Gelsenkirchen. . Der frühere Nationaltorwart kann sich bei den Königsblauen als neue Nummer eins bewähren. Eine schwere Zeit liegt hinter dem 32-Jährigen.

Timo Hildebrand ist um Zurückhaltung bemüht. Er antwortet höflich auf alle Fragen, bleibt aber auf Distanz. Wenn er tatsächlich sein Inneres nach außen krempeln würde, wäre vermutlich zu sehen, wie eine Seele singt und lacht.

Vor einem halben Jahr war er noch arbeitslos. Als siebenmaliger Nationaltorhüter, mit erst 32 Jahren. Den Körper konnte er zwar fithalten, die Psyche aber ließ sich nicht überlisten: So einen Schlag musste einer, der es gewohnt war, vom Rampenlicht ausgeleuchtet zu werden, erst einmal verdauen. Dann rief im Oktober Schalke 04 an, weil sich Stammtorhüter Ralf Fährmann schwer verletzt hatte, und Timo Hildebrand entdeckte eine neue Chance. Fordern durfte und wollte er nichts, er stellte sich korrekt hinten an und musste anerkennen, dass sich der junge Lars Unnerstall prächtig entwickelte. „Es war klar, dass ein Torwart auch warten können muss“, sagt Timo Hildebrand heute. Seine Geduld hat sich ausgezahlt: Weil nun auch Lars Unnerstall wochenlang ausfällt, erhält der Routinier die große Gelegenheit zur Bewährung. Schon an diesem Donnerstag will er entscheidend dazu beitragen, Schalke ins Achtelfinale der Europa League zu hieven. Nach dem 1:1 im Hinspiel in Tschechien sind die Königsblauen gegen Viktoria Pilsen favorisiert (21.05 Uhr/Kabel 1 und Sky).

Hildebrand strahlt Ruhe aus

Bereits am Sonntag beim 4:0 gegen Wolfsburg konnte Hildebrand in der zweiten Halbzeit beweisen, dass er noch immer in der Lage ist, hochkonzentriert zu reagieren und Ruhe auszustrahlen. Auf dem Platz. Vorher, in der Kabine, hatte ihm auch all die Erfahrung nicht genutzt. Als er hörte, dass er sich bereitmachen sollte, steuerte er nicht zügig das Spielfeld an, sondern einen stilleren Ort: „Ich musste erst mal zur Toilette. Ich war angespannt, ist ja normal.“

Er weiß: Wenn er dem Klub helfen kann, hilft er auch sich selbst. Sein Vertrag läuft am Saisonende aus, aber Schalkes Manager Horst Heldt hat bereits signalisiert, dass er sehr wohl die Möglichkeit zur Verlängerung sieht: „Jetzt ist Timo wieder im Geschäft“, sagt er. „Er kann sich anbieten – natürlich auch für einen neuen Vertrag.“ Zumal noch keiner weiß, wann und in welcher Verfassung die beiden Konkurrenten zurückkommen werden, wenn sie ihre Verletzungen überstanden haben.

Hildebrand wollte in Valencia "den nächsten Schritt machen"

Timo Hildebrand will sich mit dem Gedanken an die kommende Saison noch gar nicht belasten, seine ganze Konzentration gilt den nächsten Aufgaben: „Was im Sommer sein wird, will ich völlig ausblenden“, sagt er. „Als ich keinen Vertrag hatte, habe ich gelernt, nicht groß in die Zukunft zu schauen.“

In den Jahren nach der berauschenden Heim-Weltmeisterschaft 2006, bei der er immerhin als dritter Torwart zum deutschen Aufgebot zählte, und dem sensationellen Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart 2007 ist Timo Hildebrand aus der Spur gekommen. FC Valencia, 1899 Hoffenheim, Sporting Lissabon – nirgendwo passte er richtig hin, nirgendwo konnte er sich behaupten. „Ich bin nach Valencia gegangen, um den nächsten Schritt zu machen“, erzählt er. Er ahnte nicht, dass es ein Schritt zu viel war, ein Schritt über die Klippe hinaus.

Viele neue Hochbegabte

Er spricht von einer „schwierigen Zeit“, es wird wohl untertrieben sein. Denn als er im vergangenen Jahr allein trainieren musste, nahmen die Zweifel quälend zu: „Da macht man sich natürlich schon Gedanken, wenn alle Plätze besetzt sind und viele gute Torhüter nachkommen.“

Hildebrand galt als Verlierer des rasanten Rennens der deutschen Keeper: Nach Neuer, Adler und Wiese bewiesen plötzlich viele junge Hochbegabte wie Zieler, ter Stegen, Leno, Trapp, Baumann oder Ulreich, dass Torhüter nicht mehr gesetzlich geregelt über 30 sein müssen, um einer Mannschaft Halt geben zu können. Zeitgleich zu ihrem Aufstieg ging Hildebrand den Umweg über Schalkes zweite Mannschaft in der Regionalliga. Demütig fügte er sich ein, er war ja schon froh, überhaupt wieder mit einer Mannschaft trainieren zu können. Er hatte sich vorgenommen, bei seinem neuen Klub „jeden einzelnen Tag zu genießen“.

Und damit fängt er jetzt erst richtig an.