Porto Alegre. Der Afrikameister Nigeria steht im Achtelfinale gegen Frankreich, aber der Erfolg geht in den Meldungen über den Terroranschlag in der heimischen Hauptstadt und über den Trainingsboykott des Teams von Trainer Stephen Keshi am Donnerstagabend fast unter.

Es heißt ja nur allzu häufig, der afrikanische Fußball stehe sich selbst im Weg. Chaos im Verband, Korruption bei den Funktionären, Streit auf dem Platz: Stephen Keshi kennt all diese Vorwürfe, und je nachdem welcher Laune der nigerianische Nationaltrainer ist, räumt er mitunter ein, dass einiges davon stimme. Und hatte die 2:3-Niederlage gegen Argentinien nicht trotz des Achtelfinaleinzugs eine Szene produziert, die der Alt-Internationale im ersten Moment als „schlimm“ empfand?

Dem 52-Jährigen ging direkt nach Spielschluss die Sequenz nicht aus dem Kopf, die der brasilianische TV-Sender „SporTV“ später amüsiert ausschlachten sollte, obwohl es für die Betroffenen eher zum Heulen war: der Handbruch von Michael Babatunde, den sich der Mittelfeldspieler zuzog, weil ihm sein Mitspieler Ogenyi Onazi den Ball an die Hand donnerte.

Die Superzeitlupe zeigte deutlich, dass der Nigerianer keine Spannung auf dem Handgelenk hatte, als ihn das Geschoss traf. Keshis Gesichtsausdruck verriet: Warum tut man uns das noch an, wo wir doch endlich nach der halben Ewigkeit von 16 Jahren mal wieder eine WM-Vorrunde überleben.

Nationaltrainer Keshi: "Wie viel Leben ist ein Fußballsieg wert"

„Es sieht nicht gut aus“, erklärte Keshi und erzählte, dass eine Operation anstehe und die WM für sein Talent bedauerlicherweise beendet sei. Der 21 Jahre junge Babatunde hatte sich als wichtigstes Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff hervorgetan – der überspielt wirkende Anführer John Obi Mikel, 27, kann diese Rolle nämlich derzeit nicht bekleiden. Für das K.-o.-Duell gegen Frankreich am Montag bedeutet das wenig Gutes.

Und erst recht nicht der Trainingsboykott. Das nigerianische Team erschien am Donnerstagabend (Ortszeit) nicht zum vereinbarten Training im Estádio Brinco de Ouro in Campinas bei São Paulo.

Die Spieler debattierten stattdessen nach übereinstimmenden Medienberichten über die Prämien. Nach Angaben des Internetportals „africanfootball“ wollen die Spieler jeweils 30 000 Dollar für das Erreichen der K.o.-Runde. Musa Amadu, der Generalsekretär des Verbandes, soll nach Nigeria geflogen sein, um das Geld zu besorgen, berichtet „kickoffnigeria“.

Endgültig ging die Stimmung bei den „Super Eagles“ in den Keller, als sich die Kunde vom tödlichen Bombenanschlag in einem Einkaufszentrum im Zentrum der Hauptstadt Abuja weiter herumsprach und neue Details bekannt wurden. „Wie viele Leben ist ein Fußballsieg wert?“ fragte Keshi später. Unmittelbar vor dem Auftritt seiner Mannschaft waren wieder 20 Menschen umgekommen – niemand weiß bislang genau, ob die der Terrorgruppe „Boko Haram“ zugerechneten Anschläge mit dem Fußball in Verbindung stehen, aber die wenigen nigerianische Anhänger, die in Brasilien weilen, vermuten das.

Den Gegner Frankreich noch nicht auf Video studiert

Verständlich, dass Keshi nicht den Eindruck erweckte, als sei er auf das Achtelfinale in Brasilia besonders vorbereitet. „Das ist ein guter Gegner mit einer intelligenten Spielweise“, räumte der Coach, gab aber gleichzeitig zu, dass er die „Equipe Tricolore“ noch nicht auf Video studiert habe. Was macht in dieser Lage noch Hoffnung? „Wir wollen etwas Ablenkung verbreiten“, versprach hernach Kapitän Joseph Yobo. Seine Kollegen bringen in die Hauptstadt Brasiliens ansonsten am Montag noch einen Leistungsträger mit, der – für den Kontinent nicht unbedingt typisch – ein Torwart ist: Vincent Enyeama, der mit Abstand beste afrikanische Keeper.

„Wenn wir unsere Tugenden beibehalten, können wir vieles bewegen“, glaubt Ahmed Musa, der vorzugsweise vom linken Flügel Unruhe stiftet. Der 21-Jährige symbolisiert das reiche fußballerische Reservoir der Westafrikaner; steht aber auch für die Wankelmütigkeit des amtierenden Afrikameisters, der mal unfassbar gut und dann unglaublich schlecht agieren kann.

Als Doppeltorschütze gegen Argentinien wäre Musa der „Man of the match“ geworden, wenn es nicht Lionel Messi gegeben hätte. Aber das hätte nicht gepasst an einem Tag, an dem es für Nigeria nichts zu feiern gab.