Leipzig. Der deutsche Vizemeister steht in der Champions League vor dem Aus. Eine Pleite gegen den VfL Bochum am Wochenende würde die Krise krönen.

Es ist gerade nicht einfach, Jesse Marsch zu sein. Der Trainer von RB Leipzig muss auf Deutsch mehr Niederlagen analysieren als Siege. Dann wird es per se kompliziert, mehr noch aber, wenn man kein Muttersprachler ist wie der US-Amerikaner.

Dieses Handicap war Dienstag nach der nächsten Niederlage für den 47-Jährigen allerdings nicht zu spüren. 1:2 hatten Marsch und sein Personal gerade in der Champions League daheim gegen den FC Brügge verdient verloren, als der Coach die paar fremden Vokabeln, die er für seine Botschaft brauchte, schnell sortiert hatte. In akkuratem Deutsch benannte er die Schuldigen dieser fünften Niederlage im neunten Spiel unter seiner Führung. „Die Jungs“, so der Trainer, „haben sich nicht an den Matchplan gehalten.“

Champions League: Gegen Brügge wieder mit Viererkette

Mit diesem Urteil ging ein Abend zu Ende, der vor Anpfiff den nächsten Sieg in Aussicht gestellt hatte, wo der deutsche Vizemeister vergangenen Samstag doch gegen Hertha BSC 6:0 gewonnen hatte. Nach zuvor drei Pleiten und einem Remis am Stück war dieser exquisite Dreier eine Art Wiederauferstehung gewesen, und zwar im Gewand der vergangenen Saison, das Marsch dem Team zuvor ausgezogen hatte, um sein eigenes zum Einsatz zu bringen. In den Fachjargon übersetzt war das die Rückkehr zu einer Fünferkette, die das Team zwei Jahre unter Vorgänger Julian Nagelsmann gespielt hatte. Wie es heißt, hatte sich Marsch dem Wunsch der Spieler gebeugt.

fAngefressen: Der ansonsten ruhige RB-Trainer Jesse Marsch.
fAngefressen: Der ansonsten ruhige RB-Trainer Jesse Marsch. © Ralf Ibing /firo Sportphoto | Ralf Ibing

Doch dann strömten die 23.500 Zuschauer ins Stadion, sahen eine Stunde vor Anpfiff die Aufstellung, und rumms! Wieder nur vier in der Abwehr. Und wieder dieselben Probleme wie beim 1:4 gegen die Bayern München, beim 3:6 gegen Manchester City, beim 1:1 gegen Köln, beim 0:1 jeweils gegen Wolfsburg und Mainz - Getümmelfußball, statt Ruhe und Dominanz. Diesmal allerdings mit dem Unterschied, dass RB erstmals eine Führung herschenkte. Christopher Nkunku hatte zum 1:0 getroffen (5.), Brügge glich 17 Minuten später aus (Hans Vanaken) und erzielte noch vor der Pause den verdienten Siegtreffer (41., Mats Rits).

Machtkampf in der Kabine um den richtigen Stil

Diese Pleite tut gleich mehrfach weh. Vor der Heimpartie am Samstag gegen den VfL Bochum (15.30 Uhr/Sky) besteht schon wieder Redebedarf zwischen Team und Trainerstab. Erneut müssen sie sich sortieren und bieten dem Aufsteiger somit jede Menge Angriffsfläche. Die Nerven werden in dieser Partie eine zentrale Rolle spielen. In erster Linie aber gefährdet diese Pleite das Überwintern im Europapokal, weil Platz drei, der zum Umzug in die Europa League berechtigt, in dieser Königsklassen-Todesgruppe mit ManCity, Paris St. Germain und dem belgischen Meister so gut wie verloren scheint. Brügge hat bereits vier Zähler, RB null.

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Marsch war deshalb mehr als sonst bedient und ließ seinen Unmut am eigenen Personal aus, das sich bis zur Pause desorientiert, hektisch, vor allem aber teils lustlos präsentierte. Ein Novum für den US-Coach, der zuvor mit amerikanischen Zwangsoptimismus noch jede Pleite kleingeredet hatte. Und vielleicht auch eine Zäsur.

Niederlage gegen VfL Bochum könnte Krise die Krone aufsetzen

Offenbar schwelt in der Kabine ein Machtkampf um den richtigen Spielstil. Hier der neue Trainer mit seinem eher puristischen Ansatz von Red-Bull-Fußball: hohes Gegenpressing, überfallartig kontern. Dort die Befürworter des Stils aus den zwei Vorjahren mit einem Mann mehr in der Abwehr, viel Ballbesitz und Kontrolle. Marsch sagte nach dem Spiel, dass ihn die Schwankungen zwischen „sehr, sehr guten und sehr schlechten Spielen“ erstaune und er jetzt schauen werde, welche Spieler seinen Stil befürworten – und welche nicht. „Wir müssen überlegen“, so der Trainer, „was jetzt unsere beste Mannschaft ist. Wir brauchen mehr Konstanz. Vielleicht spielen wir deshalb mehr mit dieser Gruppe und müssen in diejenigen investieren, die verstehen, was wir wollen.”

Was genau das ist, bleibt aber weiter im Vagen. Vielleicht auch für die Spieler, die wie Keeper Peter Gulacsi oder Kevin Kampl vor einem Rätsel zu stehen scheinen, was das Team derart verunsichert. „Dass wir so viele Fehler machen, ist untypisch für uns“, sagte der ungarische Schlussmann. Kampl, der den Scheideweg spürt, der Team und Trainer gerade zu zerreißen droht, forderte deshalb auch mit Blick auf die Partie gegen den Bundesliga-Aufsteiger VfL Bochum, die der Krise die Krone aufsetzen kann: „Wir müssen darüber reden!“