Gelsenkirchen. Wenn Karel Geraerts Schalke 04 verlassen sollte, gilt Hein Vanhaezebrouck als Favorit für die Nachfolge. Doch wer ist er?
Wer den Namen Hein Vanhaezebrouck in eine Online-Suchmaschine eintippt, wird innerhalb von Millisekunden eine Reihe Nachrichten, aber vor allem viele Bilder finden. Und Fußballfans werden dabei wohl direkt eine Assoziation haben, die ungefähr so lautet: „Der sieht doch mit Bart aus wie ein älterer Steffen Baumgart.“ Was wie ein lustiger Nebensatz klingt, ist bei genauer Betrachtung gar nicht so falsch: Der Mann, der beim FC Schalke 04 Nachfolgekandidat für Karel Geraerts ist, falls der im Sommer nach Brügge wechselt, ist laut, bekannt für seine Emotionalität. Wie der „echte“ Baumgart. Die „Zeit“ bezeichnete Vanhaezebrouck im Jahr 2016 einmal als „einen der letzten echten Typen im Profifußball“, nannte ihn „Big Hein“.
Doch stimmt das? Wer ist dieser Vanhaezebrouck, dessen „ae“ übrigens wie „aa“ ausgesprochen wird?
Es gibt belgische Fußball-Experten, da war Sportdirektor Marc Wilmots im Januar erst seit ein paar Tagen im Amt, die im Gespräch mit dieser Zeitung hinter vorgehaltener Hand wetteten, dass Vanhaezebrouck einmal Schalke 04 als Trainer übernimmt, sofern Wilmots noch das Sagen hat. Es war eine Vermutung, eine schnell ausgesprochene Wette ohne jede Information, ohne dass es Gespräche gegeben hätte und deshalb seinerzeit nicht berichtenswert. Denn dass Wilmots Vanhaezebrouck seit langer Zeit kennt (viel länger als Karel Geraerts) und schätzt, ist im überschaubaren belgischen Fußball kein großes Geheimnis. Wilmots und Vanhaezebrouck stehen seit Jahrzehnten auf der belgischen Fußball-Bühne in der ersten Reihe.
Schalke-Kandidat Vanhaezebrouck: zweimal „Trainer des Jahres“ in Belgien
Vanhaezebrouck ist bereits 60 Jahre alt, seiner Heimat blieb er meist treu: der Provinz Westflandern an der französischen Grenze. Geboren und aufgewachsen ist er in Kortrijk und Umgebung, ein Duell zwischen KV Kortrijk und dem Ligue-1-Klub OSC Lille aus Frankreich wäre ein Derby, die beiden Städte liegen nur rund 30 Kilometer voneinander entfernt. Seine aktive Karriere liegt weit zurück, seine beste Zeit hatte beim KRC Harelbeke, er spielte dort von 1989 bis 1998 (217 Spiele, 14 Tore), stieg von der Dritten bis in die Erste Division, qualifizierte sich einmal für den Uefa Intertoto Cup – ja, den gab es da noch.
Schon im Jahr 2000 begann Vanhaezebroucks Trainer-Karriere, da war Geraerts gerade einmal 18 Jahre alt. Sechs Jahre lang war Vanhaezebrouck entweder Co-Trainer oder arbeitete in unterklassigen Ligen, bevor er zur Saison 2006/2007 in seiner Geburtsstadt KV Kortrijk, damals Zweitligist, übernahm. Es gelang ihm der erste große Erfolg: der Aufstieg in die erste Liga. Im Jahr 2009 wurde er vom größeren Klub KRC Genk abgeworben, blieb dort aber nur kurz, von 2010 bis 2014 folgten vier weitere Jahre in Kortrijk.
Sein großes Glück fand der 1,89 Meter große, kräftige Vanhaezebrouck (die „Zeit“ schrieb: „Breite Stirn, wenig Hals“) – bis heute – bei KAA Gent. Von 2014 bis 2017 und seit 2020 ist er dort der ganz starke Mann, insgesamt sieben Jahre hat er hinter sich, unterbrochen nur von einem kurzen, nicht erfolgreichen Intermezzo beim RSC Anderlecht (2017/2018). Im Jahr 2015 gewann er mit Gent den Meistertitel und den Supercup. 2022 konnte er den belgischen Pokal in die Höhe recken. Nie schnitt Gent unter Vanhaezebrouck schlechter ab als auf Platz sieben, erreichte in der Champions League das Achtelfinale (2015/2016, Aus gegen Wolfsburg), in der Europa League die Gruppenphase (2020/2021) und dreimal die Conference League (2021 bis 2024). In der Saison 2022/2023 scheiterte Gent dort erst im Viertelfinale an West Ham United.
