Bochum. . Der Start ins Kalenderjahr 2013 ist beim VfL Bochum deutlich missglückt. In Aalen holten die Westfalen nur einen Punkt, gegen den Tabellenletzten Regensburg verlor der VfL fast chancenlos. Im Interview spricht Bochums Kapitän Andreas Luthe über Kommunikationsprobleme, Floskeln und den Abstiegskampf.
Andreas Luthe kommt 20 Minuten verspätet zum vereinbarten Interviewtermin im Bochumer "Tierparks". Die Baustellen rund um die Castroper Straße machten dem Torwart und Kapitän des VfL Bochum zu schaffen. Und irgendwie sind diese Baustellen Sinnbild für die Situation des Zweitligisten. Im Interview mit WAZ.de spricht der "Bochumer Junge" einen Tag nach der Niederlage gegen Jahn Regensburg über Kommunikationsprobleme, Floskeln und den Abstiegskampf mit seinem Verein.
Sie kommen gerade vom Auslaufen. Wird beim Rundendrehen viel miteinander gesprochen, oder ist da jeder gedanklich für sich?
Andreas Luthe: Wie die Stimmung beim Auslaufen ist, kommt extrem auf das zurückliegende Resultat eines Spiels an. Wenn wir unsere Niederlage gegen Regensburg als Beispiel nehmen, ist es auf dem Trainingsplatz schon sehr ruhig. Jeder ist mit seinen Gedanken für sich, was nichts Schlechtes ist. Nach guten Spielen ist es wesentlich lockerer und da tauschen wir uns mehr aus.
Was sind das für Gedanken in der Stille des Laufens?
Luthe: Während des Laufens ist man ganz bei sich, hat eine gewisse Ruhe und kann sich sortieren. Das ist nach so einem schlechten Spiel auch angebracht.
Wurde überhaupt schon über das Spiel gesprochen?
Luthe: Der Trainer macht vor dem Auslaufen immer eine erste, kleine Sitzung, in der die Hauptkritikpunkte angerissen werden. Er reißt die Themen an, die auch Bestandteil der ausführlichen Analyse sind, die meist zwei Tage vor dem nächsten Spiel stattfindet. Danach gehen wir alle getrennte Wege, reflektieren und denken über unsere Leistungen nach.
Damit nach dem freien Tag hart kritisiert werden kann?
Luthe: Wenn jeder Spieler bei seiner Familie etwas abschalten konnte, arbeiten wir die Partie noch mal auf, ja.
Sie können den Auftritt gegen Regensburg trotzdem sicherlich schon einordnen.
Luthe: Wir haben eine katastrophale erste Halbzeit gespielt, haben keine Ruhe ins Spiel bekommen und haben erst nach dem Gegentor angefangen, Fußball zu spielen. Die zweite Hälfte war sicherlich etwas besser und wir hatten durch Standardsituationen Möglichkeiten zum Ausgleich. Aber als wir ein bisschen offensiver gespielt haben, bekommen wir mit dem 0:2 den Gnadenstoß.
Wie erklären Sie sich die ersten 45 Minuten, in denen es dem VfL nicht gelungen ist, Pässe über fünf Meter an den eigenen Mann zu bringen?
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Luthe: Das ist ein Rattenschwanz. An einem guten Tag lässt du dich davon nicht beeinflussen, wenn einer einen Fehler macht. An einem schlechten Tag, kommt dann der nächste auch ins Stolpern und so setzt sich das dann fort. Wir haben uns von der Unruhe innerhalb der eigenen Mannschaft anstecken lassen.
Konnten Sie als Mannschaftskapitän nicht eingreifen und wachrütteln?
Luthe: Es gibt Dinge, die man direkt im oder nach einem Spiel ansprechen und aufarbeiten muss. Das sind in der Regel Situationen, die ich von meiner Position als Torwart gut beurteilen kann, zum Beispiel Aktionen der Innen- oder Außenverteidiger. Den richtigen Blick auf das komplette Spiel bekomme aber auch ich erst in der Analyse durch den Trainerstab.
Nach Spielen, egal ob Sieg oder Niederlage, werden meist nur Floskeln gedroschen, letztlich aber wenig gesagt.
