Bochum. .
Zum sechsten Mal ist der VfL Bochum aus der ersten Bundesliga abgestiegen. Business as usual könnte man denken, doch tatsächlich ist dieser Abstieg Tiefpunkt eines dramatischen Entfremdungsprozesses zwischen Verein und Fans. Und mit letzteren sind nicht die gemeint, die am Samstag Randale gemacht haben, sondern die restlichen, die weit über neunzig Prozent der Basis dieses Clubs ausmachen, und die sich seit geraumer Zeit verarscht und allein gelassen fühlen von Mannschaft und Verein.
Nur kurz nach dem desaströsen Spiel gegen Hannover 96 hörte man wieder die immergleichen Floskeln, diese blutleer ins Mikro geblubberten Textbausteine, die alles transportieren, nur keine Emotion. Da ist es dann „müßig“ über die Entwicklung der letzten Monate zu reden, und „nach vorne“ müsse man nun schauen. Wer immer nur nach vorne schaut, sieht nicht, was er vorher verkehrt gemacht hat.
Dieser Verein macht schon lange keinen Spaß mehr, vermittelt seinen Anhängern nicht das emotionale Erlebnis, für das sie ins Stadion gehen und, nebenbei gesprochen, immer mehr bezahlen. Seit ziemlich genau zwei Jahren bietet der VfL gerade bei den Heimspielen immer weniger Herzblut. Seit der Trennung von Stefan Kuntz fehlte dem Anhang eine emotionale Identifikationsfigur, dem kompetenten, aber spröden Trainer Marcel Koller ein Korrektiv, nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch in der internen Debatte. Und es hat funktioniert. Warum wurde das nicht fortgesetzt? Stefan Kuntz wollte, nach Worten des Aufsichtsratsvorsitzenden, „alles bestimmen“, Trainer, Co- und Torwarttrainer, Mannschaftsarzt. Hört sich an, als wollte er einfach seinen Job machen.
Tatsache ist, dass der Club in der Zeit nach dieser Trennung langsam ausblutete. Es wurden vor allem Spieler geholt, die keine Probleme machen – was allerdings dazu führte, dass in schlechten Spielen es auch keinen mehr gab, der mal glaubhaft dazwischen haute. Der letzte Spieler, der dazu in der Lage war, hieß Thomas Zdebel Der aber verlor den Machtkampf mit dem Trainer, was ihn für einige Fans zu einer Art Märtyrer machte, obwohl den meisten klar war, dass Zdebels Oppositionshaltung auch nicht immer von eindrucksvollen Leistungen gedeckt war.
Keine Visionen
Die Mannschaft bestehe nur aus Indianern ohne Häuptlinge, befand Heiko Herrlich, als er letztes Jahr seinen Dienst antrat. Die Diagnose war richtig. Das Ziel, nämlich einem Verein wie dem VfL eine Siegermentalität zurückzugeben, ebenfalls. Nur ging das irgendwo zwischen Naturmetaphern, Demutspathos, Cholerik und unverständlichen taktischen Wechselspielen verloren.
Dieser Verein ist mittlerweile durchsuppt von einem Gestus der Mittelmäßigkeit, einer Haltung, die kein Ziel, keine Vision kennt, nur Langeweile. Wer einmal das Glück hatte, den Aufsichtsratsvorsitzenden auf einer Saisonabschlussfeier sprechen zu hören, weiß, wo das herkommt: Nicht der VfL Wolfsburg sei deutscher Meister geworden, hieß es da, sondern VW. Auf dem zweiten Platz seien Allianz und Telekom gelandet. Und so weiter. So richtet man sich in einer Opferrolle ein, die im wahrsten Sinne des Wortes un-sportlich ist. Kein Rhönradfahrer kann seinen Sport mit diesem Habitus betreiben. Es ist letztlich wie in der Kindererziehung, wenn du den Blagen aus einer aus ihrer Sicht ausweglosen Situation heraushelfen willst: Wollen sie in der Ecke sitzen und heulen oder sollten sie versuchen, das Beste daraus zu machen? Mach es mit Musik: Spiel ihnen Herne 3 vor: Immer wieder aufstehen, immer wieder sagen, es geht doch!
