Gelsenkirchen. . Schalke-Verteidiger Cedric Brunner spricht im Interview über die Psyche im Abstiegskampf, Meditation und erklärt, warum er oft unterschätzt wird.

Für Schalke-Profi Cedric Brunner ist der Kampf um den Klassenerhalt nichts Neues. Schon in den vergangenen beiden Spielzeiten ging es für den 28 Jahre alte Rechtsverteidiger bei Arminia Bielefeld nur um den Verbleib in der Liga – 2021 erreichte er mit den Ostwestfalen dieses große Ziel, 2022 stieg er ab. Schon wegen dieser prägenden Erinnerungen weiß Brunner, worauf es im Saison-Endspurt ankommt.

Wichtig wird für Schalke 04, die an diesem Sonntag (19.30 Uhr/DAZN) bei der TSG Hoffenheim antreten, vor allem der Kopf – und da ist Brunner ein Experte, denn er studiert neben der Profikarriere Psychologie. Darüber spricht der Schweizer im Interview.

Cedric Brunner, in der Nähe Ihres Elternhauses in Zürich haben Ihnen die Fans des FC Zürich 2018 ein Graffiti gewidmet. Gibt es das noch?

Cedric Brunner: Leider nicht. Das wurde inzwischen von einem Reinigungsdienst entfernt. In der Schweiz wird da nicht lange gefackelt. (lacht)

Wie kam es zu diesem Graffiti?

Brunner: Zählt man die Zeit in der Jugend dazu, habe ich zwölf Jahre für den FC Zürich gespielt und die Fans haben das Graffiti zu meinem Abschied gestaltet. Es war eine Anerkennung für meine Leistungen. Das hat mich extrem stolz gemacht, zu so einer Ehre kommt nicht jeder Fußballer.

Schalkes Rechtverteidiger Cedric Brunner im Interview.
Schalkes Rechtverteidiger Cedric Brunner im Interview. © Frank Oppitz / FUNKE Foto Services

In Zürich waren Sie einer der Fan-Lieblinge, doch auf Schalke sieht man bislang noch relativ wenige Brunner-Trikots in der Arena.

Brunner: Ich komme aus Zürich und habe für meinen Heimatverein gespielt, da ist es klar, dass mein Standing ein ganz anderes ist als im Ausland. Auf Schalke bin ich ja auch noch nicht so lange. Trotzdem denke ich manchmal, dass ich unterschätzt werde.

Warum?

Brunner: Fußball ist für viele Beobachter eine Art von Unterhaltung. Die Leute wollen Tore, Assists und Spektakel sehen – das ist nicht mein Spiel. Ich bin ein Teamplayer, der hart arbeitet und stehe weniger im Mittelpunkt als andere. All das heißt aber nicht, dass ich schlecht bin, auch das musste ich mir schon anhören. Mit mir bekommt man natürlich keinen Lionel Messi, aber einen Spieler, auf den man sich verlassen kann. Meine Stärke ist die Konstanz.

Ärgert Sie diese mangelnde Anerkennung?

Brunner: Es hat auch gute Seiten, ein bisschen im Hintergrund zu agieren. Für mich ist es aber nichts Neues, es war bislang während meiner gesamten Karriere so. Ich hatte aber immer wieder Trainer, die gesagt haben, ich sei einer der meistunterschätzten Spieler. Dieses Vertrauen der Verantwortlichen ist am wichtigsten.

Welche Rückmeldung bekommen Sie von den Fans?

Brunner: Zuletzt gab es tatsächlich viel Lob von den Fans, die mir in den Sozialen Medien geschrieben haben. Über solche Nachrichten freue ich mich natürlich. Aber ich bin jemand, der das insgesamt gut einordnen kann. Auch wenn es mal kritischer wird, nehme ich mir das nicht zu sehr zu Herzen. Wenn man es nicht schafft, all die Meinungen auszublenden, ist das Fußballer-Leben eine Achterbahnfahrt – vor allem auf Schalke mit diesem wahnsinnig emotionalen Umfeld.

Cedric Brunner ist als Rechtsverteidiger bei Schalke 04 gesetzt - doch viel beachtet wird der Schweizer nicht.
Cedric Brunner ist als Rechtsverteidiger bei Schalke 04 gesetzt - doch viel beachtet wird der Schweizer nicht. © Frank Oppitz / FUNKE Foto Services

Was hat Sie seit Ihrem Wechsel zu Schalke 04 am meisten überrascht?

Brunner: Das tolle Gespür der Fans.

Wie meinen Sie das?

Brunner: In der laufenden Saison ist die Unterstützung grandios: Die Fans wissen, dass die Situation schwierig ist und gehen feinfühlig mit der Mannschaft um. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Fans ein einziges Mal negativ waren – selbst nach klaren Niederlagen wurden wir aufgemuntert.

Sie warten auf Schalke noch immer auf Ihre erste Torbeteiligung. Wie sehr wurmt Sie das?

