Gelsenkirchen. .

Ohne Kraft, aber mit Mut: Der Trainer hat schweren Herzens den Entschluss fassen müssen, eine Auszeit zu nehmen. Den Verein hat er damit kräftig durchgeschüttelt.

Diese Haltung. Ralf Rangnick winkelt ein Bein nach hinten ab, stützt die Arme auf den Gitterzaun, dreht den Kopf zur Seite, als wolle er ihn auf ein Kissen legen. Ein wenig genervt beantwortet er Fragen zur sportlichen Lage. Seine Zuhörer am Mittwochmittag in der Interviewzone auf dem Trainingsgelände des FC Schalke 04 erkennen zwar, dass der Mann urlaubsreif aussieht. Doch sie ahnen nicht, dass er gerade seine letzte Übungseinheit als Cheftrainer der Königsblauen hinter sich hat. Dass er noch am selben Nachmittag endgültig eine Entscheidung fällen wird, um die er seit Wochen gerungen hat. Jetzt muss er seinen ganzen Mut zusammennehmen, um den Entschluss öffentlich zu machen.

Ralf Rangnick kann nicht mehr. Dem 53-Jährigen fehlen Kraft, Motivation, Ausgeglichenheit. Seit zwei Wochen haben sich die Warnzeichen verstärkt: Kaum noch Entspannung, kaum noch Schlaf, kaum noch Antrieb. Rangnicks Familie weiß davon, sein Berater Oliver Minzlaff, auch den Schalker Teamarzt Dr. Thorsten Rarreck hat der Trainer ins Vertrauen gezogen. Er bittet Rarreck und Schalkes Manager Horst Heldt für Mittwochabend zum Gespräch. Heldt trifft Rangnicks Entscheidung, die Rarreck als medizinisch notwendig beurteilt, völlig unvorbereitet. Anschließend wird Clemens Tönnies informiert, der Aufsichtsrats-Chef und starke Mann des FC Schalke. Auch er hat nicht geahnt, dass sein Klub erneut schwer durchgeschüttelt werden könnte.

Am Donnerstagmorgen formulieren die Schalker eine Pressemitteilung. Darin heißt es, Rangnick gebe die Verantwortung als Cheftrainer „schweren Herzens“ ab, er sei nicht mehr in der Lage, die Kraft und die Energie aufzubringen, um dem Team die notwendigen Impulse zur Weiterentwicklung zu geben. „Diesen Schritt gehe ich daher auch im Sinne des Teams“, wird Rangnick zitiert.

Eichkorn springt ein

Vor dem Training am Vormittag wird die Mannschaft informiert. Rangnick verabschiedet sich persönlich von den Spielern, der eine oder andere hat Tränen in den Augen. Seppo Eichkorn, der bisherige Co-Trainer, wird damit beauftragt, das Team am Samstag im Heimspiel gegen den SC Freiburg zu betreuen (15.30 Uhr, live im DerWesten-Ticker). Eichkorn ist ein Mann der Tat, er verlangt von den Profis, „alle Nebengeräusche auszublenden“ und sich allein auf das Spiel zu konzentrieren. Er nimmt die älteren Spieler in die Pflicht, die jüngeren führen zu müssen.

Für 11.30 Uhr bittet der Klub zur Pressekonferenz. Im Bauch der Arena nehmen Männer mit herunterhängenden Mundwinkeln auf dem Podium Platz: Heldt, Rarreck, Minzlaff und Schalkes Pressechef Thomas Spiegel. Vor allem Heldt hat das Ganze sichtbar mitgenommen, er könnte wohl jetzt selbst ein wenig Schlaf gebrauchen. Er habe „alle Hochachtung“ vor Rangnicks Entscheidung, sagt Heldt, er verspricht: „Wir werden ihn unterstützen, wo wir können.“ Der Manager hat seit März eng mit dem Trainer zusammengearbeitet. Die beiden standen nach der Entlassung der Universalmacht Felix Magath gemeinsam für das „neue Schalke“ – für den Umbau der Mannschaft, für attraktiveren Fußball, für die Konsolidierung der Finanzen. Und nun? „Es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen, es ist für uns alle ein Schock“, sagt Heldt offen. Er habe zwar in letzter Zeit „gewisse Sachen beobachtet“, die Krankheit aber habe er „nicht an der Stirn ablesen können“.

Als Rangnick sich im Januar nach viereinhalb Jahren intensiver Arbeit von 1899 Hoffenheim getrennt hatte, war sein Plan, durchzuatmen und mindestens bis zum Saisonende keinen neuen Job anzunehmen. Zwei Monate später kamen die Schalker in ihrer Not, und Rangnick erklärte sich dazu bereit, ihnen doch spontan zu helfen. Jetzt stellt sich heraus: Es war zu früh für ihn.

Keine Vorwürfe

„Er wurde aber nicht dazu gedrängt“, stellt sein Berater Minzlaff klar. „Deshalb muss sich Schalke jetzt auch keine Vorwürfe machen.“ Auch Dr. Rarreck erklärt, vor einem halben Jahr sei das Erschöpfungssyndrom nicht vorhersehbar gewesen. Jetzt müsse „die Zeit die Wunden heilen“, Rangnick werde „in einigen Monaten wieder voll da sein“.

Dann allerdings nicht mehr beim FC Schalke 04, der gerade glaubte, aus den größten Turbulenzen heraus zu sein.