Bochum. Ilja Kaenzig, Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum, denkt an eine Ära mit Trainer Letsch und wünscht sich Frieden mit Schalke-Coach Reis.
Am Samstag empfängt der Tabellenvorletzte VfL Bochum (19 Punkte) das Schlusslicht Schalke 04 (16) im ausverkauften Vonovia Ruhrstadion (15.30 Uhr). Derby, Abstiegskampf, Rückkehr von Bochums Ex-Trainer Thomas Reis ins Ruhrstadion, es steckt jede Menge Brisanz im Spiel. Ilja Kaenzig, der Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum, äußerte sich im Interview mit dieser Redaktion über die Bedeutung des Derbys, dem Umgang mit Reis, die Stärken von VfL-Trainer Thomas Letsch und was ein (Nicht-)Klassenerhalt bedeuten würde.
Ist das Derby schon ein Endspiel im Kampf um den Klassenerhalt?
Ilja Kaenzig: In einem Hollywood-Streifen wäre es ein Endspiel, der Höhepunkt in einem Drama mit einer im Aufwind befindlichen Mannschaft und einer anderen mit vermeintlich absteigender Form. Aber das ist ja kein Hollywood-Film. Das ist Bundesliga. Da fallen die Entscheidungen meistens am letzten Spieltag, manchmal in letzter Sekunde. Das wissen auch die Schalker. Man kann Titel verlieren in letzter Sekunde. Für die Show möchte man das Derby am Samstag zum Endspiel hochstilisieren. Aber es gibt auch in diesem Spiel nur drei Punkte für den Sieger.
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Sieg oder Niederlage aber sorgen für andere Wahrnehmungen, eine gute oder schlechte Stimmungslage, die entscheidend sein kann für den weiteren Saisonverlauf über die drei Punkte vom Samstag hinaus.
Wenn wir gewinnen, haben wir keine Garantie auf den Klassenerhalt, Schalke hätte bei einem Erfolg auch keine Garantie. Außerhalb des Ruhrgebiets wird das Spiel auch nur als ein Spiel im Abstiegskampf gesehen. Das Derby wird aus emotionalen Gründen, die nachvollziehbar sind, faktisch überhöht. Die Schalker hatten schon so viele Endspiele, jetzt sind sie trotzdem dran. Das gilt auch für uns. Wir waren auch schon abgestiegen für viele, dann auf Rang 14. Jetzt sind wir weiterhin dran.
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Gelingt die Rettung denn?
Niemand zweifelt daran - aber sie wird wohl erst am Schluss gelingen. Es wird noch viele Wendungen geben. Wer hätte etwa gedacht, dass Hoffenheim Spiel um Spiel verliert, Schalke wieder dran ist – und wir selbst nach sechs Niederlagen zum Saisonstart alle Chancen haben? Das war ein Negativ-Rekord! Wir sind konkurrenzfähig mit den Teams, die im Abstiegskampf stehen. Auswärts haben wir leider einen schlechten Lauf. Aber der wird nicht ewig anhalten.
Für Bochum ist es das große, für Schalke traditionell das kleine Derby. Wer hat Recht?
Derby ist Derby. Da sind Emotionen und Rivalität drin, das macht es aus. Es gibt keine Abstufungen, das wäre Quatsch.
Thomas Reis kehrt als Schalker Trainer zurück ins Ruhrstadion. Welchen Empfang wünschen Sie sich für ihn – und welchen erwarten Sie?
Ich denke, dass sich auf den Rängen viele Emotionen auch auf ihn fokussieren. Aber das ist Teil des Derbys, das befeuert Thomas Reis selbst ja auch. Er ist jetzt Schalke-Trainer, und am Samstag steigt ein wichtiges Spiel zweier Klassenerhaltskonkurrenten. Mein Wunsch ist es, dass irgendwann mal keine Giftpfeile mehr fliegen. Dass wir so weit kommen, dass sich alle aussprechen und Frieden schließen. Vor dem Derby ist das sicherlich schwierig. Aber die Leistungen von Thomas Reis für den VfL Bochum stehen in den Geschichtsbüchern, sie sind unbestritten. Es ist schade, wenn die Kommunikation einen faden Beigeschmack hat. Er trifft ja auch regelmäßig auf Leute aus dem VfL-Umfeld, auf Mitarbeiter, da wechselt man nicht die Straßenseite. Ich tue das auch nicht.
Der VfL wirbt auf Plakaten mit dem Spruch „Wir sind Bochumer!“ Befeuert der Klub damit nicht selbst die Emotionen?
Thomas Reis hat sich selbst als Ur-Bochumer bezeichnet, und das ist er ja nach wie vor. Er wohnt hier, er ist kein Gelsenkirchener. Aber der Satz „Wir sind Bochumer!“ bezieht sich nicht auf ihn, sondern auf alle Fans des VfL Bochum.
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Nach der Trennung von Thomas Reis verpflichtete der VfL Thomas Letsch. Was zeichnet ihn aus?