Preisfrage: Welches war in dieser Saison das Schlüsselspiel, in dem der VfL nicht nur die Weichen Richtung Abstieg stellte, sondern unfreiwillig den Geist, von dem er beseelt ist, offen legte? Es war jenes gegen den 1.FC Nürnberg, das man im eigenen Stadion 0:0 beendete, worüber aber nicht wenige sehr glücklich waren: Wieder nicht verloren, tolle Sache! Wir sind vierzehnter, haben neun Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz, wir haben alles, aber auch wirklich alles erreicht! Beim VfL gibt es zu wenige, die sagen: Das ist schön, aber ich will mehr. Dafür bin ich Fußballer geworden. Als man sich in den nächsten Begegnungen in die Abwärtsspirale spielte, hörte man vom stellvertretenden Mannschaftskapitän, es sei menschlich, dass man im „Erfolgsfall“ auch wieder abschlaffe. Genau hier liegt der Grund für den Niedergang des VfL begraben, in der Frage nämlich, was man hier als „Erfolgsfall“ definiert. Im Rahmes eines „Erwartungsmanagements“ gilt es, die Wünsche des Anhangs weit genug herunterzudimmen.
Kein Fiege-Pils
Und jetzt wollen sie uns auch noch unser Bier wegnehmen. Kein Fiege-Pils mehr im Stadion, sondern Krombacher, Bitburger oder sonst ein Bier, zu dem man jeweils stehen kann, wie man will: Es ist einfach nicht unseres. Sicher, der VfL braucht jeden Euro, zumal in der zweiten Liga. Aber was dieser Verein noch sehr viel dringender braucht ist eine Identität, eine Idee, hinter der man sich versammeln kann und die die Basis fürs Überleben darstellt. Das Leitbild, das man sich vor einiger Zeit gegeben hat, war ein Anfang. Allein, es wird nicht mit Leben gefüllt. Regionale Identität wird dort sehr groß geschrieben. Aber auch nur dort.
Ich weiß, wir sind nicht mehr jung, und wir brauchen das Geld, wir brauchen das Geld, wir brauchen das Geld. Wer weiß: Hätte man den Mut, konsequent eine Image-Nische zu besetzen, weg von Billig-Discountern auf dem Trikot, hin zu der kämpferischen, vielleicht etwas dreckigen, aber immer hautnahen, leidenschaftlichen Alternative zu den Großclubs ein paar Kilometern westlich und östlich von uns – vielleicht würde sich das unterm Strich auch finanziell bezahlt machen. Mancher Verein möchte etwas besonderes sein, der VfL will nur sein wie (fast) alle anderen.
Was aber ist zu tun? Die Mehrheit im Verein und um ihn herum, ist davon überzeugt, dass ein konsequenter Neuanfang nötig ist, und der beginnt ganz oben, beim Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender immer ein offenes Ohr für Spieler hat, ja, diese bisweilen sogar ermutigen soll, sich, an der sportlichen Leitung vorbei, an ihn zu wenden. Auch die Entlassung von Heiko Herrlich geht auf eine solche Spielerintervention zurück. Diese Entlassung mag richtig gewesen ein, gebracht hat sie nichts.
Dass viele, auch einflussreiche Menschen im Umfeld des VfL hier eine Änderung herbeisehnen ist das eine. Dass niemand sich den Hut aufsetzt, das andere. Was aber passiert, wenn sich im Laufe einer emotional aufgeheizten Jahreshauptversammlung irgendwann ein unseriöser Paradiesvogel des Vereins bemächtigt und ihn endgültig zur Lachnummer macht? Dann hat man es kommen sehen, aber nichts dagegen getan.
Keine Identität
Doch machen wir uns nichts vor: maßgebend ist auffem Platz. Ohne einen kompletten Neuaufbau des Kaders wird man nichts erreichen, vor allem nicht im Verhältnis zu den Fans. Einer der wenigen, die nach dem Spiel gegen Hannover den richtigen Ton trafen, war Darius Wosz. Mit Tränen in den Augen sagte er über die Mannschaftsleistung den knappen, aber treffenden Satz: Früher war das anders. Aus Wosz sprach nicht nur bodenlose Enttäuschung über den Abstieg, sondern auch die Fassungslosigkeit über die Art und Weise, wie die meisten Spieler an diesem Tag, passenderweise einem achten Mai, kapituliert hatten.
Wie gesagt, der Verein braucht eine Identität und eine Idee von sich selbst. Er braucht auf allen Ebenen Personal, das diese Idee verkörpert und dafür kämpft. Wir wollen wieder Lust auf unseren Verein haben. Wenn es dafür nötig ist, ihn umzubauen, sollten wir sofort damit anfangen.