Korb. Brasilien fiebert dem Start der Fußball-WM entgegen. Sollte man meinen. Doch das Land blickt wenige Tage zuvor betrübt auf das Turnier. Ex-DFB-Spieler Cacau erklärt im WAZ-Interview warum er mit vielen Brasilianern mitleidet, was die Gastgeber über Deutschland denken und wer den Titel holt.
Cacau ist noch nicht eingetroffen. Aber der Besitzer des italienischen Restaurants in Korb, vor den Toren von Stuttgart, weiß: Hier vorne sitzt er nie. Ganz hinten, da ist sein Platz. Es ist eben der Lieblingsitaliener des ehemaligen deutschen Nationalspielers aus Brasilien. Über Lieblingsthemen dagegen wird nicht gesprochen. Die Menschen in seinem Geburtsland gehen auf die Straßen, demonstrieren für mehr Sicherheit, Investitionen in das Gesundheits-, in das Schulsystem – und gegen die WM. Würde er in Brasilien leben: Cacau wäre dabei.
Es gibt nur schlechte Nachrichten aus Brasilien, Herr Cacau. Bewegt Sie das noch?
Cacau: Ich wusste, dass es so kommen könnte. Aber es ist schade, dass ich bestätigt werde, dass es von der Organisation her nicht läuft, wie man es sich gewünscht hat, dass die Stadien nicht so rechtzeitig fertig wurden, wie man es geplant hat, dass sehr viele Versprechungen nicht eingehalten wurden. Das macht mich traurig. Ja.
Man kann den Eindruck gewinnen: Brasilien ist vor der Weltmeisterschaft ein Land in Aufruhr...
Cacau: Ich finde es gut, dass die Menschen aufgewacht sind. Brasilianer waren immer sehr zurückhaltend, was Politik angeht. Aber jetzt ist es so sichtbar, wie man es nicht machen sollte, dass sie endlich sagen: Das wollen wir nicht mehr dulden. Über Jahre hinweg wurde behauptet: Wir haben kein Geld, wir können
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nicht in Bildung, Sicherheit, Transport, Gesundheit investieren. Und jeder hat es so hingenommen. Aber als die Präsidentin gesagt hat, dass die Stadien nur mit Privatgeldern gebaut werden, das aber nicht eingehalten hat, da war für jeden klar: Wir werden - das muss ich so sagen - verarscht. Wer 500 Millionen Euro für den Umbau des Maracana hat, der hat auch die Möglichkeit in Bildung, Schulen, Gesundheit zu investieren.
Es sollen zehn Milliarden Euro in die WM investiert worden sein. Ist es diese Zahl, die Menschen auf die Straße treibt?
Cacau: Ja. Erst haben die Leute ja gedacht: Okay, wir kriegen die WM und müssen viel Geld investieren, aber nach der WM haben wir zumindest etwas davon. Was man aber jetzt hat, das sind vor allem Stadien. Und das ist viel zu wenig.
Vor 16, 17 Jahren: Wären Sie mit auf der Straße gewesen?
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Cacau: Ich wäre jetzt mit auf der Straße, weil mich das alles bedrückt und man sieht, welches Potenzial Brasilien hat, wenn man nur eine solide Politik macht. Aber die Politiker und auch viele andere denken nur an sich, sie wollen nur selbst profitieren. Das ist sehr, sehr schade für das Land und die Menschen, die darin leben.
Sie haben in Ihrer Kindheit selbst unter den Verhältnissen in Brasilien gelitten. Wenn das Essen beendet war, hatten sie häufig noch Hunger, weil ihre Familie arm war. Ihr Vater war psychisch labil und alkoholkrank, wurde in Krankenhäusern aber nur still gelegt. Ihre Schule war weit entfernt, kaum zu erreichen. Ist das noch so gesellschaftliche Realität?
Cacau: Es hat sich schon etwas verändert. Durch den Wirtschaftsboom haben viele eine bessere Arbeit, ein besseres Gehalt, können sich mehr leisten. Aber es ist weniger, als man hätte erreichen können. Dass es trotz des Booms noch so schlecht ist: Das ist bedrückend.
Sie waren bei der WM 2010 in Südafrika dabei, das Hotel der Nationalelf lag weit außerhalb von Pretoria. Das Campo de Bahia in Brasilien wird sogar nur über ein Fähre zu erreichen sein. Bekommt man als Spieler etwas mit vom Land?
