Bochum. Ein Aufschrei geht durch Fußball-Deutschland: Ein Trainer wurde entlassen! Und Schuld sind die Fans! Der Trainer heißt Marcel Koller und die Fans sind die des VfL Bochum. In Restdeutschland will kaum jemand begreifen, dass man diesen verdienten Mann vom Hof jagen musste.
Weil die überwältigende Mehrheit der Anhängerschaft dies forderte, obwohl er diesen notorisch klammen Verein doch dreimal hintereinander in der Bundesliga gehalten habe.
Landauf, landab brüllen einem Menschen, die in den letzten Jahren höchstens drei Zusammenfassungen von VfL-Spielen in der Sportschau gesehen haben: Seid doch froh, dass ihr überhaupt in der ersten Liga spielt! Für euch wird es immer nur gegen den Abstieg gehen!
Naive Bochumer!
Das impliziert zweierlei: Dass es den Fans des VfL nicht reicht, „nur“ erste Liga zu spielen, und dass sie, wie der Manager des FSV Mainz 05 erst kürzlich delirierte, ständig vom internationalen Geschäft träumten und dieses einforderten. Von allen Seiten kriegt man in demonstrativ zynischer Abgeklärtheit entgegengehalten, dass es doch nur noch ums Geld gehe, dass die Tabelle nur noch das exakte Spiegelbild der finanziellen Möglichkeiten der Vereine sei. Naive Bochumer!
Dieses ganze Gelaber ist nicht mehr zu ertragen!
Zeit für Fakten: Bis auf ein paar Wirrköpfe, wie es sie überall gibt, wird man in dieser Stadt keinen Fußballfan finden, der nicht froh und glücklich darüber ist, dass wir immer noch in der ersten Bundesliga spielen. Wahr ist auch: In achtunddreißig Jahren hat der VfL dreiunddreißig Jahre in der ersten und nur fünf Jahre in der zweiten Liga gespielt – eine Bilanz, um die uns Anhänger großer Traditionsvereine wie Fortuna Düsseldorf, Rot-Weiss Essen, Darmstadt 98 oder Waldhof Mannheim zutiefst beneiden. Dieses Glück war immer ein bedrohtes. In Bochum wächst du damit auf, dass dein Club immer ums Überleben kämpft – und damit dass auf den Rängen mit kritischer Leidenschaft mitgekämpft wird. Jeden echten VfLer treibt die Angst um: Der nächste Abstieg ist unser Ende! Dann werden wir durchgereicht und gehen den Weg der oben genannten Vereine und kommen nie wieder auf die Füße.
Daraus spricht das genaue Gegenteil von dem, was uns unterstellt wird: nicht wolkiges Wunschdenken, sondern ein beinharter Sinn für die Realität.
Und Geld hatten wir auch nie. Immer wieder mussten wir unsere besten Spieler verkaufen, um überhaupt die Lizenz für den bezahlten Fußball zu erhalten. Die Legende Jupp Tenhagen ging unter Tränen nach Dortmund, damit der Verein überleben konnte. Finden wir irgendwo einen wie Theofanis Gekas, der bei uns Torschützenkönig wird, ist er nach ein, zwei Jahren da, wo es mehr Geld gibt, auch wenn man sich dabei den Arsch auf der Bank plattsitzt. Ein kleiner Club muss ein Trüffelschwein sein. Auf einem anderen Level geht es Werder Bremen mit Spielern wie Diego nicht anders.
Bochum wird nie deutscher Meister
Wir wissen, dass wir nie deutscher Meister werden. Wir wissen, dass solche großen Spiele wie im Uefa-Cup 1997 gegen Brügge, Trabzon und Amsterdam (wir schweigen von 2004 und dieser Stadt in Belgien!) für uns die absolute Ausnahme darstellen, das muss man uns nicht ständig vorbeten, wir sind nicht blöd! Wir wissen aber auch, dass zu jedem Sport, ob Schach, Handball oder Rhönradfahren ein gewisser Ehrgeiz gehört, sonst muss man ihn gar nicht erst betreiben. An dem Tag, an dem ich den Traum beerdige, meine Mannschaft noch einmal, irgendwann, und wenn ich neunzig bin, im Finale des DFB-Pokals zu sehen, an diesem Tag kann ich meine Dauerkarte ins Klo spülen, ja, ich kann mich in eine zwei Meter lange Kiste legen und warten, dass mich einer irgendwo verbuddelt.
