Bochum. . Daniel Engelbrecht ist viermal nur knapp dem Tod entkommen. Heute trainiert er die U19-Junioren des VfL Bochum. Seine bewegende Geschichte.
An einem frühlingshaften Tag im März auf dem Trainingsgelände des VfL Bochum: Auf dem Kunstrasenplatz herrscht Betrieb, zwei Mannschaften trainieren konzentriert. Dann wird es plötzlich laut. „Die Stimmung ist ja hier wie auf einem Friedhof“, ruft Daniel Engelbrecht in die Richtung von neun jungen Fußballern. Sie machen Passübungen. „Sprecht doch mal miteinander, fordert den Ball“, ruft er ihnen mit ernstem Blick zu. Die Jungs nicken mit dem Kopf – sie haben verstanden. Fünf Trippelschritte nach rechts, mit dem rechten Bein stehen bleiben, den Ball fordern, mit dem linken Fuß zurückpassen. „Jawoll und Klatsch. Jawoll, so geht das“, feuert er sie an.
Der 20. Juli 2013 verändert alles
Friedhof? Hat ausgerechnet Daniel Engelbrecht gerade „Friedhof“ gesagt? Er, der viermal beinahe gestorben wäre? Er, dem ein Defibrillator dreimal das Leben gerettet hat? Ja, das hat er. Als einer der Bochumer U19-Spieler, die Engelbrecht trainiert, seinen Kumpel mit einer gewagten Finte aussteigen lässt, kommentiert der 28-Jährige grinsend: „Wegen dir bekomme ich noch mal einen Herzinfarkt.“
Rückblick: Das Leben von Daniel Engelbrecht als Fußballprofi ändert sich am 20. Juli 2013 schlagartig. Als Spieler der Stuttgarter Kickers erleidet er einen Herzstillstand. Ärzte reanimieren ihn. Sie raten ihm, doch bitte mit dem Fußballspielen sofort aufzuhören. „Da sind Welten zusammengebrochen. Ich habe die angefleht, eine Lösung zu finden, damit ich weiter kicken kann“, gibt er zu. Ein Defibrillator, ein Gerät, das durch Elektroschocks den normalen Herzrhythmus bei Störungen wiederherstellt, wird ihm eingepflanzt. Das Gerät wird ihn in den folgenden Monaten dreimal ins Leben zurückholen.
An Profifußball ist nicht mehr zu denken. Die Furcht vor dem Tod zersetzt ihn, er benötigt psychologische Hilfe. Wenn er über diese Zeit spricht, ist ihm anzusehen, wie sehr sie an ihm nagt. „Dein Leben hängt am seidenen Faden. Ich kann so fit und gut aussehen, wie ich will“, erzählt er. „Aber wenn das Herz nicht mitmacht, ist das wie bei einem Fön, dem der Stecker gezogen wird.“
Im Mai 2014 folgt der vermeintliche Wendepunkt – nach der vierten Herz-Operation in nicht einmal zwei Jahren. „Der Spaß am Leben war zurück“, erzählt Engelbrecht. Weil er plötzlich keine Herzrhythmus-Störungen mehr hat. Trotzdem: Im Sommer 2017 ist seine Zeit als aktiver Fußballer endgültig beendet, als er beim ersten Training für seinen neuen Klub, den Viertligisten Rot-Weiss Essen, kollabiert. Seitdem hat er kein Spiel mehr gemacht, merkt allerdings an. „Offiziell habe ich meine Karriere nie beendet. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht.“
Grammozis spielt eine entscheidende Rolle
Dimitrios Grammozis spielt ein halbes Jahr später eine entscheidende Rolle für Engelbrecht. Grammozis, Jugendtrainer beim VfL Bochum, sorgt dafür, dass Engelbrecht ins Leben nach dem Fußball einsteigt und dass „mein Jahr 2018 das angenehmste für mein Herz wurde“. Grammozis will ihn als Co-Trainer für die U19 an die Castroper Straße holen. Er soll zudem die Scouting-Abteilung leiten. „Bei diesem Angebot musste ich zuschlagen.“ Jetzt, da Grammozis bei Darmstadt 98 neuer Trainer ist, verantwortet Engelbrecht den U19-Nachwuchs in Bochum, zusammen mit Nachwuchsleistungszentrum-Leiter Alexander Richter.
Vor dem Training sitzt er an einem Tisch im VIP-Bereich des Ruhrstadions und bereitet sich auf die Trainingseinheit am Abend vor – schwarze Hose, schwarzes, langärmliges Hemd, die Haare kurz und zur Seite gegelt.
Das Ziel: die Bundesliga
Er kann einfach nicht ohne Fußball. Ausgeschlossen. Sein großer Ehrgeiz habe ihn nie verlassen. Nicht als Spieler und auch nicht als Trainer und Scout. Seine Augen funkeln. Er haut mit der flachen Hand auf den Tisch. „Fakt ist: Ich will es irgendwann in die Bundesliga schaffen.“ Bochum sieht er nicht als Sprungbrett, denn mit dem Klub könne er es auch nach oben schaffen. „Schließlich gibt der Verein mir die Möglichkeit, mich zu entwickeln.“
Zurzeit läuft also alles nach Plan. Daniel Engelbrecht kann rundum glücklich sein. „Ich bin sehr froh, dass ich immer noch am Leben bin“, sagt er. Doch da ist noch etwas. Etwas, das er loswerden möchte: „Ich bin auf der anderen Seite auch traurig, weil ich selber nicht mehr spielen kann.“ Der U19 bei Ligaspielen zuzusehen, tue ihm sehr weh. „Das Gefühl hat nicht nachgelassen. Die Liebe zum Fußball ist zu groß.“