Luthe: Jede Woche stehen wir unmittelbar nach dem Abpfiff Journalisten und Medienvertretern Rede und Antwort. Man erwartet von uns, dass wir Fehler analysieren und direkt erklären. Aber wie erklärt man Dinge, die gerade zwei Minuten vorbei sind? Da ist nicht einfach. Und oft kommt am Ende die eine oder andere Floskel raus.
Es gibt aber auch Fußballer, die sehr schnell klare Worte finden.
Luthe: Wir klären bei uns im Verein die Dinge in erster Linie intern. Wer sich vor die Journalisten stellt, mit der Faust auf den Tisch haut und Kollegen öffentlich kritisiert, ist in meinen Augen unprofessionell.
Luthe analysiert die Lage des VfL
Luthe glaubt nicht an ein Nokia- oder Opel-Schicksal für den VfL
Ende Oktober haben Sie gesagt, man solle "die Situation nicht überdramatisieren" - damals stand der VfL nach zehn Spielen auf dem Relegationsplatz. Nach 21 Spielen hat sich die Situation nicht wesentlich gebessert. Wie dramatisch ist die Lage?
Luthe: Die Bedeutung des Wortes sagt doch schon alles: Wenn man dramatisiert, dann übertreibt man. Damit dürfen wir nicht anfangen, sondern wir müssen die Situation realistisch einschätzen: Nach zehn Spielen kann man sagen, es ist genügend Zeit da, die Sache grade zu biegen. Ein Sieg am Sonntag wäre ein Big Point gewesen. Wir hätten uns nicht unerheblich von unten abstoßen können und das haben verpasst. Jetzt wird es von Spiel zu Spiel enger. Wir haben eine andere Situation als in der ersten Saisonhälfte.
Weile es dem VfL auch nicht gelingt, sich entscheidend von den Abstiegsplätzen abzusetzen - wie schwer ist ein Umbruch unter Abstiegsbedingungen?
Luthe: Der Umbruch fällt enorm schwer und es wäre einfacher, wenn wir schon eine gewisse Punktezahl auf dem Konto hätten. Was uns fehlt ist Konstanz. Nach guten Spielen weiter konstant zu punkten schaffen wir in dieser Saison leider noch nicht. Das hängt sicherlich auch mit dem Umbruch zusammen, und daran müssen wir arbeiten.
Seit der verpassten Relegation vor zwei Jahren gegen Borussia Mönchengladbach geht es beim VfL stetig bergab. Gibt es einen kausalen Zusammenhang?
Luthe: Im ersten Jahr haben wir das gut gemacht und eine ganz ordentliche Saison gespielt. Als Absteiger geht man mit einem gewissen Bonus in eine Zweitligasaison: finanziell, vom Standing und im gesamten Umfeld. Wie lange hat die SpVgg Greuther Fürth gebraucht, um aufzusteigen? Das war enorm. Vielleicht kann man das jetzt mit uns vergleichen, denn das kann ein echt langer Weg sein.
Im zweiten Zweitligajahr wurde der Abstieg verhindert, jetzt kämpft der VfL erneut um die Klasse.
Luthe: Es folgte eine schwache Folgesaison und jetzt befinden wir uns in einem Negativtrend. Diese vielen negativen Ergebnisse müssen wir endlich abschütteln. Wir stecken in einem Prozess, der viel Arbeit erfordert und uns hoffentlich bald wieder ins gesunde Mittelfeld führt. Erst dann kann man wieder Schritt für Schritt den Weg nach oben suchen. Darüber müssen wir uns alle im Klaren sein.
Einige Fans haben die Geduld nicht. Wenn man es mit böser Zunge sagen ausdrücken möchte, könnte man sagen: Der VfL spielt sein Stadion leer.
Luthe: Man kann die Zahlen und Fakten nicht ignorieren. Aber ich glaube, unser Publikum ist offen dafür, positive Leistungen anzuerkennen. Es war bislang immer zu sehen, dass immer direkt mehr Leute ins Stadion kamen, wenn wir gut gespielt haben. Das ist unsere Chance. Wir haben die Fans noch nicht verloren. Wir haben es zum Beispiel mit guten Leistungen geschafft, gegen Bayern München im DFB-Pokal vor ausverkauftem Haus zu spielen. Solche Momente müssen wir einfach nutzen, um die Bochumer wieder an die Castroper Straße zu locken.