Brunner: Für das Toreschießen bin ich zwar nicht bekannt, aber zumindest die eine oder andere Vorlage will ich bald beisteuern. Trotzdem geht es in erster Linie ums Verteidigen. Wir kämpfen um den Klassenerhalt und schießen nicht so viele Tore – da ist wichtig, dass man hinten sicher steht.

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Am Sonntag beginnt mit dem Spiel in Hoffenheim die heiße Phase im Kampf um den Klassenerhalt. Wie viel Druck verspüren Sie aktuell?

Brunner: Seit Monaten gibt es für uns keine ruhigen Phasen mehr, da ändert sich jetzt nicht viel. Schon vor den Spielen gegen Stuttgart und in Bochum hieß es, wir müssen gewinnen, sonst sei es vorbei. Jetzt ist es wieder so.

Wie viele Siege braucht es im Abstiegskampf noch, um am Saisonende über dem Strich zu stehen?

Brunner: Ich denke, wir brauchen vier Siege, um in der Liga zu bleiben, dann wären wir gut dabei. Optimal wäre es natürlich, wenn wir schon gegen Hoffenheim und Hertha mit dem Siegen anfangen.

Interviewtermin auf Schalke: Vor dem Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim hat Cedric Brunner mit unserem Reporter Robin Haack gesprochen.
Interviewtermin auf Schalke: Vor dem Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim hat Cedric Brunner mit unserem Reporter Robin Haack gesprochen. © Frank Oppitz / FUNKE Foto Services

Was stimmt Sie optimistisch, dass das gelingt?

Brunner: Schon seit dem Sommer war jedem Spieler klar, dass es eine schwere Saison wird und wir unten drinstehen werden. Auf diese Situation konnten wir uns also einstellen, das geht vielleicht nicht jedem unserer Konkurrenten so. Ein Schlüssel ist unsere mannschaftliche Geschlossenheit, das ist unser Faustpfand.

Wie wichtig ist die Psyche im Abstiegskampf?

Brunner: Gerade auf Schalke muss jeder Spieler einen Weg finden, wie er mit dem ganzen Drumherum umgeht. Ich persönlich versuche, so wenig über mich und den Verein zu lesen wie möglich. Zu meiner Anfangszeit in Bielefeld habe ich noch viele Kommentare und Artikel über mich gelesen, aber damit aufgehört, weil es mir nicht guttat. Es hilft nicht, wenn man sich jedes Lob, jede Kritik reinzieht. So verliert man nur den Bezug zur Realität.

Inwieweit hilft es Ihnen im Umgang mit Drucksituationen, dass Sie sich als Psychologie-Student mehr mit der menschlichen Psyche beschäftigen als die meisten Bundesligaprofis?

Brunner: Ich habe das Gefühl, es ist eher hinderlich. (lacht) Weil mich die menschliche Psyche fasziniert, mache ich mir vielleicht noch mehr Gedanken über den Umgang mit Druck. Ich bin ein Typ, der manchmal zu viel nachdenkt – und im Profisport ist es nicht hilfreich, sich viele Gedanken zu machen. Klar im Kopf zu sein, ist wichtig, um Top-Leistungen bringen zu können. Wenn mich zu viele negative Gedanken plagen, hilft mir die Meditation.

Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner - wegen einer Nasenverletzung spielte der Schweizer in der Bundesliga zuletzt mit Spezialmaske.
Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner - wegen einer Nasenverletzung spielte der Schweizer in der Bundesliga zuletzt mit Spezialmaske. © dpa

Sie meditieren?

Brunner: Im Studium habe ich etwas darüber gelernt, auch ein Sportpsychologe hat mir Meditation empfohlen. Ich hatte nicht immer die Motivation, bei diesem Thema dranzubleiben, aber seit dieser Saison versuche ich, täglich einige Minuten zu meditieren. Dabei kann ich komplett abschalten, entschleunigen und all den Alltagsstress vergessen. Im Raum herrscht bei mir dann absolute Stille und ich konzentriere mich nur auf eine spezielle Atemtechnik.

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Gibt es auch Techniken, die während eines Fußballspiels angewendet werden können?

Brunner: Klar, manchmal reicht dafür schon eine kurze Spielunterbrechung. Um den Puls zu senken, hilft es, länger auszuatmen als einzuatmen. So kann man das System ein bisschen runterfahren. Doch während eines Spiels bin ich so fokussiert, dass ich daran meistens nicht denke.

Der Abstiegskampf ist für den kompletten Verein belastend. Schaffen Sie es, in Ihrer Freizeit noch komplett abzuschalten und alles rund um Schalke 04 aus ihrem Kopf zu streichen?

Brunner: Es ist enorm wichtig, ab und zu einen gedanklichen Cut zu machen. Schaffst du das nicht, frisst dich das irgendwann auf. Tag und Nacht nur daran zu denken, wie viel auf dem Spiel steht, ist nicht gesund. Ich bin froh, dass ich nicht vom Kampf um den Klassenerhalt träume. Um meinen Kopf freizubekommen, führe ich vor dem Schlafengehen die Meditation durch. Das hilft mir sehr.