Das klingt pathetisch? Übertrieben emotional? Herzlichen Glückwunsch, Sie haben begriffen, worum es in den Diskussionen rund um den VfL Bochum, ja um den Fußball eigentlich geht! Das gemeinsame emotionale Erlebnis nämlich, das wir in der Parallelwelt Stadion suchen – und in Bochum in den letzten anderthalb Jahren immer seltener gefunden haben. Denn das ist es, was der Anhang dem Trainer als verantwortlichem Übungsleiter immer vorgeworfen hat: dass die leblosen, uninspirierten Auftritte der Mannschaft sich unerträglich gehäuft haben. Marcel Koller wurden nicht die Platzierungen zum Vorwurf gemacht. Das zu behaupten heißt nur, sich auf die Position zurückzuziehen, die am leichtesten zu verteidigen ist.
Platz 14 kann toll sein – wenn er mit Leidenschaft erkämpft und erspielt wurde. Erreicht man ihn mit Schlafwagenfußball, muss der Fan sich fragen, was denn wohl möglich wäre, wenn die Jungs mal über einen längeren Zeitraum richtig Gas geben würden. Das aber wird dann als überzogene Erwartungshaltung diffamiert.
Und dieses Gequengel über fehlende finanzielle Möglichkeiten will auch niemand mehr hören. Das ist wie in der Kindererziehung, wo man den Kleinen eines versucht klarzumachen: Wenn es Dinge gibt, die nicht zu ändern sind, kann man entweder in der Ecke hocken und jammern oder versuchen, das Beste draus zu machen. Und wer weiß, vielleicht kann man durch eine auch nach außen getragene positive Einstellung seine Möglichkeiten doch noch ein bisschen verbessern. Auf den Fußball übertragen heißt das: Hast du einen coolen Verein, bist du auch für Sponsoren interessant.
Fitness kostet kein Geld
Ein anderer Vorwurf, der von den Fans des VfL Bochum erhoben wird, ist jener, die Mannschaft sei nicht fit genug. Da hatte man doch immer wieder den Eindruck, ab Minute sechzig oder siebzig müssen sie unters Sauerstoffzelt, während andere noch mal aufdrehen können. Dem wird auch seitens des Vereins vehement widersprochen. Dass man das Pokalspiel gegen Schalke auch deshalb so deutlich verloren hat, weil man zu oft einen Schritt zu spät kam und sich so einen Haufen gelber Karten einhandelte, steht zumindest als Behauptung im Raum. Wenn dir die Seidenfüße fehlen, musst du in der Lage sein, in der achtzigsten Minute noch eine Schüppe drauf zu legen. Das Tolle ist: Fitness kostet kein Geld. Aber das nur am Rande.
Zu all diesen Dingen könnte man noch andere hinzufügen, die die Stimmung der Bochumer Anhänger in den Keller getreten hat. Das Konzept, in dieser Saison den Kader kaum zu verstärken und einfach zu hoffen, dass Spieler, die in der letzten Saison unterirdisch gespielt haben, plötzlich eine Leistungsexplosion erleben, darf als gescheitert betrachtet werden. Hinzu kommt die Frustration über Entscheidungsstrukturen im Verein – eine Frustration, die längst nicht nur die „einfache“ Anhängerschaft erfasst hat, sondern nicht wenige handelnde Personen auf unterschiedlichen Ebenen im Verein und im „Umfeld“. Und das sind nicht alles undankbare, kenntnisfreie Idioten.
Es ist wahrscheinlicher, dass wir in den nächsten zehn Jahren zweimal absteigen, als dass wir einen Pokal in den Himmel recken. Aber auf „wahrscheinlich“ ist geschissen. Das Irrationale, Unwägbare, eben das Un-Wahrscheinliche treibt uns immer wieder dahin, wo laut Adi Preisler „maßgebend“ ist: Auffen Platz!
Letztlich berührt die Diskussion um die Anhänger des VfL eine grundsätzliche Frage: Was bedeutet Fantum in Zeiten der Kommerzialisierung? Sehen wir den Fan, vor allem jenen, der sich schon sein halbes Leben mit einem Verein beschäftigt, als mündigen Diskussionspartner oder darf er nur zahlen und freundlich sein?