Bochum. Martin Kree erreichte 1988 mit dem VfL Bochum das DFB-Pokalfinale. Vor dem Viertelfinale spricht er im Interview über Anekdoten und Instagram.

Martin Kree hat sich Zeit genommen. Es ist aber auch ein besonderer Anlass für die VfL-Legende. Bei seinen Bochumern läuft es nach dem Aufstieg nicht nur rund, erstmals seit 34 Jahren kann der Bundesligist an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ARD/Sky) gegen den SC Freiburg ins Pokalhalbfinale einziehen. 1988 führte der Weg mit Innenverteidiger Kree bis ins Finale und endete mit einem 0:1 gegen Eintracht Frankfurt. Kree (57), heute Aufsichtsratsmitglied beim VfL und Geschäftsführer eines IT-Schulungscenters, gewann später mit Borussia Dortmund noch viele Titel. Ein Gespräch über das Früher und Heute, Etats und Anekdoten.

Herr Kree, sind Sie zufrieden mit dem 0:1 gegen RB Leipzig?

Martin Kree: Wir haben – und das haben viele dem Verein nicht zugetraut – uns jetzt schon mehrfach gegen Vereine bewiesen, die deutlich höher in der Tabelle angesiedelt sind. Wir spielen ein offenes Spiel. Aber wir sollten uns überlegen, nicht nur den Weitschuss zu üben, sondern auch mal wirklich das Tor treffen zu wollen. Insgesamt aber kann man zufrieden sein. Nur weil es gegen die Bayern so gut gelaufen ist, kann man jetzt nicht davon ausgehen, dass wir jede Mannschaft aus dem Stadion schießen.

Was haben Sie von der ersten Bundesliga-Saison nach mehr als einem Jahrzehnt Absenz erwartet?

Kree: Man hofft, dass man den Klassenerhalt schafft und dabei nicht in die Relegation muss. Ansonsten: Wenn du elf Jahre Zweite Liga gespielt hast, weißt du nicht, ob du wettbewerbsfähig bist. Gefühlt hatten wir 50 Bundesliga-Spiele im gesamten Kader. Es ist ganz schwer, da eine Prognose zu stellen. Was wir jetzt erleben, ist deutlich mehr als das, was wir uns erhofft haben. Wir haben mit dem Tabellenkeller wenig zu tun. Es ist noch die Gefahr da, dass man keine Gefahr mehr sieht. Deswegen müssen wir konzentriert weiterarbeiten. Es ist toll, gegen die Bayern zu gewinnen, aber wir wissen das alle intern gut einzuschätzen.

Die Bochumer Finalelf von 1988: (von links) Walter Oswald, Uwe Leifeld, Andrzej Iwan, Frank Heinemann, Jupp Nehl, Michael Rzehaczek, Thorsten Legat, Martin Kree, Rob Reekers, Torwart Ralf Zumdick, Lothar Woelk.
Die Bochumer Finalelf von 1988: (von links) Walter Oswald, Uwe Leifeld, Andrzej Iwan, Frank Heinemann, Jupp Nehl, Michael Rzehaczek, Thorsten Legat, Martin Kree, Rob Reekers, Torwart Ralf Zumdick, Lothar Woelk. © imago images/Kicker/Eissner, Liedel | imago sport

Der VfL Bochum genießt das Image eines Traditionsklubs. Sehen sie den Verein auch als Gegenentwurf zur Moderne?

Kree: Wir müssen insgesamt aufpassen, dass der Fußball das bleibt, was er war und was ihn ausgemacht hat. Vom Erlebnis im Stadion bis hin zu den Ablösesummen und den Gehältern muss der Fußball glaubwürdig bleiben. Aber das ist nicht alles. Nur mit „Elf Freunde müsst ihr sein“ wirst du keine internationalen Erfolge erzielen. Wenn man oben mitspielen will, muss man das Spiel mitspielen – ob es einem gefällt oder nicht. In diesem Jahr sind wir eine Ausnahme mit einem kleinen Etat, wenig Mitteln, aber viel Euphorie und Enthusiasmus. Aber was kommt danach? Im zweiten Jahr kommen die Begehrlichkeiten und schon musst du mitspielen. So ein Jahr wie dieses, mit den geballten Emotionen, wird schwer zu toppen sein. Aber das große Rad kannst du alleine nicht aufhalten.

Sie haben in einer anderen Zeit Fußball gespielt. Provokant gefragt: War früher alles besser?

Kree: Da frage ich zurück: Was ist besser? Es gibt ein paar Dinge, die mir heute nicht mehr gefallen, da können die aktuellen Spieler aber nur bedingt etwas für. Ein Beispiel: Wenn du nach einer Niederlage zurückgefahren bist, haben wir Spieler uns im Bus gefetzt. Da war richtig Stress. Heute siehst du vielen Spielern nicht an, ob sie gewonnen oder verloren haben. Der Teamspirit war früher einfach ein ganz anderer. Wir hatten vor allem Spieler aus der Region. Da hieß es dann: „Schön, dass du da bist. Wir wollen nicht absteigen. Wenn du dir den Hintern nicht aufreißt, reißen wir dir deinen auf.“ Heute wechseln Spieler viel häufiger. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Ich würde es an ihrer Stelle vielleicht auch tun. Das Finanzielle ist deutlich besser geworden. Sie sehen, es ist heute vieles anders, ob besser oder schlechter liegt im Auge des Betrachters.