Zweimal (2015, 2023) erhielt er die „Raymond Goethals Trofee“ für den Trainer des Jahres in Belgien, beide Titel sind bemerkenswert. 2015 war die Zeit, in der Marc Wilmots die belgische Nationalmannschaft trainierte und sogar zum Welttrainer gewählt wurde. Beide waren europaweit als beste belgische Trainer bekannt, kooperierten eng. 2023 folgte Vanhaezebrouck auf Karel Geraerts, der die Trophäe 2022 gewonnen hatte.
Doch welchen Fußball bevorzugt Vanhaezebrouck? Was für ein Typ ist er?
Jan Mulder, Vater von Schalke-Aufsichtsrat Youri, brachte Vanhaezebrouck schon während der laufenden Saison bei den Königsblauen ins Gespräch. Mit seiner „eisernen Hand“ wäre er, so der in Belgien anerkannte Kolumnist Mulder, in der Lage, Schalke in ruhigeres Gewässer zu führen. In Kortrijk und Gent wurde (und wird) Vanhaezebrouck geliebt, bei den größeren Klubs (Genk, Anderlecht) sah das anders aus. Kenner des belgischen Fußballs bezeichnen Vanhaezebrouck als „emotionalen Polterer“, der gern aneckt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Er scheut zum Beispiel nicht vor lautstarker Kritik an Schiedsrichtern und eigenen Spielern, sah nicht nur eine Rote Karte in seiner Karriere. Auf Pressekonferenzen, schilderte die „Zeit“ 2016, würde Vanhaezebrouck schon mal zwei Bier trinken, eher an einen „Landarbeiter“ erinnern. Kein schlechtes Etikett, um Schalke-Trainer zu sein.
Seine bevorzugte taktische Formation ist die 3-4-1-2-Taktik. Eine Verpflichtung wie zum Beispiel die des linken Schienenspielers Anton Donkor (Eintracht Braunschweig) passt sowohl zu Geraerts als auch zu Vanhaezebrouck - jedenfalls wenn es nach Geraerts‘ Lieblingssystem geht, das er auf Schalke wegen des Spielerkaders nur selten spielen lassen konnte. Vanhaezebrouck steht für Talente-Entwicklung, Kaderwertsteigerung, so wie es Schalke mag.
Die Seite „totalfootballanalysis“ fasste im Jahr 2023 Vanhaezebroucks Taktik seiner zweiten Amtszeit in Gent so zusammen: „Er bevorzugt er eine Variante der Dreierkette, normalerweise im 3-4-1-2.“ Während eines Spiels könne die Taktik auch zum breiteren 3-4-3 oder 3-5-2 werden, Vanhaezebrouck sei taktisch flexibel und in der Lage, sich auf Änderungen in der Strategie des Gegners anzupassen. Was Gent ausgezeichnet hätte? Die Taktik-Seite schreibt: „Schnelle One-Touch-Angriffsbewegungen, um schnell durch die gegnerische Verteidigung zu gelangen, sowie die Priorisierung des vertikalen Ballspiels in diesen Momenten.“ Direkte Pässe der zentralen Mittelfeldspieler seien ein Mittel, um mit hoher Geschwindigkeit ins letzte Drittel zu gelangen. KAA Gent spielte unter Vanhaezebrouck im Ballbesitz selten Quer- oder Rückpässe, hatte die höchste Zahl der Pässe mit Raumgewinn.
