Bochum. Trotz des großen Umbruchs ist die Zweitliga-Spitze das Ziel des VfL Bochum. Sportvorstand Christian Hochstätter spricht über verlorene Spieler, die Zukunft – und Bier.

  • Trotz des Umbruchs ist die Zweitliga-Spitze das Ziel des VfL Bochum.
  • Christian Hochstätter spricht über verlorene Spieler und Bier.
  • Ein Interview mit dem Sportvorstand.

Vieles ist neu beim VfL Bochum: Neun Zugänge gibt es, das Stadion hat seit gestern einen anderen Namen (Vonovia-Ruhrstadion) und auch Christian Hochstätter macht Platz für Neues. „Die Bilder an der Wand hinter dem Schreibtisch kommen bald weg“, sagt der Sportvorstand des Fußball-Zweitligisten zu Anfang des Gesprächs in seinem Büro. Wandel und Tradition – ein Spagat, den der einst langjährige Bundesligist VfL Bochum auch in der kommenden Spielzeit bewältigen muss.

Herr Hochstätter, in Ihren drei Amtszeiten wurde der VfL 15., 11. und jüngst Tabellenfünfter. Eine stete Entwicklung. In welche Sphären soll die Reise nun gehen?

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Christian Hochstätter: Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg und der soll weiter nach oben führen. Wir wollen nicht stagnieren. Ich weiß auch, dass es gerade zu Saisonbeginn schwierig wird, denn wir müssen unsere Formation neu finden. Das, was wir in den vergangenen beiden Jahren hatten, dass wir nahezu komplett zusammengeblieben sind, das haben wir jetzt nicht. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Qualität im Kader stimmt und wir eine gute Rolle in der 2. Bundesliga spielen werden.

Der personelle Umbruch ist gerade größer als in den vergangenen beiden Jahren. Die Zahl der Abgänge ist recht hoch.

Hochstätter: Das ist nie wirklich planbar. Man konnte beispielsweise nicht damit rechnen, dass Onur Bulut den Klub verlässt. Aber wenn er sagt, dass er den nächsten Schritt machen will, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Eine Transfersumme generieren und ihn ziehen lassen oder ein Jahr warten und ihn dann umsonst gehen lassen. Bei Simon Terodde gab es schon früh Signale, dass er gehen wird. Auch bei Marco Terrazzino war früh klar, dass er ein Angebot aus der Bundesliga hat. Es ist natürlich auch eine Auszeichnung für die Arbeit unseres Vereins, dass so viele Spieler zu Erstligaklubs wechseln. Natürlich ist es aber auch ein Qualitätsverlust.

In den vergangenen Tagen haben Sie Russell Canouse aus Hoffenheim, Nils Quaschner von RB Leipzig und Torwart Martin Kompalla aus Mönchengladbach dazugeholt. Ist die Personalplanung damit abgeschlossen?

Hochstätter: Im Moment werden wir eventuell noch auf einer Position tätig. Aber da lassen wir uns Zeit und gucken erst einmal, ob das innerhalb der Mannschaft gelöst werden kann. Aber sonst sind wir durch.

Die Planungen mit Canouse und Quaschner 

Canouse und Quaschner sind ausgeliehen. Leihbasis – ein bei den Fans nicht sehr beliebtes Wort.

Hochstätter: Natürlich versuchen wir, es anders hinzubekommen. Bei Quaschner und Canouse haben wir in beiden Fällen eine Kaufoption. Bei Janik Haberer war das allerdings vergangene Saison nicht möglich. Klar sagen einige jetzt: Er hat bei uns gut gespielt und jetzt wird er vom ausleihenden Verein TSG Hoffenheim für viel Geld nach Freiburg weiterverkauft. Man darf aber eins nicht vergessen: Er hat unserem Verein ein Jahr lang unglaublich geholfen, nämlich sportlich. Das ist das, was am Ende zählt. Natürlich haben wir auch Interesse daran, Kapital zu bilden. Unsere Verpflichtungen deuten ja an, was wir vorhaben. Was nicht heißen soll, dass wir Spieler holen, um sie weiterzuverkaufen. Wir möchten Spieler in diesem Verein aus- und weiterbilden, mannschaftlich und individuell. Die Verträge sind so, dass wir die Mannschaft in den kommenden zwei, drei Jahren hoffentlich so zusammenhalten können und einen Quaschner und Canouse dann übernehmen. Zu Konditionen, die für einen Zweitligisten auch bezahlbar sind. Und natürlich dürfen wir den eigenen Nachwuchs nicht vergessen.

Quaschner und Canouse sind Anfang 20. Auch die weiteren Zugänge wie beispielsweise Dominik Wydra, Kevin Stöger und Nico Rieble sind in diesem Altersrahmen.

Hochstätter: Wir haben junge und dynamische Spieler verpflichtet, keiner der Neuen ist älter als 25. Wir setzen auf Entwicklung.

Der VfL bleibt also ein Ausbildungsverein?

