Bochum. Hermann Gerland hat einiges erlebt im und mit dem Fußball. Nun hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben: „Immer auf’m Platz.“ Eine Buchempfehlung.
Dieser Einspielfilm überrascht Hermann Gerland dann doch. Der Mann, 68 Jahre alt, gebürtiger Bochumer, längst Kulttrainer, sitzt im Fußballmuseum Dortmund, stellt sein Buch „Immer auf’m Platz“, seine Biographie vor, da präsentieren die Organisatoren der Veranstaltung eine Videobotschaft von Hansi Flick. Dass sich der aktuelle Bundestrainer Zeit dafür genommen hat, zeigt, welchen Stellenwert Gerland sich in der schnelllebigen Fußballwelt erarbeitet hat.
Flick wird Gerland auch mit zur Weltmeisterschaft nach Katar nehmen. „‚Hermann, ich möchte, dass du mit nach Katar fährst“, hatte Flick ihm gesagt. Zum Ende dieses Jahres könnte Gerland seinen zahlreichen Titeln einen weiteren hinzufügen. Bei einer Weltmeisterschaft war er noch nicht dabei. In Katar wird Gerland nicht als Scout von der Tribüne seine Expertise zuliefern. Er soll auf der Bank sitzen und möglichst nah an der Mannschaft arbeiten: „Immer auf’m Platz.“
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Es ist ein unterhaltsamer, sehr kurzweiliger Abend in Dortmund. Der gebürtige Bochumer Gerland, der beim VfL Bochum Profi wurde, später lange und erfolgreich als Jugendtrainer beim FC Bayern und als Co-Trainer bei den Profis des FC Bayern gearbeitet hat, hat ein Heimspiel. Er hätte es überall in Deutschland. Durch seine besondere, direkte, ehrliche Art hat er sich eine Position und Reputation erarbeitet, bei der Vereinszugehörigkeiten keine Rolle spielen. „Ihn mag jeder“, sagt Knut Hartwig, der durch den Abend führt.
Hermann Gerland hat viele Talente zu Profis reifen lassen
Hartwig aus der Presseabteilung des Fußballmuseums hat seine Laufbahn als Fußballer beim VfL Bochum begonnen. Ihn verbindet eine besondere Geschichte, ein besonderes Spiel, mit Gerland. Welche/welches das ist, lässt er an diesem Abend bewusst im Ungewissen. Die Geschichte ist im Buch nachzulesen. Nur so viel an dieser Stelle: Es geht um die beiden Niederlagen, die Gerland noch immer massiv ärgern, und darum, dass Knut Hartwig im Film „Das Wunder von Bern“ mitgespielt hat.
Hartwig ist ansonsten bei dieser Buchvorstellung der Vorlagengeber, der Stichwortverteiler. Er deutet immer nur kurz eine der vielen Geschichten an, Gerland nimmt die Bälle routiniert auf, erzählt sie dann ausgiebiger mit dem ihm eigenen trockenen Humor. Er hat sie fast alle schon oft erzählt. So reiht sich wie im Buch Schnurre an Schnurre, geht es fast chronologisch von Gerlands Anfängen in Bochum hin zu seinen Erfolgen und Geschichten bei Bayern München.
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Er hat etliche Akteure, die später zu Nationalspielern und Weltstars wurden, auf den Weg zu den Profis begleitet oder sie dazu gemacht: Philipp Lahm, Mats Hummels, Holger Badstuber, David Alaba und Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger um nur einige zu nennen. Und er hat sich dadurch einen Namen gemacht, weil er an ihr Talent geglaubt hat und ihnen Profiverträge besorgt hat, auch wenn viele andere anderer Meinung waren und nicht sahen, was er sah.
Gerland hat Philipp Lahm auch beim VfL Bochum angeboten
Er hat dabei Geduld bewiesen, Beharrlichkeit. Er hat zum Beispiel Philipp Lahm bei allen Bundesligisten angeboten. Auch beim VfL Bochum. „Für zwei Jahre hätte er da spielen können“, sagt Gerland und kann es immer noch nicht verstehen, warum sein Heimatverein seinem Vorschlag nicht folgte.
