Essen. Ralf Rangnick ist als Trainer des FC Schalke 04 zurückgetreten. Wir haben mit Sportpsychologie-Professor Andreas Marlovits aus Köln über die Entstehung und Behandlung eines Burnouts und die Zukunft von Rangnick gesprochen.
Andreas Marlovits ist nicht überrascht. „Bei dem Programm, das Trainer eines Fußball-Bundesligisten haben, ist ein Burnout kein Wunder“, sagt der Sport-Psychologe zum Rücktritt von Ralf Rangnick als Schalke-Trainer.
Hatte das Umfeld von Ralf Rangnick eine Chance, die Entwicklung zu bemerken?
Andreas Marlovits: Mit dem fachlichen Blick eines Psychologen lässt sich die Entwicklung sehr wohl erkennen. Aber es ist auch ein Phänomen des Burnouts, dass die Dinge für Außenstehende nur schwer erkennbar sind. Auch für den Betroffenen selbst. Trainer müssen funktionieren, und sie wollen ja auch funktionieren.
Was muss passieren, damit sie nicht mehr funktionieren?
Marlovits: Der Mechanismus von Anspannung und Entspannung wird durchbrochen. Ein Trainer in der Bundesliga hat mit dem Europapokal fast jede Woche zwei Spiele zu bewältigen, dazu die Analysen und die Vorbereitung. Zudem lässt das moderne Leben keine Chance, auszubrechen. Jeder ist dauererreichbar, oft hilft daher nur ein Verschanzen.
Im Privaten?
Marlovits: Richtig. Aber auch das ist für einen Bundesliga-Trainer schwierig, da er überall erkannt wird. Das gilt im übrigen auch für die Spieler, die ja ein sehr öffentliches Leben führen.
Ist das nicht der Preis, den ein Star für seinen Ruhm und sein Einkommen zahlt?
Marlovits: Das ist sicherlich die andere Seite, aber diese Erkenntnisse hilft dem Menschen in diesem Moment nicht weiter. Oft ist das private Umfeld in dieser Situation überfordert, denn irgendwann hilft es nicht mehr, jemanden einfach nur mal in den Arm zu nehmen. Wenn diese Stütze weg bricht, gibt es ein Problem.
Ist ein Trainer in einer noch schwierigen Situation als ein Spieler? Schließlich ist er für alle die Bezugsperson.
Marlovits: Der Trainer hat eine Sonderfunktion. In seiner Führungsposition wird von ihm verlangt, dass er stark und selbstbewusst ist.
Übersieht ein Trainer auf diese Weise vielleicht die ersten Alarmzeichen der Erschöpfung?
Marlovits: Nicht jede Erschöpfung ist ein Burnout, oft findet man nach einer Anspannungsphase zum Beispiel durch einen freien Tag wieder zurück in den Alltag. Die Differenzierung ist sehr schwierig. Bleibt die Erschöpfung, gehen viele Betroffene zunächst zum Arzt und lassen nach einem körperlichen Problem suchen. Vielleicht ist es ja nur eine Entzündung. Es setzt ein Verdrängungsmechanismus ein. Steuert man an dieser Stelle nicht gegen, kann es ganz schwierig werden.
Wie steuert man in so einer Phase gegen?
Marlovits: Manchmal hilft ein Urlaub, aber oft ist die Bewältigung alleine nicht zu schaffen. Am besten begibt man sich in fachliche Behandlung.
Also hat Ralf Rangnick alles richtig gemacht?
Marlovits: Er hat gezeigt, dass er sich und sein Leben ernst nimmt und seine Gesundheit über seinen Beruf gestellt.
Hat der Freitod von Nationaltorwart Robert Enke wegen seiner Depressionen dem Trainer jetzt möglicherweise erleichtert, den Weg in die Öffentlichkeit zu wählen?
Marlovits: Möglicherweise schon, auch wenn sich in der Bundesliga nach Robert Enke nicht so sehr viel geändert hat. Aber vor Jahren hätte Rangnick vielleicht noch versucht, sich durchzubeißen. Das wäre falsch gewesen. Ein Burnout ist keine Depression, aber der Burnout kann der erster Schritt in die Depression sein. Daher ist frühes Erkennen so wichtig.
Müssen sich Burnout-Patienten sofort komplett zurückziehen?
Marlovits: Nicht zwangsläufig. Ein Normalbürger wird vielleicht einige Wochen krankgeschrieben, dann sieht man weiter. Bei einem Bundesliga-Trainer funktioniert ein Ausstieg auf Zeit nicht.
Wie geht es bei Ralf Rangnick nach seinem Rückzug in Schalke weiter?
Marlovits: Es gibt zwei Möglichkeiten der Behandlung. Zum einen mit einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Spezialklinik, in der es sehr kompakt Hilfe gibt. Vielleicht ist dieser Weg für einen Prominenten ratsamer, weil niemand stören kann. Zum anderen funktioniert die Behandlung auch ambulant. In den ersten Wochen gibt es dabei zwei bis drei Behandlungsbesuche pro Woche, ebenfalls ein sehr intensiver Prozess.
Kann Ralf Rangnick nach der Behandlung wieder als Trainer arbeiten?
Marlovits: Natürlich. Der Erholungsprozess ist individuell verschieden. Aber ich habe Trainer als psychisch sehr belastbare Menschen kennen gelernt und gehe davon aus, dass Ralf Rangnick in absehbarer Zeit wieder als Trainer arbeiten kann.
Sportpsychologie-Professor Andreas Marlovits (45) lebt in Köln und hat den Fußball-Bundesligisten Hannover 96 nach dem Freitod von Nationaltorhüter Robert Enke betreut. Heute berät er den Bundesligisten 1. FC Köln in psychologischen Fragen.