Nach Nokia und Opel - wie sehr ist der Fußballstandort Bochum gefährdet?
Luthe: Ich hoffe, nicht zu sehr. Wir können ja alle unsere Situation gesund einschätzen: Es ist nichts verloren, aber sicherlich ist es eine schwere Aufgabe für uns. Es ist gefährlich, weil alles passieren kann. Aber wird sind uns dessen bewusst. Zwischen dem VfL und den ganzen wirtschaftlichen Standorten besteht kein Zusammenhang. Wir können durch Erfolge der ganzen Stadt wieder ein positives Gefühl geben. Ich glaube, dass das vielen Menschen in Bochum dann auch helfen wird.
Am Sonntag gab es eine Schweigeminute für den verstorbenen Ex-Präsidenten Werner Altegoer. Sein Ziel war es immer, sich als gallisches Dorf zwischen BVB und Schalke zu etablieren und eine Nische zu besetzen. Muss man festhalten, dass dieses Unterfangen kaum möglich ist?
Luthe: Im Rahmen des Möglichen wird beim VfL Bochum viel erreicht, aber der Verein muss zwischen den beiden großen Vereinen eine kleine, eigene Marke sein. Andernfalls wird es relativ schwer, hier im Ruhrgebiet zu bestehen. Es sind die richtigen Menschen im Verein, um den VfL langfristig als Marke zu etablieren. Maßgeblich sind aber wir Spieler daran beteiligt. Eine Marke schafft man mit positiven Nachrichten und die sind beim Fußballklub sportlicher Natur.
"In der Leistungsgesellschaft ist jeder austauschbar"
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten den "schönsten Job der Welt" – hat das in Krisenzeiten noch bestand?
Luthe: Ich ziehe immer am Ende eines Jahres ein persönliches Fazit, ob der Job schön war, ob es Spaß gemacht hat und ob ich mit meinen Leistungen zufrieden war. Das war bis jetzt immer der Fall. Es gibt aber, wie in jedem Job, Höhen und Tiefen. Unter dem Strich muss immer stehen, dass man seine Arbeit mit Herzblut macht, auch wenn es gerade mal nicht rund läuft.
Auch Sie hatten Höhen und Tiefen in dieser Saison und gelten nicht mehr als unantastbar.
Luthe: Ich bin niemals so blauäugig durch die Welt gerannt mit dem Gedanken, dass ich nicht austauschbar bin. Jeder von uns ist in dieser Leistungsgesellschaft zu ersetzen. Ich weiß um meine Stärke, spiele meinen Fußball und weiß, dass ich damit der Mannschaft weiterhelfen kann. Solange das so ist, wird sich auch alles zu meiner Zufriedenheit darstellen.
Bei Tim Wiese hat man kürzlich gesehen, wie schnelllebig das Fußballgeschäft ist.
Luthe: Für Tim Wiese ging es lange sehr steil nach oben. Jetzt muss er mal mit einer schweren Phase im Leben klarkommen, aber ich glaube, dass er da wieder herauskommt. Er ist eine starke Persönlichkeit.
Hat das Team des VfL so eine starke Persönlichkeit? Welcher Punkt macht Sie zuversichtlich, dass Sie nicht absteigen?
Luthe: Vertrauen in unsere eigene Stärke. Wir haben es oft genug bewiesen, dass wir Fußball spielen können. Wir müssen den Kopf oben behalten, aber auch selbstkritisch damit umgehen, was wir falsch machen. Und wir machen Dinge falsch, sonst würden wir nicht da unten stehen. Wir haben das Potenzial, im Mittelfeld zu spielen. Dort hätten wir etwas mehr Ruhe und ich hoffe, dass das schnell passiert.
Kann nur noch der DFB-Pokal diese verkorkste Saison retten?
Luthe: Nein, wir haben die Möglichkeit, die Saison auch mit vielen Punkten und einem Platz im Mittelfeld zu retten. Der DFB-Pokal ist das i-Tüpfelchen. Wir haben gegen Stuttgart eine reelle Chance und damit können wir weitere positive Signale setzen.