Cacau: Nein. Man hat nicht viel vom Land gesehen in Südafrika. Aber in Brasilien denke ich, hat die Führung der Nationalmannschaft es dennoch wieder gut ausgesucht. Man kann sich entspannen. Man ist am Meer. Aber, das ist ja klar: Man ist trotzdem nicht in Urlaub.
Sie glauben, dass das Prinzip Einsiedelei, dass nach 2006 zurückkehrte, leistungsfördernd ist?
Cacau: Ich finde es gut. In Südafrika war es ja auch positiv. Auch da wurde vor der WM viel kritisiert: Hotel wird nicht fertig, es ist zu abgelegen, die Zimmer sind zu dunkel. Und ich bin dort angekommen und habe gedacht: Es ist alles schön und die Menschen sind sehr freundlich. Man muss sich schließlich auf die Spiele vorbereiten. Und deshalb ist eine gewisse Ruhe sinnvoll.
2010 hat die Mannschaft Deutschland mit ihrer Spielweise begeistert. Dieser Stil hat sich verändert. Zum noch Besseren?
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Cacau: Es ging Bundestrainer Joachim Löw immer darum, technisch gute Spieler zu haben. Und er hat immer gesagt: Die meisten Tore fallen sieben, acht Sekunden nach Ballgewinn. Deshalb: schnell nach vorne spielen. Ob er seine Philosophie geändert hat? Das kann ich mir nicht vorstellen. Es fehlte mir nur zuletzt oft die Dynamik: an den Sechzehner, zurück, wieder nach vorn und wieder zurück....
So sahen unsere Nationalspieler als Kind aus
Brasilianer "lieben deutschen Fußball und Spielstil"
Ihre Mutter hat irgendwann gesagt, für Sie reiche es höchstens für Deutschland. Das spricht nicht für das Bild vom deutschen Fußball in Brasilien...
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Cacau: Das galt bis 2010. Seitdem lieben alle deutschen Fußball und den deutschen Spielstil. Technik, Schnelligkeit. 2010 hat das Bild komplett verändert. Und Deutschland hat natürlich auch noch souverän Argentinien aus dem Turnier geworfen. Das ist für Brasilianer schon etwas sehr, sehr Positives.
Ihre Mutter hat es aber gut vorhergesehen: Sie sind deutscher Nationalspieler geworden. Der Höhepunkt für Sie wäre die WM im Geburtsland gewesen…
Cacau: Das war ein Traum. Ich wurde aber schon für die EM nicht nominiert. Danach habe ich mich zweimal schwer verletzt, lange nicht gespielt, nicht so oft gespielt. Deshalb stimmt mich das auch nicht mehr so traurig. Ich habe mich frühzeitig damit abgefunden, dass ich bei der WM nicht auf dem Platz stehe. Aber ich werde in den Stadien sein, unter anderem für das ZDF.
Wenn Sie auf die WM vorausschauen: Wird der Zorn in Brasilien dominieren, werden die Menschen mit den schon bekannten Transparenten demonstrieren: Nao vai ter copa, es wird keine WM geben? Oder werden wir doch brasilianische Fußballfreude erleben?
Cacau: Es wäre zu optimistisch, wenn ich sagen würde: Es wird keine Proteste geben. Aber ich wünsche mir, dass diese mit einem klaren Ziel stattfinden und Gewalt ausbleibt. Und ich denke schon: Wenn die WM anfängt, dann wird man sich auch auf ein Fußballfest freuen.
Noch zwei sehr unterschiedliche Fragen. Die erste: Wer wird Weltmeister?
Cacau: Meine drei Favoriten sind Brasilien, Deutschland, Spanien. Und ich wünsche mir Brasilien gegen Deutschland im Finale. Und wer dann Weltmeister wird, das wird man sehen…
Frage zwei: Hätten Sie die WM nach Brasilien vergeben?
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Cacau: Sehr gute Frage (schweigt sehr lange). Ich denke schon. Wenn ich es in der Hand gehabt hätte, dann hätte ich ja auch die Möglichkeit gehabt, die Dinge zu beeinflussen, anders zu gestalten, ganz anders zu handeln, als gehandelt wurde.