Porto Seguro. . Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft trifft am Dienstag im WM-Halbfinale auf Gastgeber Brasilien. „Wir spielen gegen ein ganzes Land“, sagt Toni Kroos. Elf gegen 200 Millionen also. Und trotzdem: Das Ziel ist der Titel. Oder in den Worten von Bundestrainer Joachim Löw: „Wir sind noch nicht fertig.“

Die Fähre ging am Vormittag. Sie schob die deutschen Fußballer von der Halbinsel Santo Andre hinüber in den kleinen Hafen von Porto Seguro, wo schon der Mannschaftsbus wartete, um die Nationalspieler zum Flughafen zu bringen. Ein paar Meter weiter liegt im seichten Wasser des Flusses Joao de Tiba eine kleine weiße Segelyacht. Ihr Name könnte der Titel der verbleibenden Tage bei dieser WM sein: „Dream Catcher“, zu deutsch: Traumfänger.

Das WM-Finale von Rio de Janeiro am kommenden Sonntag ist der große Traum, die große Sehnsucht. Doch auf dem Weg dorthin gilt es heute eine Aufgabe zu meistern, die vielleicht noch ein bisschen größer ist: Deutschland trifft im Halbfinale in Belo Horizonte auf Gastgeber Brasilien (22 Uhr/ZDF und in unserem WM-Center). Es ist aus deutscher Sicht das bisher größtdenkbare Spiel bei diesem Turnier. Eine andere Dimension. Elektrisierend. Flirrend.

Elf gegen 200 Millionen

„Das ist ein Highlight, etwas sehr Spezielles und Großartiges“, sagt Bundestrainer Joachim Löw und verbreitet eher das Gefühl von Zuversicht als von Anspannung. „Meine Vorfreude ist wahnsinnig groß, so geht es allen bei der deutschen Nationalmannschaft, und ich glaube, so geht es allen Deutschen.“ Aber es wird eine besondere Herausforderung sein.

62 547 Zuschauer passen in das Estadio Mineirao von Belo Horizonte, der Stadt, die einst von einem Goldsucher aus Sao Paulo gegründet wurde. Wenn die deutschen Profis ihre Goldsuche an diesem Dienstag fortsetzen, wird sich ihnen nicht nur eine brasilianische Elf, sondern auch das Stadion, ja eine ganze gelbgierige Nation entgegenstellen, die das Heiligtum dieses Sommers angegriffen fühlt. „Wir spielen gegen ein ganzes Land“, stellt Toni Kroos fest. Elf gegen 200 Millionen.

DFB-Elf mit Schweinsteiger ohne Gegentor

Selbst der mit 29 Jahren routinierte Stratege Bastian Schweinsteiger hat kaum Spiele dieser Dimension erlebt. Sein Auftritt verbreitet Zuversicht. „Je erfahrener man ist und je mehr Spiele man hat, desto mehr saugt man so ein Spiel in so einem fußballverrückten Land auf“, sagt er vor der Abreise. „Das Volk hat eine unglaubliche Identifikation zur Seleção.“ Das ist die eine Seite dieses Spiels. Die anderen erzählt von der neuen Fußball-Kultur der einstigen Schönspieler. „Die Brasilianer sind nicht mehr nur die Zauberer“, sagte Schweinsteiger, der vermutlich wieder von Beginn an auflaufen wird.

Spielte der Münchener, kassierte die deutsche Mannschaft bislang kein Gegentor. Im Mittelfeld wird er es mit seinem früheren Vereinskollegen Luiz Gustavo zu tun bekommen. Ein Mann, der weiß, wie man dem Gegner gezielt die Lust am Fußball nimmt. „Härte gehört zu ihrem Spiel dazu, darauf müssen wir eingestellt sein“, sagt Schweinsteiger: „Aber natürlich auch die Schiedsrichter.“

Fest oder Schlacht

Deutschland beugt vor. Und zwar mit seinen bekanntesten Gesichtern. Es ist kein Zufall, dass sich der in Brasilien höchst prominente, aber medienscheue Schweinsteiger vor diesem Spiel zu Wort meldet. Das ist eine bewährte Methode. 2010 vor dem WM-Viertelfinale gegen Argentinien war es ähnlich, als er den Südamerikanern öffentlich vorwarf, zu foulen, zu provozieren, zu simulieren. „Ich hoffe, dass der Schiedsrichter ein gutes Auge hat, wer wen provoziert“, meinte er damals. Das Ergebnis: keine Provokationen, vier Tore für Deutschland, null für Argentinien.

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Nun geht die Sorge vor den vermeintlich Gesetzlosen wieder um. Auch bei Löw. Auch er geht in die Offensive. „Im Spiel der Brasilianer ist wenig Kunstvolles übrig geblieben. Sie spielen robust wie keine andere Mannschaft, unterbrechen den Spielfluss des Gegners mit Fouls“, sagt Löw und hofft, dass dieses Verhalten „richtig geahndet“ wird.

„Wir sind noch nicht fertig“

Dieses Halbfinale könnte ein Fest werden. Oder eine wahre Schlacht. Oder von beidem ein bisschen. Mit Neymar fällt Brasiliens Star verletzt aus, Abwehrchef Thiago Silva ist gesperrt. Ein Vorteil? Kein Vorteil. „Rückschläge setzen oft zusätzliche Kräfte frei. Es darf niemand glauben, dass unsere Aufgabe leichter geworden ist, eher im Gegenteil“, behauptet Löw. „Aber wir werden einen guten Plan entwickeln und den Brasilianern einen großen Kampf liefern.“ Kunstvolle Pause. „Wir sind noch nicht fertig.“

Denn der Traum vom WM-Titel wabert noch umher und muss erst noch eingefangen werden. Am 13. Juli in Rio de Janeiro.