Santo André. . Mittelfeldspieler Toni Kroos treibt das deutsche Offensivspiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien an und gehört in einigen Statistiken zu den Top-Leuten des Turniers. Lange wurde der Bayern-Spieler unterschätzt. Diese WM dürfte das ändern. So wie sich auch seine Rolle in der Mannschaft geändert hat.
Toni Kroos hat die Branche gewechselt. Er ist jetzt in der Gastronomie tätig. Weil er mit einen Pässen so schön die Bälle serviert, mit den linken wie mit den rechten Gliedmaßen, und dabei so vornehm zu Werke geht, ist aus Toni Kroos, dem Fußballprofi, nunmehr Toni Kroos, der Kellner, geworden. Die neue Stellenbeschreibung, die von der deutschen und internationalen Presse seit Beginn dieser WM gern für den 24-Jährigen ausformuliert wird, ist sehr wohl anerkennend gemeint. Schließlich hat der Mittelfeldspieler allerhand Delikates anzubieten und kredenzt es einer anspruchsvollen Kundschaft. Wer dies hervorheben wollte, der stellte dem „Kellner“ noch ein „Ober-“ voran.
Kroos selbst kann der Versetzung in die Gastwirtschaft wenig abgewinnen. Auf den Vergleich angesprochen, antwortete der gebürtige Greifswalder mecklenburgisch trocken: „Im Lokal lasse ich mir lieber vom Kellner die Getränken bringen.“ Ganz richtig ist das Bild ja ohnehin nicht. Ein Kellner bringt Gehaltvolles zum Kunden, der dies dann zu seinem Wohle verwertet. In 29 Bundesligaspielen der abgelaufenen Saison für den FC Bayern hat Kroos aber lediglich vier Tore vorbereitet – in zwölf Partien der Champions League nur zwei. Eine durchschnittliche Quote für einen offensiven Mittelfeldspieler. Den verwertenden Stürmern bei den Münchnern war er demnach alles andere als ein zuverlässiger Servierer.
Kroos is der Experte für das vorletzte Zuspiel
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Doch man darf Toni Kroos nicht Unrecht tun. Das Kellnern ist gar nicht sein Handwerk. Kroos ist vielmehr für die Zubereitung zuständig – er ist der Koch des Spiels. Denn den finalen Pässen, die Torchancen kreieren und später als Vorlagen in der Statistik vermerkt werden, gehen bei den Bayern sowie der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien oft ein paar hübsche Kroos-Pässe voraus. Er ist der Experte für das vorletzte Zuspiel und der erste Ansprechpartner bei der Frage, was die Offensive denn diesmal im Angebot habe.
Die Bilanz der WM-Vorrunde führt Kroos unter zwei Kategorien auf Platz eins: Von insgesamt 736 Spielern bei diesem Turnier war er in den drei Partie gegen Portugal, Ghana und die USA derjenige mit den meisten Ballkontakten. Im Schnitt 1,23 Mal in der Minute gesellt sich das Runde zu ihm – 332 Ballkontakte hatte er insgesamt. Der Italiener Andrea Pirlo (292) und der Spanier Andres Iniesta (245), die beiden Starköche der jüngeren Vergangenheit, liegen abgeschlagen hinter ihm. Und die Passquoten-Statistik – Kategorie zwei, die aus jener Anziehungskraft für das Spielgerät resultiert – führt Kroos ebenso deutlich an: 278 Zuspiele gingen auf sein Konto, fast 94 Prozent davon landeten am gewünschten Ziel.
