritt aus Hälfte ein an, dass sein Lehrmeister, der spanische Torhüter José Hombrados, vermutlich zwischen Stolz und Reue schwankte, ob der Tatsache, dass Wolff seine Landsmänner nun derart auseinandernahm. Der hatte sich derart in die Köpfe der Spanier eingenistet, dass erst Valero Rivera und dann auch noch Joan Canellas beim Strafwurf scheiterten. Im Gegenzug traf mal wieder Häfner (15:9/ 42.).
Sechzehn Mal hielt Wolff am Ende und wurde als wertvollster Spieler ausgezeichnet, denn er verschaffte seiner Mannschaft durch seine Paraden immer wieder die Möglichkeit auf leichte Tore. Auch aus diesem Grund lagen sich Fabian Wiede, Johannes Sellin und Simon Ernst bereits drei Minuten vor Spielende in den Armen (22:13), und als dann nur noch 15 Sekunden zu spielen waren, machte auch Bundestrainer Dagur Sigurdsson eine Ausnahme und verfiel vor Spielende in Freudentaumel. Mit diesem Titel haben die deutschen Handballer nicht nur eine starke Turnierleistung gekrönt, sie haben sich auch für die Olympischen Spiele in Rio qualifiziert. Vor der EM hieß es noch, der DHB plane eine Bewerbung zur Austragung eines entsprechenden Qualifikations-Turniers. Das hat sich am Sonntagabend erledigt. Dafür wird am Montag in der Max-Schmeling-Halle gefeiert.
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