Porto Alegre. Torjäger Slimani, Techniker Feghouli, Taktgeber Brahimi und Trickser Djabou sind diejenigen aus der algerien Mannschaft, die der deutschen Nationalmannschaft im Achtelfinale am ehesten gefährlich werden können. Ihre Vita verrät viel über die Hintergründe des Aufschwungs der „Wüstenfüchse“.

Wer Islam Slimani begegnet, könnte vermuten, dieser junge Mann sei zu allem bereit. Die Schläfen hat er radikal rasiert, der Nacken ist komplett gestutzt. Dafür sprießt an den Wangen ein Bart, der offensichtlich alle drei Tage getrimmt wird. Doch der äußere Eindruck täuscht. Zweimal hat sich der Stürmer aus dem algerische Nationalteam zuletzt als „Man oft he match“ fast demütig auf ein Podium gesetzt. Und unterwürfige Sätze gesagt wie: „Ich bin sehr stolz, Teil dieser Nationalmannschaft zu sein. Das Achtelfinale ist eine Auszeichnung für ein fantastisches Team.“ Dann aber auch dies: Das heutige Duell gegen Deutschland (22 Uhr MESZ, live im ZDF und in unserem Ticker) sei nun fraglos der Höhepunkt der Karriere.

Islam Slimanis Tore ebneten das Weiterkommen

Seine Tore gegen Südkorea (4:2) und Russland (1:1) ebneten ja nicht nur das Weiterkommen in der Vorrunde, sondern schon in der Qualifikation traf der 26-Jährige fünfmal. Nun dürfen die „Wüstenfüchse“ („les fennecs“) also die Neuauflage aus der WM 1982 spielen, was die Zeitung „La Gazette du Fennec“ zur historischen Einlassung animierte: „Algerien – Deutschland – wie sich alles wiederholt.“ Nur: Niemand aus dem aktuellen Kader war auf der Welt, als sich im spanischen Gijón in kurzer Folge der Höhe- und Tiefpunkt des algerischen Fußballs abspielten. Und doch reden fast alle so, als müssten sie zur Wiedergutmachung im südbrasilianischen Porto Alegre eine „weitere Heldentat“ (Kapitän Madjid Bougherra) vollbringen. Auch Slimani beteuert: „Wir wissen, was 1982 geschah. Wir wollen in die Fußstapfen dieser Spieler treten.“

Als Algerien 1982 die DFB-Elf blamierte

Kennen Sie noch Rabah Madjer? Der Mann tat dem deutschen Fußball in den 80er-Jahren gleich zweimal weh. 1987 holte der Algerier mit dem FC Porto den Europapokal der Landesmeister: Beim 2:1-Sieg in Wien gegen den FC Bayern München traf er zum 1:1 traumhaft schön mit der Hacke, und das 2:1 bereitete er dann auch noch per Flanke vor.

Fünf Jahre vorher hatte er bereits die deutsche Nationalmannschaft düpiert, oder besser: blamiert. Im spanischen Gijon schlug der krasse Außenseiter Algerien den Europameister Deutschland mit 2:1, Madjer besorgte das 1:0 in der 54. Minute. Karl-Heinz Rummenigge schaffte den Ausgleich in Minute 68, aber zwei Minuten vor Schluss machte Lakhdar Belloumi die Sensation gegen Jupp Derwalls Team perfekt.

Indem sich Deutschland und Österreich im letzten Gruppenspiel auf einen Nichtangriffspakt einigten, kamen beim Stand von 1:0 für Deutschland beide Teams weiter. Algerien war draußen, die „Schande von Gijon“ in aller Munde.

Das aber kann er nicht alleine schaffen. Gut, dass hinter ihm eine spielfreudige Dreierreihe zaubert. Gestatten: Neben Slimani (23 Länderspiele/12 Tore) bilden Sofiane Feghouli (22/6), Yacine Brahimi (8/1) und Abdelmoumene Djabou (10/2) die nordafrikanische Variante der „Fantatischen Vier“. Torjäger Slimani (Sporting Lissabon) erzielte zwei WM-Tore und bereite eines vor, Taktgeber Brahimi (FC Granada) und Trickser Djabou (Club Africain Tunis) trafen je einmal und legten einmal auf, Techniker Feghouli (FC Valencia) holte gegen Belgien (1:2) einen Elfmeter heraus und verwandelte selbst.

