Gelsenkirchen. . Vor genau 30 Jahren ging der Stern des Olaf Thon auf, der im Pokal-Halbfinale zwischen dem FC Schalke 04 und Bayern München als 18-jähriges Top-Talent drei Treffer erzielte. Vor dem dritten munterte ihn ausgerechnet der Schiedsrichter auf.

Im Nahkampf war Töppi geübt. Kein Getümmel konnte so bedrohlich sein, dass es der Mann mit dem ZDF-Mikro gemieden hätte. Doch am 2. Mai 1984 wurde auch Rolf Töpperwien auf eine besondere Probe gestellt. „Macht doch mal Platz hier, Leute!“, brüllte er die Fans des FC Schalke 04 an. „Wir wollen ein Interview machen mit dem Olaf!“

Das Problem war nur: All die vielen Menschen, die kurz zuvor auf den Rasen des Schalker Parkstadions gerannt waren, wollten in diesem Moment etwas vom Olaf. Ihn mal anfassen, ihn fotografieren, ihn auf die Schultern nehmen. Dieser Olaf Thon, gerade 18 Jährchen jung, hatte auf Schalke an jenem Abend eine Explosion der Emotionen ausgelöst.

Pokal-Halbfinale, Zweitligist (!) Schalke 04 empfing die schon damals übermächtigen Münchener Bayern, die prompt bereits nach zwölf Minuten mit 2:0 führten. Was danach geschah, ist mit dem Begriff Fußballwunder untertrieben beschrieben. Mit einem 4:4 ging es in die Verlängerung, zweimal hatte Olaf Thon getroffen. Nach 122 Minuten führten die Bayern 6:5.

Der letzte Schalker Kraftakt. „Meine schönste Erinnerung an diesen Tag“, sagt Olaf Thon. Denn neben ihm lief Wolf-Günter Wiesel, der Schiedsrichter. Das Top-Talent musste annehmen, sich verhört zu haben, doch Wiesel sagte tatsächlich: „Komm, Olaf, noch ein Angriff!“ Von dem Luftzug des Volleyschusses, den Thon danach in die Maschen pfefferte, hätte sich Bayern-Torwart Jean-Marie Pfaff eine Erkältung zuziehen können.

30 Jahre her.

Dass die Bayern das Wiederholungsspiel in München mit 3:2 gewannen – geschenkt. Fußball-Geschichte ist und bleibt das 6:6.

Manches hat sich verschoben in der Erinnerung, Olaf Thon muss lachen. „Ich war lange Zeit davon ausgegangen, dass ich fast eine Stunde von den Fans getragen wurde“, erzählt er. „Dabei waren es genau neun Minuten.“

Der Mann des Abends: Olaf Thon trifft vor dreißig Jahren bei Schalkes grandiosem 6:6 gegen die Bayern.
Der Mann des Abends: Olaf Thon trifft vor dreißig Jahren bei Schalkes grandiosem 6:6 gegen die Bayern. © imago

Einen Tag zuvor war er 18 geworden, endlich musste er nicht mehr mit seinem Mofa zum Training knattern. „Wir hatten in meinen Geburtstag reingefeiert“, erzählt der Mann, der an diesem Donnerstag 48 wird, „und Manager Rudi Assauer hat gezapft! So etwas wäre heute undenkbar.“

Von Verletzungen ausgebremst

Drei Jahrzehnte später sind in der Bundesliga zahlreiche vielversprechende Talente unterwegs, Olaf Thons Raketenstart war dagegen damals einzigartig, und es war schon eine Kunst, als junger Kerl Rummel und Ruhm zu verkraften. „Aber ich glaube, dass ich dass ganz gut hinbekommen habe“, meint er. „Ich habe mir viele Ratschläge angehört, von Rudi Assauer, auch von älteren Spielern, und in der Familie habe ich ohnehin ganz normal gelebt.“

Da hätten es die heutigen Hoffnungsträger doch wesentlich schwerer, meint er. „Schule, Junioren-Bundesliga, europäische Youth League – bei denen sind Aufwand und Belastung doppelt so hoch.“ Er empfiehlt ihnen, nötige Besessenheit nicht in Verbissenheit umkippen zu lassen, der Spaß dürfe nie verloren gehen. Er selbst hatte früher nicht das Gefühl, dass ihm die Freizügigkeit eines normalen Jugendlichen geraubt worden wäre. „Ich wollte doch immer für den Fußball leben“, sagt der heutige Repräsentant des Vereins.

Nur die nach dem spektakulären Anfang erwartete Weltkarriere blieb ihm verwehrt, mehrmals hieß es vor großen Turnieren: Thonausfall. „Ohne die vielen Verletzungen wäre ich höchstwahrscheinlich nach Italien gegangen, und ich hätte schon den Anspruch gehabt, hundert Länderspiele zu machen“, sagt er. So wurden es „nur“ 52, aber Olaf Thon will nicht klagen. Nach Schalkes Abstieg 1988 wurde er mit den Bayern dreimal Meister, 1990 gehörte er zu Franz Beckenbauers weltmeisterlichem Aufgebot, und nach seiner Rückkehr nach Schalke führte er 1997 als Kapitän die legendären Eurofighter an, die in Mailand den Uefa-Pokal holten. „Und trotzdem“, sagt er, „war das 6:6 gegen die Bayern das Spiel meines Lebens.“