Es gibt für jede Phase den passenden Trainer. Thomas Reis war der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Dann konnte man die Zusammenarbeit nicht mehr fortführen. Thomas Letsch ist ein anderer Typ. Seine Ruhe und sehr strukturierte Vorgehensweise zeichnen ihn aus. Er hat klare Vorstellungen. Er ist erfahren, sehr abgeklärt. Jeder weiß, was er vorhat. Er spielt mit seiner Ruhe im Abstiegskampf eine ganz wichtige Rolle für die Mannschaft, den Klub, das Umfeld.
Nun ging es aber in Bremen zum elften Mal schief im zwölften Auswärtsspiel, auch Letsch und Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian haben scharfe Kritik geübt an der fehlenden Intensität der Spieler. War es zuletzt zu ruhig?
Nein. Thomas Letsch ist kein Marktschreier, sondern ein Trainer, der viel überlegt und lieber Taten sprechen lässt, statt mit lauten populistischen Statements Hektik reinzubringen. Letzteres passiert bei dem einen oder anderen Verein, das ist eine Chance für uns. Er hat ja auch in 15 Spielen 18 Punkte geholt, ohne dass er rumgebrüllt hat. Warum sollte er sich ändern?
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Und Thomas Letsch hat die Mannschaft wieder aufgebaut. Er hat aber immer betont, dass der Weg nicht gerade verlaufen, sondern mit vielen Schlaglöchern und Kurven versehen sein wird. Das Höchste, was ein Trainer erreichen kann, ist, dass ihm in sportlichen Krisensituationen alle folgen, weil sie spüren, dass er weiß, was zu tun ist. Er geht voran, gibt allen das Gefühl, dass der Weg erfolgreich enden wird. Bochum folgt ihm. Bei anderen Klubs bleiben oft Zweifel, einige Trainerwechsel haben bisher nicht gut funktioniert. Da sieht man erst, was Thomas Letsch geschafft hat.
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Also geht es mit ihm, wenn es sein muss, auch in die 2. Liga?
Ein Abstieg ist für uns im Moment nicht das Thema. Wir gehen mit breiter Brust ins Derby. Aber es ist ganz klar: Thomas Letsch‘ Vertrag gilt bis zum Sommer 2024. Wir haben bei seiner Verpflichtung betont, dass er nicht als Feuerwehrmann gekommen ist, sondern um Projekte, eine Ära mitzuprägen – unabhängig von der Liga. Er hat das Ganze im Blick. Er ist einer, der etwas aufbaut und nicht schnell weiterzieht, wenn etwas mal nicht läuft.
Würde ein Abstieg den Verein mehr als ein Jahr zurückwerfen?
Es macht jetzt keinen Sinn, mit Zahlen um sich zu werfen, über Klassenerhalt oder 2. Liga zu spekulieren. Wichtig ist: Der Trend ist weiterhin positiv in allen Bereichen, wie wir es auf der Jahreshauptversammlung aufgezeigt haben, zum Beispiel, dass das Eigenkapital wieder leicht positiv ist. Wir liegen auf Kurs, etwa beim Umsatz, den wir von rund 67 auf 82 Millionen Euro steigern wollen in dieser Saison. Wir standen wirtschaftlich in den letzten Jahren noch nie so gut da wie jetzt. Mit der 2. Liga beschäftigen wir uns natürlich auch, wie alle Konkurrenten im Abstiegskampf. Wir beantragen die Lizenz für die 1. und 2. Liga, stellen gerade die Unterlagen zusammen (Abgabefrist ist am 15. März, die Redaktion). Da muss sich niemand Sorgen machen.
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Hat Bochum gegenüber Schalke aufgeholt?
Schalke ist für uns kein Maßstab. Schalke ist einer der größten Klubs Europas, der drittgrößte Klub Deutschlands. Wir schauen mehr auf die Vereine, die uns überholt haben in den letzten elf, zwölf Jahren. Mainz, Augsburg, auch die Klubs, die in der 2. Liga oben mitspielen, haben wir im Blick. Auf die müssen wir achten. Vergleiche mit Schalke machen keinen Sinn.
Holen Sie denn auf gegenüber Mainz, Augsburg?
Ja, wir kommen näher ran, aber es ist ein langer Weg. Dafür braucht man drei, vier, fünf Jahre. Dafür müsste man auch das dritte Jahr die Liga halten. Andere Vereine machen auch einen guten Job, wir müssen weiterhin aus wenig viel machen. Der Ligaerhalt wäre perspektivisch sehr wichtig, um die Lücke schließen zu können, aber er ist nicht planbar. Sollte er uns gelingen, wäre das ein massiver Beschleuniger für unseren Weg. Außer Union Berlin hat kein Verein, der nicht Wiederaufsteiger im ersten oder zweiten Jahr war oder in Leipzig ansässig ist, in den letzten zehn Jahren nach einem Aufstieg ein drittes Jahr in der Bundesliga geschafft. Das wäre schon ein finanzieller Befreiungsschlag. Allein beim TV-Geld würden wir auf jeden Fall die kommenden Aufsteiger hinter uns lassen.