Santo Andre. Mario Götze spielte vor drei Jahren bereits brasilianischer als jeder Brasilianer. Doch vor dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien scheiden sich an Götze die Geister. Es ist schwer zu sagen, wo Götze, der beim BVB die Fußball-Welt aus den Angeln hob, verloren gegangen ist.
In Mario Götze erwachen in diesen Tagen Erinnerungen. Es sind wohlige Erinnerungen an einen August-Abend 2011 in Stuttgart, an dem die deutsche Nationalmannschaft gegen Brasilien zu einem Freundschaftsspiel antrat. Erstmals in der Startformation: Mario Götze. Nach dem Spiel lag dem jungen Mann die Fußball-Welt zu Füßen. Er schoss ein Tor, initiierte die beiden weiteren und führte sein Team zu einem 3:2-Erfolg.
Aber der Ausgang des Spiels war nebensächlich, erstaunlich war die Erkenntnis über die Landesgrenzen hinaus, dass es da in Deutschland einen jungen Mann gab, der an diesem Abend brasilianischer spielte als jeder Brasilianer. Er zauberte, trickste, spielte mit einem Spaß und einer Lust, die jeden, der zugeschaut hatte, in seinen Bann ziehen musste. Götze war 19.
Am kommenden Dienstagabend (22 Uhr/ZDF live und in unserem Ticker) kommt es im WM-Halbfinale erstmals wieder zum Duell mit Brasilien. Es ist ein großes Spiel, eines der größten, das man sich denken könnte. Und von 2011 aus betrachtet müsste Mario Götze an diesem Spiel nicht nur von Beginn an teilnehmen, sondern aufgrund seiner Fähigkeiten als einer der Männer in Frage kommen, die mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten in solch großen Momenten den Unterschied ausmachen.
Bisher nur ein Götze-Tor bei der WM in Brasilien
Aber es sind drei Jahre vergangen. Aus rosaroten Prophezeiungen sind mittlerweile nicht unerhebliche Probleme der Gegenwart geworden. Probleme auf und neben dem Platz. Das Wunderkind, als das er einst galt, befindet sich im Wartestand.
Schwer zu sagen, wo er verloren gegangen ist, der junge Mann, der in Dortmund zusammen mit seinem Kumpel Marco Reus die Fußball-Welt aus den Angeln hob, Madrid, Amsterdam und den Rest des Fußball-Hochadels in der Champions League so gekonnt auseinander nahm, dass es auch noch kinderleicht aussah. Geblieben ist davon derzeit nicht viel.
Vor einem Jahr wechselte der heute 22-Jährige zum FC Bayern München. 38 Millionen Euro kostete er, seine Gegenleistungen blieben überschaubar. Ein paar gute Spiele, ein paar schlechte Spiele, Ersatzbank, Tribüne – keine der beiden Seiten stellte diese Bilanz zufrieden. Nun ist Götze in Brasilien und seine Möglichkeiten geben alles her, nicht nur einer von vielen zu sein, sondern einer der Besten. Zu sehen war davon freilich bislang wenig. Ein Tor schoss er, bezeichnend das Zustandekommen: Ein Kopfball aufs eigene Knie. Gejubelt hat er mit ausgebreiteten Armen, der Christusstatue in Rio gleich. Er hat schon vorher mal so gejubelt. Es gibt Menschen, die vermuten dahinter den Teil einer Marketing-Kampagne seines Sponsors. Belegbar ist das nicht, aber die Tatsache, dass man es ihm ohne Zweifel zutraut, sagt viel über die Außenwirkung Götzes aus. Misstrauen begleitet ihn.
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Dafür hat er selbst viel getan. Er wirkt wie eine Kunstfigur, ein Werbe-Instrument. Zu seinem ersten öffentlichen Auftritt in München erschien er in einem T-Shirt von Nike. Konkurrent Adidas ist Anteilseigner in München und zahlt somit einen Teil seines auf zwölf Millionen Euro geschätzten Jahres-Gehaltes. Die Wellen schlugen hoch. Götze zuckte mit den Achseln, wie er es innerlich eigentlich immer zu tun scheint. Zum Beispiel wenn er öffentliche Termine wahrzunehmen hat, egal ob in Brasilien oder in München. Götze bleibt in den allermeisten Fällen einsilbig, wirkt lustlos und gelangweilt. Durch die Interview-Zonen der WM-Stadien schlendert er meist aufreizend lässig, seinen strasssteinbesetzten Designer-Rucksack auf dem Rücken und manchmal auch ein paar Kekse mümmelnd. Selbst Teile der vielköpfigen DFB-Entourage berichten über die Jahre von deutlich nachlassender Empathie des Jungstars.
Götze lebt in München mit seinem Bruder Fabian in einer WG
Einiges ist in jungen Jahren auf ihn eingeprasselt. Vielleicht ist vieles, von dem, was er sagt oder nicht sagt, was er tut oder nicht, der Tatsache geschuldet, dass er das Misstrauen und das Erwachsenwerden schneller und früher lernen musste als andere. Vielleicht hat er beides nicht richtig gelernt. Wunderkind, Jahrhundert-Talent, große Worte, große Anforderungen an einen Kerl, der jetzt erst 22 Jahre alt ist, der in München mit seinem Bruder Fabian in einer Wohngemeinschaft lebt und am liebsten die Allgäuer Apfel-Spätzle von Oma isst. Und doch befindet er sich an einem entscheidenden Punkt in seiner Karriere. Das zweite Münchner Jahr muss besser werden. Viel besser. Ansonsten könnte er sich schnell irgendwo in Spanien oder England wieder finden.
„Jeder Fußballer träumt davon, zu den Besten zu gehören“, hat Mario Götze zu seiner Dortmunder Zeit mal gesagt. Nicht jeder hat die Möglichkeiten dazu, Götze schon. Vielleicht zeigt er es im Halbfinale gegen Brasilien – wenn er denn spielen darf.
Deutschland im WM-Halbfinale