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Es wird viel gelacht an diesem Abend, und auch beim Lesen der Autobiografie wird sich dem Leser das eine oder andere Schmunzeln ins Gesicht schieben. Der ehemalige Sportredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Christian Eichler, der aus 50 Stunden an Gesprächszeit mit Gerland dieses Buch destilliert hat, trifft bestens und unterhaltsam den Ton, der Gerland zu eigen ist.
So lässt er Gerland auch leicht verklärt auf dessen Kindheit in Bochum zurückblicken. Gerland hat eine schwere Zeit erlebt. Er wuchs in einer Bergarbeiter-Siedlung in Bochum-Weitmar auf, verlor mit neun Jahren seinen Vater, musste sich durchbeißen.
In Bochum wird aus „Tiger“ Gerland „Eiche“ Gerland
Aber wenn er erzählend zurückblickt, macht er das eben nicht traurig. Er bestätigt an diesem Abend und in seinem Buch, dass er ein Mann ist, der mehr als zufrieden ist mit dem, was das Leben für ihn bereit gehalten hat. Und das ist auch der Tenor des Buches. Gerland spricht voller Dankbarkeit darüber, dass er, „der kleine Junge aus Weitmar“, die große Fußballwelt entdecken durfte. „Ich war in allen großen Stadien der Welt. Davon hatte ich als kleiner Junge geträumt.“
Dass er dabei der gleiche, immer leicht knurrig herüberkommende, aber herzensgute, vor allem ehrliche Mensch geblieben ist, macht ihn zu dem von allen geschätzten, bei vielen beliebten Original. Der Spitzname, den er seit seinen Zeiten beim VfL Bochum hat, bringt das alles zusammen. Als „Tiger“ Gerland kennt ihn Fußball-Deutschland. So aber wird er in Bochum von seinen ehemaligen Mitspielern und inzwischen langjährigen Freuden wie Michael „Ata“ Lameck nicht genannt.
„Wenn ich mit meinen alten Kumpel Ata spreche“, sagt Gerland, „sagt der immer: Eiche, wat is los. Ich habe mich halt nie verbiegen lassen, habe meine Meinung vertreten und auch auf dem Platz war schwer an mir vorbeizukommen. Eine Eiche eben.“ Oder wie es sein ehemaliger Mitspieler beim VfL Bochum, Heinz-Werner Eggeling, einmal sagte: „Gegen Hermann Gerland zu spielen, war die größte Scheiße.“ Eggeling versuchte bei Trainingsspielen daher immer, in Gerlands Mannschaft zu sein.
Gerland sieht gravierende Fehler bei der Ausbildung des jungen Fußballer
Gerland nutzt seine Biographie aber auch dafür, seine Sicht der Dinge auf die Entwicklung im Fußball offen zu legen. Dass Deutschland aus seiner Sicht gravierende Fehler bei der Ausbildung des Fußball-Nachwuchses macht, sagt er ebenso klar wie er seinem Unverständnis darüber Ausdruck verleiht, dass er von Belastungssteuerung bei Kindern nichts hält. „Vor der Steuerung muss doch erst einmal die Belastung kommen. Lasst die Kinder doch spielen, so lange sie wollen und können. Sie regeln das schon von alleine.“
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So ist die Autobiografie nicht nur etwas für Fußball-Romantiker und Fans der Bundesliga und von Hermann Gerland. Das Buch ist auch den Jugendfußballtrainern zu empfehlen, die die Spieler ihrer Jugendteams bei den beiden Einheiten in der Woche einen Großteil ohne Ball üben lassen. „Kinder kommen zum Fußball, weil sie gerne spielen, weil sie Spaß daran haben. Kinder gehen wieder weg, wenn sie den Spaß verlieren. Weil sie sich quälen müssen. Weil sie zu selten den Ball bekommen.“
Die Biografie von Herman Gerland „Immer auf’m Platz. Mein Leben für den Fußball“ ist erschienen im Droemer Verlag. ISBN: 978-3-426-27886-4