Mittelfeldmann Kroos mit zweifelhafter Etikette
Kroos hat dieser Endrunde also schon jetzt seinen Namen aufgedrängt, denn er gibt dem Team von Bundestrainer Joachim Löw die Geschmacksrichtung vor. Zu erwarten war das vor dem Turnier keineswegs. Obwohl der an der Ostseeküste Rostocks aufgewachsene Sohn zweier ehemaliger DDR-Sportler schon in jungen Jahren ein vielversprechender Mann zu werden schien, vom örtlichen Klub Hansa Rostock zum FC Bayern wechselte, und man ihn 2007 zum besten Spieler der U17-WM kürte, wurde er danach in Deutschland stets unterschätzt. Im Leben eines Fußballers gibt es Spiele, die an einem Profi haften bleiben. Bei Kroos waren es zwei bedeutende Niederlagen. Im WM-Halbfinale 2010 vergab er kurz vor dem 0:1 der Spanier freistehend eine Chance zum Siegtreffer. Weil sich der damals 20-Jährige danach wenig reumütig zeigte, war das deutsche Publikum irritiert. Zwei Jahre später im EM-Halbfinale gegen Italien stand Kroos im Zentrum einer fragwürdigen Taktik Löws. Er sollte Pirlo bewachen, was ihm grandios misslang. Das DFB-Team schied aus, und Kroos bekam nun endgültig die Etikette verliehen, ein Spieler zu sein, den man in wichtigen Partien nicht gebrauchen könne.
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Das Problem mit Kroos ist nur, dass er von sich selbst immer eine ganz andere Meinung hatte und diese durch seine Leistungen der vergangenen zwei Jahre auch bestätigt sieht. Als ihn kürzlich ein amerikanischer Journalist bei der Pressekonferenz im DFB-Quartierin Santo André auf den Makel ansprach, reagierte er gereizt: „Dann haben Sie noch nicht allzu viele Spiele von mir gesehen“, sagte Kroos und seine Miene versteinerte sich. Kroos kennt all die Vorurteile gegen ihn. Um sie zu entkräften,verweist er auf die Entwicklung, die er seit jenem imageschädigenden Halbfinale 2012 gemacht habe. „Ich bin reifer geworden und will jetzt mehr Verantwortung übernehmen“, sagte er. Es habe in der Vergangenheit immer mal wieder Spiele gegeben, in denen er sich „mit ein paar guten Aktionen“ zufrieden gegeben habe und dann „eine Viertelstunde nicht mehr zu sehen war“, sagte Kroos in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Nun aber sei er präsenter und dominanter geworden. „Ich bin jetzt ein anderer Spieler“, sagte Kroos. „Ich weiß, dass ich prädestiniert dafür bin, einer Mannschaft Klarheit und Ballsicherheit zu geben – also muss ich das auch zeigen.“
Kroos will Klarheit und Ballsicherheit - und eine andere Rolle als 2012
An Kroos’ neuerlichen Wert für seine Mannschaft hat Löw schon vor der WM keine Zweifel gehabt. „Er wird eine ganz andere Rolle spielen als 2012“, sagte der Bundestrainer. Durch den bisherigen Turnierverlauf darf Löw sich bestätigt sehen. Während vor dem Achtelfinale gegen Algerien am Montag in Porto Alegre (17 Uhr) diskutiert wird, ob Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira im zentralen Mittelfeldauflaufen sollen, wird Kroos nicht in Frage gestellt. Geliebt wird er von den deutschen Fans zwar noch immer nicht, was auch ein wenig an seinem fehlenden Charisma liegt. Aber als Ballverteiler und zentraler Taktgeber im deutschen Spiel ist er nunmehr respektiert.
Die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung könnte Kroos bald aus der Bundesliga verschwinden lassen. Sein Vertrag beim FC Bayern läuft 2015 aus. Kroos will aufsteigen zu den Topverdienern im Klub, den geliebten und anerkannten Lahm, Franck Ribery und eben Schweinsteiger. Weil die Münchner aber zögern, bemühen sich nun andere Großklubs um seine Gunst. Der FC Barcelona, der einen Nachfolger desalternden Weltklasse-Anrichters Xavi sucht, hat sich nach dem Preis für Kroos erkundigt, heißt es. Auch Real Madrid wirbt um ihn. Diese WM, die ja auch eine große Messe für Spieler ist, könnte Kroos in doppeltem Sinne für die eigene Sache nutzen: Er dürfte sich die Anerkennung erspielen, die er verdient, und einen hochdotierten neuen Vertrag – bei den Bayern oder eben einem anderen Topklub.
Neulich hat Löws Assistent erzählt, warum die sportliche Leitung derzeit so zufrieden mit Kroos sei: „Er kommt jetzt auch immer zum Frühstück, Mittag- und Abendessen“, sagte Co-Trainer Hansi Flick und grinste. Der Kellner, Koch und Spieler Toni Kroos lässt sich auch gern mal bedienen.