Santo André/Porto Alegre. Am Montagabend steht für die DFB-Elf das Achtelfinale gegen Algerien an, starker Wind und Regen sind für Porto Alegre vorausgesagt. Für Bundestrainer Joachim Löw beginnen nun die Wochen der Wahrheit, denn die K.o.-Spiele entscheiden, wie die Jahre unter seiner Ägide im Rückblick bewertet werden.
Joachim Löw droht ein Donnerwetter. Darauf kann sich der Bundestrainer schon einmal einstellen. Auf Porto Alegre, dem Spielort, in dem die deutsche Nationalmannschaft am Montag (22 Uhr, live in unserem Ticker) im Achtelfinale der WM gegen Algerien antritt, ist ein Zyklon im Anmarsch.
Wenn es stimmt, was die Meteorologen für die südlichste WM-Stadt hervorsagen, dann dürfte es in der Arena do Gremio ziemlich ungemütlich werden. 13 Grad, starker Wind und Regen, vielleicht auch ein heftiges Gewitter. Wer weiß? Eigentlich hatten sich ja alle Beteiligten gefreut, nach heißen Spielen im Norden die K.o.-Partie in der kühleren Hauptstadt des Bundesstaates Region Rio Grande do Sul am Ufer des Rio Guaiba bestreiten zu dürfen. Nun aber könnte es wieder eine Wasserschlacht werden wie schon in Recife am Donnerstag, als die DFB-Auswahl gegen die USA gewann.
Für Löw wäre das aber vielleicht gar nicht so schlecht. Gegen die US-Amerikaner trotzte der Bundestrainer dem Nass von oben, stellte sich kühn in den Regen und coachte mit durchweichtem Hemd seine Spieler unverhohlen weiter zum Gruppensieg. In Deutschland sprach man danach nur noch über den stylischen „Wet-Look“ des 54-Jährigen, der seine klatschnassen Haare einfach nach hinten strich und damit plötzlich so richtig cool aussah.
Bei der „Bild“ votierten 87 Prozent dafür, dass „Jogi“ sein Haupthaar jetzt immer so tragen möge, und in einem Interview mit dem Boulevardblatt stieg der Schwarzwälder sogar darauf ein: „Meine Aufstellung für Algerien habe ich schon im Kopf. Jetzt muss ich nur noch entscheiden, was ich mit meinen Haaren mache“, sagte er.
Wo steht Deutschland vor dem Achtelfinale?
Schöne Sache für Löw. Alles guckt auf seine Frisur, niemand auf seine Mannschaft. Dass diese auch gegen die zwar willigen aber spielerisch limitierten US-Boys nicht so wirklich zielstrebig agierte, dass sie im zweiten Spiel hintereinander nicht so richtig zu überzeugen wusste, fiel dabei gar nicht auf. Wo Deutschland vor dem Achtelfinale wirklich steht, kann immer noch kein Mensch seriös sagen. Dass danach aber auch keiner fragt, verdankt Löw seinen Haaren.
Nun hat der Bundestrainer in den acht Jahren seiner Amtszeit als Alleinverantwortlicher der DFB-Auswahl zwar gelernt, das Spiel der Medien ein bisschen mitzuspielen, wenn der Wind gerade günstig steht. Aber blenden lässt er sich davon nicht. Wer, wenn nicht er, weiß schließlich besser, wie schnell sich der Wind drehen kann. Vor zwei Jahren war Löw noch „Jogi Superstar“, als seine Mannschaft durch die Vorrunde der EM in Polen und der Urkaine spazierte und dabei Portugal, die Niederlande sowie Dänemark und später die Griechen düpierte. Löw war der coole Sonnenbrillen- und Slimfit-Hemdenträger. Doch dann kam Italien, dann vercoachte sich der Styler, Deutschland flog im Halbfinale aus dem Turnier, und Löw war der Depp. Schon fragte die Nation: „Schmeißen Sie hin, Herr Löw?“
Zwischen Volksheld und Staatsfeind ist also gar nicht soviel Platz. Löw hat diese Erfahrung geprägt. Deshalb fiel sein Zwischenfazitvor dem Achtelfinale gegen die „Fennecs“, die Wüstenfüchse Nordafrikas, wie die algerische Nationalmannschaft genannt wird, auch zweigeteilt aus: „Wir haben geliefert“, sagte Löw, schob aber sogleich das Wörtchen „bislang“ hinterher. Weil man schließlich Gruppensieger geworden sei, wie das der Plan war, herrsche „eine gewisse Grundzufriedenheit“ bei ihm. Doch das „bislang“ hatte Löw absichtlich betont. „Wir sind auch selbstkritisch mit unserer Situation“, sagte er. Es habe in den Gruppenspielen „viel Licht, aber auch Schatten gegeben“. Sein Team müsse und könne noch besser spielen. „Wir sind noch nicht am Limit“, so Löw.
