Manaus. Manaus ist der umstrittenste Spielort der Fußball-WM in Brasilien. Es ist und bleibt fragwürdig, die WM-Teilnehmer in den Urwald zu schicken. Mitten im Amazonasgebiet machen in der Nacht auf Sonntag Italien und England den Anfang. Nach der WM wird die Arena da Amazônia leerstehen.

Vielleicht muss man einfach ein Pragmatiker wie Jürgen Klinsmann sein, um die hitzige Debatte cool lächelnd zu ersticken. „Ich war schon in Manaus“, sagt der Weltbürger mit Wohnsitz am Sonnenstrand von Kalifornien, „wenn ich das mit Miami vergleiche, dann brennt es in Florida mehr!“ Alles kein Problem, WM-Spiele unweit des Äquators mitten im Amazonasgebiet abzuhalten? Bei einer Hitze und Luftfeuchtigkeit, die jeden Widerstand bricht? Nur diese Einschränkung will der USA-Trainer noch zulassen: „Für Europäer wird das schon anders.“

Und wie es die Auslosung will, wird der umstrittenste Spielort des Turniers an diesem Wochenende mit zwei ehemaligen Weltmeistern vom alten Kontinent eröffnet: England gegen Italien (Samstag Ortszeit 18 Uhr/Sonntag 0 Uhr MESZ) lautet die Auftaktpartie für die Arena da Amazônia, eine Spielstätte für 42.000 Zuschauer, die an ein Ufo erinnert, das zwischen Stadtzentrum und Flughafen landete.

Die Nähe zum Airport ist praktisch, denn anders ist eine Zwei-Millionen-Stadt, die während des Kautschukbooms im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte, ehe die nach Südostasien geschmuggelten Samen das Weltmonopol abrupt brachen, kaum zu erreichen. Trotz der weiter rasant voranschreitenden Abholzung des Regenwaldes führt die Flugroute weitgehend noch über grünen Dschungel. Von Rio de Janeiro, wo sowohl die englische als auch die italienische Mannschaft wohnen, sind es 2850 Flugkilometer, sechsmal täglich werden Linienflüge angeboten.

Wie amerikanische Touristen

Ein anderer Reiseweg ist nicht zwingend zu empfehlen: Wegen der täglichen Regenschauer bis in den Juni hinein kommt es zu Überschwemmungen, so dass nicht sicher ist, ob die 1700 Kilometer lange Fährfahrt den Amazonas runter drei oder vier Tage dauert. Und der einzige funktionierende Landweg, die 900 Kilometer auf der BR 319 nach Porto Velho, ist oft genug unpassierbar – außerdem führt die Strecke nach Venezuela. Also werden sich die Fußballer zwangsweise ähnlich verhalten wie amerikanische Touristen, deren sündhaft teure Pauschaltouren meist so verlaufen: raus aus dem Flugzeug, schnell zu einer Urwald-Lodge schippern, ein bisschen Amazonas-Flair einatmen, für ein Erinnerungsfoto weiter zum Teatro Amazonas, dem berühmten rosa Opernhaus, die Nacht in Manaus zum Tage machen – und nichts wie weg. Mit den vielfältigen Problemen der auswuchernden Freihandelszone können und wollen sich die meisten Besucher nicht beschäftigen.

Zuletzt verging kein Tag mehr, an dem sich Englands und Italiens Fußballer nicht zu den Umständen eines Spiels in den Tropen äußern sollten. „Wir müssen beide damit klarkommen“, bringt es Wayne Rooney auf den Punkt. Dass nun auch noch der Rasen zu trocken und sandig sein soll, passt ins Bild, gleichwohl dürfte nicht der Untergrund, sondern die Umgebung das größere Problem darstellen. Italiens Coach Cesare Prandelli hat seine Spieler in Holzsaunas geschickt, um die Bedingungen nachzuempfinden; Englands Trainer Roy Hodgson hat seine Stars beim Training angewiesen, extra dicke Sachen anzuziehen.

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Die Zukunft ist ungeklärt

Worüber wiederum der DFB-Arzt Tim Meyer nur die Nase rümpfen konnte. „Akklimatisation erreicht man nicht dadurch, dass man kurzfristig eine künstliche Situation herbeiführt.“ Aber die deutsche Nationalmannschaft hat ja auch Glück: Ihr bleibt das „Höllenloch“ erspart. Nach dem Klassiker England gegen Italien finden noch die Partien Kamerun gegen Kroatien (19. Juni), USA gegen Portual (22. Juni) und Honduras gegen Schweiz (25. Juni) in Manaus statt. Was danach mit der Arena da Amazônia wird, ist unklar: Klubs wie Princesa do Solimoes, Fast Club oder Rio Negro kicken in dritt- und viertklassigen regionalen Ligen. Vor bestenfalls einem Zehntel der Zuschauer, die nun in den unsinnigsten aller WM-Paläste strömen.