Gelsenkirchen. .
Beim FC Schalke 04 lautet die bange Frage nach der Heimpleite gegen Bayer Leverkusen: Ist die Mannschaft überhaupt in der Lage, diesen ungewohnten Kampf gegen den Abstieg anzunehmen?
Es war eine gespenstische Atmosphäre. Die Spieler standen nach dem Abpfiff fassungslos auf dem Rasen und entschlossen sich irgendwann dann doch, den Gang in die Fan-Kurve anzutreten. So ganz weit kamen sie nicht: Auf halbem Weg schallte den Schalker Profis der wütende Protest entgegen. In der Arena, die nur noch spärlich besetzt war, war bis in den letzten Winkel die Angst zu spüren. Die Angst davor, dass Schalke so schnell keinen Ausweg finden wird aus dieser Lage. Nur ein Sieg in zehn Bundesliga-Spielen, aber schon sechs Niederlagen. Nur sechs von 30 möglichen Punkten auf dem Konto. Nur Platz 17 in der Tabelle. Nur das Torverhältnis trennt Schalke noch von der Roten Laterne des Tabellenletzten. Fast ein Drittel der Saison ist gespielt, und Schalke steckt ganz tief im Schlamassel.
Wochenlang war man von Spiel zu Spiel davon ausgegangen, dass irgendwann schon der Knoten platzen wird und die Aufholjagd beginnt. Ein Trugschluss – jetzt verliert Schalke sogar schon den direkten Kontakt zum Mittelfeld. „Wir haben fast November, und langsam weiß ich auch keinen Rat mehr“, sagte Christoph Metzelder bedrückt. Der Abwehrspieler war vor Wochen der Erste, der angemahnt hatte, dass Schalke den Fehlstart zu Beginn der Saison nur nicht unterschätzen dürfte. Schon oft hätten sich Mannschaften unverhofft im Abstiegskampf wiedergefunden, die eigentlich ganz andere Ambitionen haben. Nun, nach diesem bitteren 0:1 gegen Leverkusen, der dritten Heimniederlage in dieser Bundesliga-Saison, realisierten alle: Schalke steckt im Abstiegskampf. Auch Felix Magath, der zwar noch nicht von einem drohenden Abstieg reden wollte, konstatierte: „Wir hängen da unten fest, und das noch länger“.
Magath steckt die Prioritäten neu ab
Eine Lage, die auch Magath jetzt zum Umdenken bewegt hat. Während er in den vergangenen Wochen die Spiele in der Champions League stets zum Vorbild für die folgenden Bundesliga-Auftritte ausgerufen hat, steckte er nun die Prioritäten neu ab. Vor dem vierten Spiel in der Königsklasse am kommenden Dienstag in Israel bei Hapoel Tel Aviv erklärte Magath schonungslos offen: „Die Aufgabe am Freitag in der Bundesliga ist jetzt deutlich wichtiger als das Champions-League-Spiel.“ Am Freitagabend kommt der FC St. Pauli in die Arena. Das allein riecht schon nach Abstiegskampf.
Doch die bange Frage, die seit dem Samstagabend auf Schalke herumgeistert, ist: Hat Schalke überhaupt eine Mannschaft, die mit dem Abstiegskampf klar kommt? Spieler wie Raul, Huntelaar, Farfan oder Jurado haben eine solche Lage noch nie erlebt. Sie haben ihre ganze Karriere lang immer um die Tabellenspitze gespielt – niemals gegen den Abstieg gekämpft. Unten im dunklen Keller sind andere Tugenden gefragt als oben im schönen Licht der Tabellenspitze. „Wir müssen jetzt jeden Punkt mit Zähnen und Klauen irgendwie festhalten“, fordert Christoph Metzelder. Und in dieser Hinsicht hatte er unter dem Eindruck der Partie gegen Leverkusen arge Bedenken: „Wir haben alles versucht, auch wenn wir wieder nicht gut gespielt haben. Aber im Abstiegskampf muss ich bei einem 0:1-Rückstand in den letzten zehn Minuten auf alles gehen, was sich bewegt.“ Das hatte Schalke gegen Leverkusen nicht getan. Nach dem 0:1 durch das Tor von Sidney Sam in der 65. Minute wirkte Schalke eher wie paralysiert. Wie vor den Kopf gestoßen ob der unerwarteten Lage.
Magath hatte die Entstehung dieses Tores dadurch mit zu verantworten, indem er in der zweiten Halbzeit Ivan Rakitic für den verletzten Lukas Schmitz auf die Position des linken Außenverteidigers gestellt hatte – ein Schachzug, der Schalke matt setzte, weil Rakitic auf der ungewohnten Position gegen den pfeilschnellen Sam völlig überfordert war. Magath rechtfertigte sich damit, dass er den verletzten Schmitz auswechseln musste und ihm von daher keine andere Wahl geblieben sei. Doch er hatte vor dem Spiel die falsche Entscheidung getroffen, weil er Hans Sarpei als Außenverteidiger-Alternative nicht in den Kader berufen hatte. Deswegen konnte er auf die Verletzung von Schmitz nicht mehr so reagieren, wie es angebracht gewesen wäre.
Im Vorjahr konnte Magath anfassen, was er wollte – es wurde zu Gold. Nun steckt sein Team in dem Sog nach unten und spürt auch die Umstände, von denen ein solcher Negativ-Trend stets begleitet wird. Waren es zu Saisonbeginn die vielen Platzverweise, so kommt nun das fehlende Glück hinzu. Zum Beispiel bei Torjäger Klaas-Jan Huntelaar, der mit dem Kopf gleich zweimal Latte und Pfosten traf (22. und 46. Minute). Es war beim Stand von 0:0, und Bayer-Trainer Jupp Heynckes wies ehrlich darauf hin, dass ein Schalker Führungstor das Spiel vielleicht in eine andere Richtung gebracht hatte. Letztlich verpasste Schalke jedoch schon in dieser Phase gegen die bis dahin keineswegs überzeugenden Leverkusener den Alles-oder-Nichts-Fight: Nachdem die Blauen einige gute Angriffe über die rechte Seite vorgelegt hatten, wurde nicht genug Druck nachgelegt. „Wir haben vielleicht geglaubt“, sagte Magath, „wir hätten es im Griff“.
Schalke gewann nur 40 Prozent der Zweikämpfe am Ball
Womit wir wieder bei der Frage sind, ob Schalke überhaupt eine Mannschaft hat, die in dieser Situation weiß, was angesagt ist. Alarmierend ist die Zweikampfbilanz: Schalke gewann nur 40 Prozent der Zweikämpfe am Ball – das ist desaströs. Es ist bisher nicht überliefert, ob Metzelder von dieser Bilanz Kenntnis hat, aber er sagte: „Es gibt Mannschaften, die wissen vorher, dass sie nur mit Laufen und Rennen überleben können. Und so eine Mannschaft haben wir nicht.“ Auch Magath rätselte, ob einige seiner Spieler „mit dieser ungewohnten Situation“ in der Bundesliga nicht zurecht kommen würden.
Und deswegen stellt sich die Frage: Kann Schalke überhaupt Abstiegskampf?