Löw fordert "Verbesserungen im Detail"
Löw hat also sehr wohl Schwächen ausgemacht. „Unsere Hausaufgaben gilt es vorn im letzten Drittel zu machen, beim letzten Pass, beim Torabschluss. Darüber müssen wir uns noch einmal unterhalten“, sagte er. Sein System ohne echten Stürmer, einem rotierenden Dreier-Angriff und einem variablen Dreier-Mittelfeld dahinter, in dem wohl wieder Sami Khedira für Bastian Schweinsteiger auflaufen wird, stelle er nicht in Frage. „Was wir aber brauchen, sind Verbesserungen im Detail“, sagte Löw.
Von jener Detailarbeit hänge ab, ob das große Ziel, das Finale in Rio de Janeiro am 13. Juli, erreicht werden kann, oder nicht. Zu ihr gehöre aber auch, den Gegner keinesfalls zu unterschätzen. Der Zweite der Fifa-Weltrangliste gegen den 22., der nie zuvor ein Achtelfinale einer WM gespielt hat. Das klingt schließlich nach einer klaren Sache. Aber Löw warnte: „Wer denkt, dass wir es mit einem vermeintlich leichten Gegner zutun haben, wer den Fokus vielleicht schon auf die nächste Runde legt, der macht einen riesengroßen Fehler“, sagte er. „Konzentration und Spannung ist das Gebot der Stunde. Jede Nachlässigkeit wird bestraft.“ Algerien sei ein unglaublich gefährlicher Gegner, der es verstehe, gut zu verteidigen und sehr schnell in den Angriff umzuschalten. „Das habe ich so nur ganz selten gesehen“, sagte Löw, was aber ein wenig übertrieben wirkte.
Doch Löw hat allerbeste Gründe, die Sinne seiner Spieler zu schärfen. Mit der K.o.-Runde beginnen nun „die Tage der Entscheidung“, sagte er, was ja in der Natur der Sache liegt. Recht hatte Löw aber damit auch auf einer anderen Ebene: Die kommenden Tage – das Achtelfinale gegen Algerien, ein mögliches Viertelfinale gegen Frankreich am Freitag bis hin zum erhofften Halbfinale und Finale – bestimmen nicht nur für das Abschneiden bei dieser WM in Brasilien. Sie werden auch das Urteil über die gesamten acht Löwschen Jahre als Bundestrainer seit 2006 maßgeblich beeinträchtigen. Dass er endlich einen Titel liefert, zumal mit der wohl talentiertesten Mannschaft seit mehr als 20 Jahren, das verlangen ihm viele in Deutschland ab.
Löw, der Unvollendete?
Nach Platz zwei bei der EM 2008, Platz drei bei der WM in Südafrika zwei Jahre später und dem Halbfinal-Aus bei der EM 2012 wird von ihm nun nicht weniger als Weltpokal erwartet. Gelingt ihm das nicht, wäre eine Weiterbeschäftigung trotz aller öffentlichen Zuneigungsbekundungen des DFB und seines Vertrages bis 2016 kaum denkbar. Ein Donnerwetter würde über ihm hereinbrechen und die Löwsche Ära, so ungerecht das auch ist, als vertane Gelegenheit einer goldenen Generation ins kollektive Gedächtnis eingehen.
Löw weiß das genau. Vor ihm stehen Tage des Donners, im übertragenen wie im tatsächlichen Wortsinne (in Porto Alegre). „Ein Turnier ist ein Marathon, kein 100-Meter-Sprint, wo man Anfang seine perfekte Leistung zeigen muss“, sagte Löw. Es müsse dabei immer Steigerungspotenzial geben, um am Ende am großen Ziel anzukommen. Das Gleiche gilt auch für eine Amtszeit als Bundestrainer.