Bochum.

„Es gibt keinen Rücktritt vom Rücktritt“, erklärte Werner Altegoer gegenüber der WAZ. Gleichwohl will der 75-Jährige beim VfL Bochum bleiben, bis die Mitglieder einen neuen Rat bestimmt haben.

Der Mann am Mikrophon sagte den entscheidenden Satz: „Die Abstimmung stellt das Bild des Vereins dar.“ Etwa 20 Minuten und eine erneute Abstimmung später brach hier lauter Jubel aus, dort machte sich Entsetzen breit: Der VfL Bochum hatte die Hälfte seiner Führung verloren.

Obwohl allen Beteiligten vorher klar gewesen sein musste, dass diese Mitgliederversammlung keine Ähnlichkeit mit einem Kaffekränzchen haben würde, war man überrascht. 669 Menschen, weit mehr als die durchschnittlich 300, die in den letzten Jahren für ihren VfL zum RuhrCongress gepilgert waren, drängelten sich, wollten teilhaben, wollten auch ihre Unzufriedenheit äußern.

Sportvorstand Thomas Ernst („Natürlich hat man, wenn man keinen Erfolg hat, keine Argumente“) bekam das deutlich zu spüren, und die frohe Botschaft von Finanzvorstand Ansgar Schwenken, dass der VfL Bochum in den vergangenen Jahren rund acht Millionen Euro Schulden abbauen konnte und zum Ende des vergangenen Geschäftsjahres ein Plus von 109000 Euro aufwies, vermochte nicht bei allen Anwesenden die Stimmung aufzuhellen. Eine Atmosphäre, „als ob der Verein langsam sterben würde“, beklagte ein Mitglied. Der donnernde Applaus zeigte, dass er mit diesem Gefühl nicht allein stand.

VfL-Fans sprechen Klartext

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    Selbstkritische Töne

    Dabei zeigte sich der Aufsichtsratsvorsitzende und Versammlungsleiter Werner Altegoer zu Beginn souverän, räumte freimütig ein, dass man in der letzten Spielzeit „kein gutes Bild“ abgegeben habe, „in allen Bereichen“. Selbstkritische Töne waren von ihm zu hören, zum Beispiel in Sachen Heiko Herrlich („Klar ausgedrückt: Da haben wir nicht richtig gelegen“), und dennoch eskalierte die Situation. Zu spät und zu zögerlich ging der Aufsichtsrats-Vorsitzende auf den Wunsch der Versammlung nach einer zweiten Abstimmung ein, als es um die Entlastung des Gremiums ging, dem er seit der Schaffung 2002 vorstand. Offenbar waren auch die mahnenden Worte von Günter Bernhörster, es gehe bei der Entlastung nicht um die Frage, ob jemand erfolgreich, sondern ob er „korrekt gearbeitet“ habe, nicht wirklich angekommen bei den Mitgliedern.

    Und so entzog schließlich die Mehrheit der Stimmberechtigten, getrieben von der sich aufheizenden Stimmung im Saal, dem Aufsichtsrat in Gänze und Werner Altegoer persönlich das Vertrauen, nicht anders war die Versagung der Entlastung zu interpretieren. Das konnte von einem Mann, der allergrößten Wert auf seine moralische Integrität und seine Gutwilligkeit legt, nur mit einer Handlung beantwortet werden: Rücktritt.

    Das allerdings hatten nicht alle bezweckt, die der Führung des VfL Bochum lediglich einen Denkzettel verpassen wollten und nun aus dem ungläubigen Staunen gar nicht mehr heraus kamen. Die Fan-Initiative „Wir sind VfL“, die im kritischen Dialog mit dem Klub vor allem über eine Satzungsänderung eine Öffnung und mehr Rechte für die Mitglieder zu erreichen versucht, zog erschreckt ihre Anträge zurück.

    Hossiep,Christopeit und Schütt stehen zur Seite

    Abgestimmt ist aber abgestimmt und gesagt ist gesagt. „Es gibt keinen Rücktritt vom Rücktritt“, erklärte Werner Altegoer gegenüber der WAZ gestern Abend am Telefon. Gleichwohl lässt sich der 75-Jährige ein letztes Mal in die Pflicht nehmen. Weil mit Frank Goosen, der, wenn auch konsterniert, den Turbulenzen trotzte („Ich kann doch jetzt nicht einfach abhauen“) und sich in das höchste Gremium wählen ließ, am Ende eines langen Abends nur noch ein gewähltes Aufsichtsrats-Mitglied existierte und damit der Aufsichtsrat laut Satzung aufgehört hatte zu atmen, wird Altegoer weiter machen, bis die Mitglieder einen neuen Rat bestimmt haben.

    Um weiter zu machen, wollte er aber einige seiner ebenfalls zurückgetretenen Mitstreiter davon überzeugen, dass der VfL unbedingt handlungs- und beschlussfähig bleiben muss. „Das werden wir wohl hinkriegen“, sagte Altegoer gestern zu später Stunde. Heinz Hossiep, Horst Christopeit, die beide ebenfalls das Handtuch geworfen hatten, und Klaus-Peter Schütt werden ihm bis zur Neuwahl zur Seite stehen.

    Wüst lederte los

    Für die Bereitschaft, vorerst als Kapitän auf der Brücke zu bleiben, muss man dem so umstrittenen wie prägenden Mann des VfL der letzten beiden Jahrzehnte Respekt zollen, zumal der Montagabend für ihn einen weiteren Tiefpunkt bereit hielt. Denn als Ottokar Wüst, der Ehrenpräsident, von einem Mitglied um eine Stellungnahme gebeten wurde, fiel ihm nichts Besseres ein als in die frische Wunde zu hauen. „In unserem Klub sind in den letzten Jahren gravierende Fehler gemacht worden“, lederte der 85-Jährige los.

    Im Fußball nennt man das Nachtreten, und es handelte sich um ein überaus hässliches und in dieser Spielsituation, in der der Gegner bereits am Boden lag, völlig unnötiges Foul, das für gewöhnlich mit Rot geahndet wird.