Man weiß ja auch nicht, welche Anekdoten über das Jahr 2022 erzählt werden.

Kree: Ich sag Ihnen was: Wenn Sie sich zum Beispiel mit einem Ata Lameck oder Klaus Fischer morgen früh um neun Uhr verabreden und denen sagen: überleg dir mal ein paar Anekdoten. Dann werden sie bis 18 Uhr nur die Hälfte der Anekdoten gehört haben. Wenn sie einem heutigen Spieler dieselbe Aufgabe geben, sind Sie nach einer halben Stunde durch. Wir waren bei der Borussia super erfolgreich, sind mit acht, zehn, zwölf Spielern und unseren Frauen nach den Spielen Essen gegangen. Da war keiner dabei und hat das gefilmt. Es gab damals einen Spruch: Wenn wir verloren haben, haben wir so lange gefeiert, bis wir doch gewonnen haben. Das kannst du heute als Spieler nicht mehr machen. Das ist der Preis für die Öffentlichkeit.

Die Aufsichtsratsmitglieder Jupp Tenhagen (links) und Martin Kree (Mitte) bei der Aufstiegsfeier 2021 mit Geschäftsführer Ilja Kaenzig.
Die Aufsichtsratsmitglieder Jupp Tenhagen (links) und Martin Kree (Mitte) bei der Aufstiegsfeier 2021 mit Geschäftsführer Ilja Kaenzig. © Ralf Ibing /firo Sportphoto | Ralf Ibing

Hätten Sie heute als Spieler einen Instagram-Account?

Kree: Das frage ich mich auch oft. Aber ich würde es vermutlich nicht machen. Ich finde nicht, dass es die Leute etwas angeht, was für eine neue Hose ich habe oder was ich gegessen habe. Das wäre immer noch meins.

Was ist Ihre Lieblingsanekdote aus der Saison 1987/88? Ihre gebrochenen Rippen im Finale?

Kree: Das wäre meine Anti-Lieblings-Anekdote. Es stimmt, wir hatten einen jungen Spieler, der mir im letzten Training in Berlin mit dem Ellbogen in die Seite gerannt ist. Ich konnte nicht mehr atmen, es war die Hölle. Unser damaliger Arzt hat mir gesagt: „Komm, is nix“. Und hat mir zwei Spritzen gegeben. Er wusste wahrscheinlich, dass ich zwei gebrochene Rippen hatte. Ich hätte aber auch so gespielt. Als Spieler des VfL Bochum hast du nicht so oft die Chance, einen Titel zu gewinnen.

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Daraus wurde nichts. Das Spiel gegen Eintracht Frankfurt ging 0:1 verloren.

Kree: Für uns war vor dem Finale klar: Wenn wir das Spiel gewinnen, kann die Mannschaft zusammenbleiben. Und dann können wir im Europapokal spielen und finanziell in eine ganz andere Welt eintreten. Aber wir haben das Spiel durch ein nicht gegebenes Tor und einen Freistoß kurz vor Schluss verloren. Diese Leere, die ich nach dem Abpfiff empfand, mit all diesen Umständen, mit den gebrochenen Rippen, die kann ich bis heute nachempfinden. Das war nicht so toll. Positiv war hingegen: Wir waren zum ersten Mal richtig in den Medien. Und die vielen tollen VfL-Fans haben uns in Berlin Gänsehaut-Momente beschert.

Im Halbfinale zuvor hatten Sie das 2:0 gegen den HSV mit einem Tor eingeleitet.

Kree: Daran erinnere ich mich noch gut: Wie die Fans, also die stärkeren, mich auf Händen getragen hatten. Ich war damals schon kein leichter Kerl. Ich hatte nur noch Schuhe und eine Hose an. Alles andere hatten Sie mir weggenommen. Die Hose habe ich aus guten Gründen verteidigt. So etwas vergisst du nie. Das ist schon ein absoluter Höhepunkt meiner Bochumer Zeit.

Das könnten Sie der Mannschaft als Motivation erzählen.

Kree: Das ist so eine Sache. Wenn du den jüngeren Menschen mit dem Wort „früher“ kommst, schalten sie meistens schon ab. Ich kann es gut verstehen. Wenn mir damals die älteren Spieler etwas erzählt haben, konnte ich es auch selten nachvollziehen. Ich dachte: Ihr habt doch noch mit einem Holzklotz gespielt. Wir spielen mit einem richtigen Ball. Jeder Spieler muss seine eigenen Erfahrungen machen. Unsere Mannschaft wird am Mittwoch gegen Freiburg ganz sicher auch so alles geben.

Ihr Tipp?

Kree: Ich tippe nicht so gerne, weil ich nicht das Gefühl habe, dass das Ergebnis eintritt. Ich würde mich auch über einen ganz knappen Sieg freuen. Wir können gerne in der 90. Minute das 1:0 machen.