Schalke 04 – Mehr News und Hintergründe:
- Schalke: Fährmann über Degradierung: „Meine schwerste Zeit“
- Ronaldo auf Schalke in Gefahr: Zuschauer mit Harakiri-Sprung
- Schalke-Poker um Karaman: Tillmann und Wilmots mit Update
- Schalke: So geht es mit den acht Streichkandidaten weiter
- Schalke: Geraerts entscheidet Kapitäns-Frage schnell
- Schalke-Kommentar: Umgang mit Drexler und Baumgartl ist unwürdig
Doch warum verlässt Vanhaezebrouck Gent nun? Das liegt an der Winter-Transferperiode. Nach dem Weihnachtsspieltag 2023 lag Gent auf dem dritten Platz, mit besten Chancen, sich für die Meister-Play-offs zu qualifizieren. Gent verkaufte aber Malick Fofana, Gift Orban (beide zu Olympique Lyon, Ablöse zusammen 29 Millionen Euro) und Hugo Cuypers (Chicago, 12 Millionen Euro). Diese Verluste konnte Gent nicht auffangen, fiel auf Rang sieben zurück und damit aus den Meister-Play-offs.
Doch kommt der Trainer, den ein Fan in Anlehnung an eine Comicfigur einmal „Billie Turf“ nannte (und dafür bestraft wurde) nach Gelsenkirchen? Das ist noch offen. Es gibt immer deutlichere Signale aus dem Verein, dass Geraerts sich für einen Wechsel nach Brügge entscheidet - aber sicher ist das noch nicht. Geraerts selbst war auch in Elversberg (1:1) am Freitagabend zurückhaltend, bestätigte, seine Familie würde dort wohnen und er hätte dort gespielt, das sei wahr, alles andere seien „Gerüchte“. Geraerts mag Schalke, will erst die Mission Klassenerhalt schaffen und dann entscheiden. Klar ist aber: Schalke ist präpariert, falls Geraerts gehen sollte.
Schalke-Kandidat Vanhaezebrouck und ein umstrittener Berater
Doch wie eng sind die Kontakte von Vanhaezebrouck zu Wilmots im Jahr 2024? Eine aktive Rolle Wilmots‘ in Belgien ist schließlich schon etwas länger her. Was Gespräche mit Vanhaezebrouck schwierig machen könnte: Sein langjähriger Berater ist Mogi Bayat, eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren des belgischen Fußballs. Bayat war über viele Jahre die zentrale Transferfigur im belgischen Fußball, die Zeitung „De Morgen“ bezeichnete Bayat als „Super-Spielervermittler“. Das Transferfenster wurde zwischenzeitlich „Mogi-poly“ genannt. Er beriet Spieler, Trainer, unterhielt beste Kontakte zu ganzen Vereinen. Im Jahr 2018 stand Bayat aber im Mittelpunkt eines großen Korruptionsskandals („Footballgate“ genannt), wies die Vorwürfe aber zurück. Über einen Abschluss des Prozesses ist nichts bekannt. Vanhaezebrouck blieb Bayat auch danach offenbar treu. Kennt Wilmots Bayat? Ganz bestimmt - im belgischen Fußball kennt jeder Bayat.
Wer ein wenig in Bayats jüngster Fußball-Vergangenheit sucht, wird auf eine weitere Auffälligkeit aufmerksam - die natürlich purer Zufall sein kann, aber dennoch bemerkenswert ist: Bayat ist offenbar gut befreundet mit Gino Pozzo, dem Besitzer des englischen Zweitligisten FC Watford, und arbeitete mit ihm auch nach dem Skandal eng zusammen, wie mehrere renommierte englische Zeitungen und Portale wie der „Guardian“ und „The Athletic“ recherchierten und berichteten. Es gibt zwei Versionen - in der ersten heißt es, Bayat sei Pozzos Einflüsterer gewesen. In der zweiten, Bayat sei normaler Agent gewesen wie andere. In Watford lernte Bayat aber Ben Manga und dessen Scouts kennen - Manga soll künftig Schalkes Direktor Kaderplaner werden, die Scouts sind schon Königsblaue. Alles nur konstruiert?
Eine Verpflichtung von Vanhaezebrouck wäre ein Risiko – so erfahren „Big Hein“ auch sein mag: Im Ausland hat er noch nicht gearbeitet. Langweilig würde es definitiv auf keinen Fall, wenn Wilmots seinen alten Kumpel nach Schalke holt.
Mehr News zu Schalke 04 auf WhatsApp
Sie wollen immer auf dem neuesten Stand sein, was den FC Schalke angeht? Sie wollen nah dran sein am Verein und dabei sein, wenn unsere Reporter unterwegs sind und hinter die Kulissen gucken? Dann abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal „WAZ auf Schalke“.