Brahimi genoss die Ausbildung im Sportinternat von Clairefontaine

Seit der Auftaktniederlage vertraut Nationaltrainer Vahid Halilhodzic seinen kreativen Kräften in dieser Zusammenstellung. Und wenn der Bosnier sagt, man besitze zwar „nicht das Level wie Brasilien“, aber biete einen „technisch gepflegten Fußball“, dann zuvorderst wegen seiner Offensiv-Abteilung. Nur zwei daraus sind in Algerien geboren. Slimani, der aus ärmlichen Verhältnissen in Algier stammt und bis zum vergangenen Jahr bei einem heimischen Drittligisten kickte. Und Djabou (27 Jahre), der aus Sétif kommt, einer Universitätsstadt im nordöstlichen Teil des Maghreb-Staates. Feghouli (24) hingegen wurde in Levallois-Perret geboren und spielte in der Jugend bei diversen Pariser Vereinen. In der französischen Hauptstadt wuchs auch Brahimi (24) auf, dessen Eltern französische Einwanderer sind. Er genoss die Ausbildung im berühmten Sportinternat von Clairefontaine.

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Ihre Vita ist so unterschiedlich wie typisch für die Auswahl der ehemaligen französischen Kolonie. Nur sieben Akteure sind überhaupt in dem Land geboren, dessen Flagge sie zuletzt so stolz durch die Arena da Baixada in Curitiba trugen. Viele haben in den Juniorennationalmannschaften noch die französische Hymne gesungen. Weil aber der algerische Verband der entscheidende Motor war, die Fifa-Statuten derart umzuschreiben, dass ein Wechsel der Nationalität auch später noch möglich ist, konnte selbst der in Frankreichs U 21-Auswahl eingesetzte Saphir Taider (22) wechseln, den Halilhodzic als Joker in der Hinterhand hält. Taider hat eine algerische Mutter und einen tunesischen Vater. Wenn der Stammspieler von Inter Mailand sagt, er jetzt viel öfter als früher „da unten“, dann ist damit Algerien gemeint.

Vielleicht überdenkt wiederum der französische Verband, warum ihm so viele Migranten den Rücken kehren. Hängt vielleicht damit zusammen, dass der Vorwurf vor drei Jahren im Raum stand, die Equipe tricolore sei zu schwarz und arabisch.

Niemand würde das in der Stunde des Triumphes bei den Algeriern wirklich aussprechen, aber neben dem Stolz schwingt gerade wohl eine Menge Trotz mit. Und damit ist noch ein Bogen gespannt zu 1982, als die Sensation eben auch glückte, weil die umjubelten Torschützen Rabah Madjer oder Lakhdar Belloumi nicht nur feine Fußballer waren, sondern auch als entschlossene Idole der Nationalen Befreiungsfront FLN unterwegs waren.

Rabah Madjer ist der Volksheilige

Madjer, der fünf Jahre später noch den formidablen Hackentrick im Europapokalfinale gegen den FC Bayern ansetzte, hat nun bei der Vorstellung der heutigen Generation auch über die „Fantastischen Vier“ einige schöne Sätze verloren. Feghouli sei „der technische Chef“, Brahimi „der Künstler“ und Djabou „die Überraschung.“ Nur über Slimani gilt die Lobpreisung des mittlerweile 56-jährigen Volksheiligen nicht uneingeschränkt: „Er ist der Star, aber es fehlt ihm noch ein wenig an der Technik.“ Fürchtet da einer, dass auf den Straßen von Algier sein Status akut gefährdet wäre, wenn die nächste Überraschung gelänge? Slimani fasst die Ausgangslage pragmatisch zusammen: „Jeder weiß, wozu die Deutschen fähig sind. Es ist klar, dass wir nicht die Favoriten sind.“ Aber ein Außenseiter, der schon so aussieht, als sei er zu allem bereit.