Belo Horizonte. Den ersten Titel scheint die deutsche Fußball-Nationalelf schon sicher zu haben: sie ist Standard-Weltmeister. Vor dem WM-Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien hat das Team von Trainer Joachim Löw die höchste Erfolgsquote aller vier verbliebenen Teams nach ruhenden Bällen. Training zahlt sich aus.
Ein deutscher Freistoßtrick ist bei dieser WM ein bisschen untergegangen, trotz der erhöhten Aufmerksamkeit nach Thomas Müllers erfolgloser Stolpereinlage im Achtelfinale gegen Algerien. Das jüngste Täuschungsmanöver versteckte sich in der Aussage von Mats Hummels nach seinem Kopfball zum 1:0-Sieg gegen Frankreich im Viertelfinale, seinem zweiten Standardtor dieser WM, jeweils auf Vorlage von Toni Kroos.
„Methode steckt nicht dahinter. Die Bälle waren gut geschlagen und ich hatte Glück, am richtigen Fleck zu stehen“, erzählte der Dortmunder also. Das war vor dem Halbfinale an diesem Dienstag (ab 22 Uhr in unserem WM-Live-Center) in Belo Horizonte gegen Gastgeber Brasilien wohl ein bisschen geflunkert. Vielleicht, um im Bild zu bleiben, war Hummels aber auch einfach nur über die ruhende Frage gelaufen.
Standards haben deutlich an Bedeutung gewonnen
Tatsächlich darf sich die deutsche Nationalelf bei diesem Turnier bisher mit dem inoffiziellen Titel „Standard-Weltmeister“ schmücken. Sie ist nicht nur mit einer Quote von 50 Prozent bei insgesamt zehn Toren der erfolgreichste aller vier Halbfinalisten nach ruhenden Bällen, sondern auch in absoluten Zahlen. Kein anderes Team hat bisher mehr als fünf Tore nach Ecken, Freistößen und Elfmetern erzielt.
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Es werde im Training „mehr Wert auf Standards gelegt als bei den Turnieren zuvor. Das hat sich ja schon ausgezahlt“, hat Kroos zuletzt erzählt. Und auch der lange Zeit am Thema allenfalls mäßig interessierte Bundestrainer bezeichnete ruhende Bälle jüngst als „ein wichtiges Thema“. Joachim Löw befand: „Standards haben ein Gewicht.“ Ihr Anteil an allen WM-Toren liegt bei rund einem Drittel bei den drei jüngsten Turnieren 2006, 2010 und 2014. Brasilien zog beim 2:1 gegen Kolumbien übrigens durch zwei Standardtore ins Halbfinale ein.
Beim DFB hat vor allem Hansi Flick ein Faible für Freistoßtüfteleien. Löws Assistent verabredet sich regelmäßig zu konspirativen Treffen mit den Spielern, um mit ihnen neue Varianten auszuhecken. Der Bundestrainer hat ihm den Spaß bisher eher gelassen denn diesen goutiert. Jetzt könnten sich die Standardqualitäten aber auch gegen die Seleção als hilfreich erweisen. Nach Neymars WM-Aus ist Luiz Felipe Scolaris Auswahl ja noch etwas defensiver und robuster zu erwarten als ohnehin.
Vor allem indirekte Standards erfolgversprechend
Auch für die vielen spielerisch hochbegabten und feinen Kickerfüße beim DFB könnte sich das scheinbar altbackene Stilmittel als sinnvoller Hebel erweisen. Statt gegen Brasiliens harte Defensive endlos anzukombinieren, öffnen Standards mit vergleichsweise geringem Aufwand vielleicht das Tor zum Finale, mit einstudierten Laufwegen, Abläufen und dem kleinen Vorsprung des überraschenden Moments. Vor allem indirekte Varianten erweisen sich als erfolgreich. Schlichte Schlenzer über eine Mauer ins Tor konnten bei dieser WM insgesamt nur zwei Mal beklatscht werden.
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Sollte es zu einem Elfmeterschießen kommen, spricht die Geschichte auch in dieser Standarddisziplin für Deutschland. Vier Mal musste eine DFB-Elf bei einer WM ins Elfmeterschießen, jedes Mal setzte sie sich durch. Von allzu gewagten Innovationen sollte dabei aber vielleicht besser abgesehen werden. Wie von jenem Vorbild, das sich Müller immerhin nur beim Freistoß gegen Algerien nahm. Absichtlich war er ja über den Ball gestolpert, wie in einem Internetvideo jener Elfmeterschütze, der sich vor der Ausführung hinwarf – und dann verwandelte.
Standardtore der Halbfinalisten bei dieser WM
Mannschaft | Quote | Tore gesamt | nach Standards |
Deutschland | 50 Prozent | 10 | 5 |
Niederlande | 42 Prozent | 12 | 5 |
Brasilien | 40 Prozent | 10 | 4 |
Argentinien | 25 Prozent | 8 | 2 |