Krakau. Deutschland gewinnt das EM-Halbfinale mit 34:33. Norwegen beschwert sich: Das Team habe einen Spieler zu viel gehabt. Jetzt ist der Protest vom Tisch.

Finaltraum verwirklicht, dem Gipfel ganz nah: Die deutschen Handballer greifen bei der EM in Polen nach einem Tor von Kai Häfner fünf Sekunden vor dem Ende nach den Sternen.

Die Mannschaft von Bundestrainer Dagur Sigurdsson stürmte durch ein 34:33 (27:27, 14:13) nach Verlängerung in einem dramatischen Halbfinal-Krimi gegen Norwegen ins Endspiel am Sonntag (17.30 Uhr/ARD) und kann mit einem weiteren Erfolg gegen Spanien oder Kroatien ihr polnisches Wintermärchen vergolden. Dabei geht es um den ersten großen Titel seit dem WM-Sieg 2007 im eigenen Land und die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio.

"Das war ein Krimi. Das war Wahnsinn. Da war alles dabei. Wir sind an unsere Grenze gegangen", sagte ein überglücklicher Sigurdsson im ZDF.

Reichmann wirft zehn Tore

Bester Werfer der mit insgesamt 16 EM-Debütanten angetretenen Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) im Halbfinale der Überraschungsteams war der überragende Rechtsaußen Tobias Reichmann mit zehn Toren. Durch den Finaleinzug mit dem sechsten Sieg in Serie hat das deutsche Team bereits die Teilnahme an der WM 2017 in Frankreich sicher, jetzt soll der zweite EM-Titel nach 2004 folgen.

"Beide Mannschaften sind sich sehr ähnlich. Sie sind jung und hungrig", sagte Sigurdsson vor der Begegnung in der Tauron Arena, für die zahlreiche deutsche Sportgrößen wie Fußball-Weltmeister Philipp Lahm, Australian-Open-Finalistin Angelique Kerber und Skirennläufer Felix Neureuther dem jüngsten aller EM-Teams in Videobotschaften viel Glück gewünscht hatten.

Frühe vier Tore-Führung für Deutschland

Vor 7500 Zuschauern entwickelte sich von Beginn an das erwartete Duell auf Augenhöhe. Die deutsche Deckung um Abwehrchef Finn Lemke war für den im Turnierverlauf bisher so starken norwegischen Rückraum eine nur schwer zu überwindende Wand, dahinter zeigte Torhüter Andreas Wolff anfangs erneut eine gute Leistung.

So setzte sich der WM-Siebte nach einem 5:5 (11. Minute) auf 9:5 (16.) ab. Nach Reichmanns Treffer zur ersten Vier-Tore-Führung hielt es auch Andreas Michelmann nicht mehr auf seinem Sitz. Der Verbandspräsident jubelte ausgelassen neben dem DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper.

Verletzter Kapitän Weinhold fieberte vor Ort mit

Im Angriff tat sich die DHB-Auswahl aber in der Folge schwer. Youngster Rune Dahmke ließ einige klare Chancen ungenutzt, im Rückraum kam der bisher so starke Steffen Fäth nicht richtig ins Spiel und erzielte gegen den sehr starken norwegischen Torhüter Ole Erevik in der ersten Halbzeit bei fünf Versuchen nur einen Treffer. Norwegen, das bei einem Großereignis erstmals im Halbfinale stand und im Turnierverlauf Titelverteidiger Frankreich, Gastgeber Polen und Kroatien geschlagen hatte, glich zum 12:12 (26.) aus. "Wir müssen mehr Pässe spielen und das Spiel breiter machen", forderte Sigurdsson in der folgenden Auszeit. Die Spieler befolgten die Anweisung des Isländers und gingen mit einem knappen Vorsprung in die Pause.

"Norwegen wird sich nicht abschütteln lassen. Wir haben zu Beginn etwas zu statisch gespielt, aber es ist besser geworden", sagte der im Deutschland-Trikot mitfiebernde verletzte Kapitän Steffen Weinhold nach den ersten 30 Minuten im ZDF.

Deutschland mit Problemen im Angriff

Das deutsche Team hatte gegen die mit vier Bundesliga-Legionären angetretenen Norweger aber auch im zweiten Durchgang im Angriff Probleme, die Lockerheit der vergangenen glanzvollen Auftritte fehlte. Einige technische Fehler ermöglichten dem Team des ehemaligen Flensburgers Christian Berge zudem einige leichte Tore bei Tempogegenstößen.

Doch mit großem Kampfgeist und einem unbändigen Siegeswillen hielt die DHB-Auswahl die Partie auch nach dem 17:19 (39.) offen, die Spannung steigerte sich von Minute zu Minute. Nach der 20:19-Führung (44.) durch den sechsten verwandelten Siebenmeter von Reichmann ballte Sigurdsson an der Seitenlinie die Faust.

Häfner sorgt für die Entscheidung

In der packenden Schlussphase übernahm der nachnominierte Gummersbacher Julius Kühn Verantwortung und glich mit seinem vierten Tor beim vierten Versuch zum 22:22 (49.) aus. Nach dem 23:25 (52.) schwor Sigurdsson seine Rasselbande noch einmal auf die entscheidende Phase ein und mahnte zur Ruhe. Zunächst mit Erfolg: Kühn glich zum 26:26 (55.) aus. Doch die Norweger legten wieder vor. 19 Sekunden vor dem Ende rettete der Kieler Dahmke seine Mannschaft in die Verlängerung.

Der Hannoveraner Häfner sorgte dort mit zwei Toren in Folge für die erste deutsche Führung (30:29/64.) seit der 47. Minute. Es blieb dramatisch. Bis Häfner fünf Sekunden vor dem Ende für die Entscheidung sorgte.

Norwegen legt Protest ein

Am Abend legte Norwegen dann Protest gegen die Wertung des Spiels ein. Das bestätigte JJ Rowland, Mediendirektor der Europäischen Handball-Föderation (EHF), dem Sport-Informations-Dienst.

Nach Ansicht der norwegischen Offiziellen soll Deutschland in den letzten Sekunden des dramatischen Spiels einen zusätzlichen Spieler in einem gelben Leibchen auf das Feld geschickt haben, obwohl Torhüter Andreas Wolff seinen Kasten nicht verlassen hatte.

"Wir sehen der Verhandlung gelassen entgegen und freuen uns auf das Finale", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning.

Bis 9.00 Uhr am Samstagmorgen musste Norwegen den Protest schriftlich begründen, bis 12.00 Uhr sollte eine Entscheidung verkündet. Norwegens Handball-Verband hat nach eigenen Angaben seinen Protest gegen den Halbfinal-Sieg des deutschen EM-Teams zurückgezogen. Damit spielt die deutsche Mannschaft an diesem Sonntag in Krakau gegen Spanien bei der Europameisterschaft um Gold. Das Finale findet am Sonntag (17.30 Uhr/ARD) statt. (SID)

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Deutschland - Norwegen