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Hochstätter: Wir haben uns eine Philosophie gegeben und die wollen wir auch leben. Daran soll uns auch der Fan messen können. Wir setzen auf die eigene Jugend, drei unserer Kadermitglieder können noch in der A-Jugend spielen. Weil wir einfach der Überzeugung sind, dass diese Spieler sich noch auf höherem Niveau entwickeln können und müssen. Wir sind mit Abstand die jüngste Mannschaft der 2. Bundesliga. Was aber nicht heißen soll, dass wir nur nach Alter eingekauft haben, die Jungs müssen auch was können. Und sie müssen zu uns passen, mutig sein und auf Herausforderungen stehen.

Kann man einen Abgang wie Simon Terodde, immerhin vergangene Saison Torschützenkönig mit 25 Treffern, überhaupt ersetzen?

Hochstätter: Tatsache ist: Wir haben ihn nicht mehr, wir müssen ihn ersetzen. Damit dürfte die Frage beantwortet sein (lacht). So ein Abgang bringt auch immer neue Chancen für Spieler, die vielleicht nicht so in den Vordergrund standen, weil eben Simon Terodde da war. Es wird wichtig sein, dass wir als Mannschaft und Kollektiv so schnell zusammenfinden und in der Gruppe gut miteinander arbeiten, dass wir seine Tore und Vorlagen auffangen können. Wir haben Simon vor zwei Jahren geholt und da haben sich viele gefragt: Warum? Jetzt wird es so dargestellt, als seien wir schuld, dass er nicht mehr da ist. Aber er ist 28, da spielt die wirtschaftliche Komponente, auch für ihn, eine Rolle. Unterm Strich bleibt: Für den Verein hat sich die ganze Geschichte sportlich und wirtschaftlich unglaublich gerechnet.

Mit den Abgängen von Terodde, Onur Bulut und dem Transferanteil von Ilkay Gündogan dürften dem VfL weit mehr als 5 Millionen Euro zur Verfügung gestanden haben. Wie wird das Geld reinvestiert?

Hochstätter: Wir investieren nicht nur ins Team, sondern auch in die Infrastruktur. Das Trainerteam um Gertjan Verbeek wurde aufgestockt und die Gegebenheiten auf unserer Anlage werden professioneller. Wenn die ganzen Transferaktivitäten jetzt abgeschlossen sind, werde ich mich mit den Kollegen zusammensetzen und dem Aufsichtsrat Vorschläge machen, wie wir mit dem Geld umgehen. Man darf auch nicht vergessen, dass wir Verbindlichkeiten haben, letztlich wollen wir finanziell ein gesunder Verein sein. Wir haben einige Projekte im Kopf, die wir nun anpacken können, weil wir wirtschaftlich besser dastehen als in den vergangenen drei Jahren. Das werden wir aber in aller Ruhe machen.

Das sind Hochstätters Favoriten auf den Aufstieg 

Wie stark schätzen Sie die 2. Liga überhaupt ein?

Hochstätter: Das ist vier Wochen vor Ligabeginn schwer einzuschätzen. Wir hatten in der vergangenen Saison einen sensationellen Start mit fünf Siegen in Folge, das half. Man darf davon ausgehen, dass die beiden Absteiger Stuttgart und Hannover alleine durch ihre wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen ein gehöriges Wörtchen mitreden werden. Da brauchen wir ja keinen Hehl draus zu machen: Wenn Stuttgart uns mit Simon Terodde den besten Zweitliga-Torjäger der letzten zwei Jahre für eine Summe abkaufen kann, die wir wahrscheinlich als Erstligist nicht aufbringen könnten, dann weiß man, dass die Konkurrenz groß sein wird.

Zum Start geht es am 6. August zu Hause gegen Union Berlin und dann eine Woche darauf zum Karlsruher SC. Ein gutes Auftaktprogramm?

Hochstätter: Auch das ist schwer zu beurteilen. Sicher, von den Namen her ist es kein leichtes Programm. Aber wir müssen im Laufe der Saison ohnehin gegen jeden spielen, da spielt es keine Rolle, wann das passiert. Wir müssen auf den Punkt fit sein. Und da vertraue ich unserem Trainer Gertjan Verbeek, dass er die Mannschaft am ersten Spieltag so fit auf den Platz schickt, dass wir auch gewinnen.

Mit dem guten Abschneiden der Vorsaison steigt auch die Erwartungshaltung der Fans.

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Hochstätter: Ja. Die Leute kommen jetzt ins Stadion und wissen, dass der VfL letztes Jahr Fünfter geworden ist. Die vergessen allerdings auch schnell, dass da eine gewisse spielerische Qualität verloren gegangen ist. Wir müssen dieser Erwartungshaltung trotzdem gerecht werden. Jetzt müssen wir sehen: Wie entwickelt sich die Mannschaft? Kann sie mit den jungen Spielern und ihrem Enthusiasmus über diesen Druck hinwegschauen? Oder belastet sie das? Wenn ein anderer Verein Spieler mit einer solchen Qualität vor dem Tor verliert wie wir, wird er sich auch schwer tun, das Boot in die gleiche Richtung zu lenken. Das ist aber nur eine Feststellung – keine Entschuldigung.

Die 2. Liga startet drei Wochen vor der Bundesliga.

Hochstätter: Ich finde es gut, dass die Deutsche Fußball-Liga die 2. Liga vor der Bundesliga starten lässt. Dadurch bekommt die 2. Liga die Aufmerksamkeit, die sie nach dem Erstligastart nicht mehr hat, weil sie dann wieder überschattet wird. Aber durch das gewisse Alleinstellungsmerkmal hat man die Chance, den Leuten zu zeigen, dass diese 2. Liga sehr interessant und qualitativ hochwertig ist. Der frühere Start hat in den letzten Jahren sicherlich auch dazu beigetragen, dass sich der eine oder andere Zweitligist im DFB-Pokal gegen Erstligisten durchsetzen konnte, weil der Rhythmus da ist.

Gleicher Trainer, teilweise neues Team – an der offensiven Spielweise wird sich wahrscheinlich nicht ändern, oder?

Hochstätter: Das ist unsere Philosophie, da wird sich nichts dran ändern. Entscheidend wird sein, wie schnell die neuen Spieler in der Lage sein werden, das umzusetzen, was wir wollen. Deshalb wird jeden Tag im taktischen Bereich gearbeitet. Ich bin mir sicher, dass wir den Trainer in drei Wochen nicht mehr ständig „Halt!“ und „Stop!“ rufen hören werden. Dann wissen die Jungs schon, wo es lang geht.

Über das Versprechen von Herbert Grönemeyer 

Wie schwer ist für einen Verein wie den VfL Bochum der Spagat zwischen Tradition und Moderne. Nehmen wir das Beispiel der Brauerei Moritz Fiege: Die ist traditioneller Partner, ein Bestandteil der Stadt. Finanziell wird es aber sicher andere, potentere Sponsoren da draußen geben.

Hochstätter: Wir haben uns für Fiege entschieden, denn wir sind uns schon bewusst, was Tradition bedeutet. Natürlich wird es nicht immer in jedem Fall so umzusetzen sein, aber im Fall der Brauerei hat sich der Verein zur Tradition bekannt und so werden wir jeden Einzelfall prüfen. Es ist schon wichtig, was die Leute in Bochum über ihren VfL denken und wie der Verein in die Stadt hineinwirkt, welche Strahlkraft wir hier haben. Wenn wir wollen, dass die Leute sich mit uns identifizieren, müssen wir einen Schritt auf sie zugehen. Ich habe bisher bei drei Traditionsvereinen gearbeitet. Ich fand es beispielsweise schade, dass unsere Fans zum Spiel bei RB Leipzig nicht gekommen sind. Sie haben anschließend hier in Bochum unsere Spieler empfangen. Das mag eine Art Protest gewesen sein. Aber als Anhänger eines Traditionsvereins sollte man trotzdem nach Leipzig fahren und dem anderen Klub zeigen, was echte Tradition ist. Da bleibt man nicht weg. Ich persönlich finde, dass Leipzig einen sensationellen Job macht. Andere Vereine haben auch viel Geld – und sind trotzdem nicht so erfolgreich wie Leipzig. Auch vor dieser Arbeit muss man also den Hut ziehen. Wenn wir also demnächst in der Bundesliga spielen, möchte ich, dass unsere Fans nach Leipzig fahren und denen zeigen, was einen Traditionsverein ausmacht. (lacht)

Gökhan Gül ist U19-Nationalspieler und fährt zur EM in Baden-Württemberg.

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Hochstätter: Ganz ehrlich: Wir wollten ihn gar nicht weglassen. Mit Dominik Wydra haben wir ja glücklicherweise einen Spieler verpflichtet, der auch Innenverteidiger spielen kann. Doch ich hätte Gökhan jetzt lieber hier im Training gehabt, er ist ja fester Bestandteil der Mannschaft. Aber natürlich freue ich mich für ihn und hoffe, dass er Europameister wird.

Die Mitgliederzahl steigt stetig und ist gerade bei 8317. Beim Erreichen von 10.000 Mitgliedern soll ja Herbert Grönemeyer in Bochum auftreten.

Hochstätter: Da kommen täglich ein paar dazu, Herbert kann sich schon einmal warmsingen.

Mit dem Abstand von einem Jahr: War die Abschaffung der U23-Mannschaft richtig?

Hochstätter: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Unsere jungen Spieler, die jetzt bei uns mittrainieren und nicht mehr die Zwischenstation U23 haben, sind trotzdem im Rhythmus, wenn sie im Ligaspiel eingewechselt wurden. Nämlich durch unsere vielen Angebotsspiele, in der vergangenen Saison haben wir 33 davon gespielt.