Gelsenkirchen. Vor dem Spiel gegen Schalke erklärt Stefan Reuter vom FC Augsburg im Interview, warum der FCA seit zwölf Jahren in der Bundesliga spielt.

Stefan Reuter hat in seiner aktiven Karriere viel erlebt, viel gefeiert – er war Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger, fünfmal Deutscher Meister. Als Funktionär hat es den inzwischen 56 Jahre alten Reuter aber nicht nach Dortmund, München oder Turin verschlagen – seit Dezember 2012 ist er als Geschäftsführer Sport dafür verantwortlich, den FC Augsburg in der Bundesliga zu halten. Vor dem Kellerkrimi gegen den FC Schalke 04 (Samstag, 15.30 Uhr/Sky) erklärt Reuter, wie es dem FCA Jahr für Jahr gelingt, erstklassig zu bleiben.

Wenn Schalke-Legende Gerald Asamoah den FC Augsburg als Vorbild bezeichnet – wie klingt das, Herr Reuter?

Stefan Reuter: Es ist schön, so etwas zu hören. So ein Satz von einem, der so lange dabei ist, zeigt, dass erkannt wird, dass wir in Augsburg gute Arbeit machen, weil zwölf Jahre am Stück in der Ersten Liga dabei zu sein nicht selbstverständlich ist.

Asamoah hat ergänzt, dass der FCA seit Jahren gefühlt einer der ersten Abstiegskandidaten ist und trotzdem immer drinbleibt. Wie schaffen Sie das?

Reuter: Wir sind darauf vorbereitet, dass es in jeder Saison schwierige Phasen geben kann. Und es ist uns immer wieder gelungen, in solchen Phasen zusammenzustehen – Fans, Stadt, Region. Das ist der Schlüssel. Aber auch wir wollen uns weiterentwickeln. Wir haben zuletzt viel an der Infrastruktur gearbeitet. Unsere Bedingungen sind mittlerweile richtig gut. Das ruhige, stabile Umfeld ist ein Riesenvorteil.

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Seit der Saison 2015/16 stand der FC Augsburg immer auf Platz zwölf oder schlechter. Steigt da nicht die Erwartungshaltung bei Fans und Sponsoren?

Reuter: Die Menschen in Augsburg und Umgebung können unsere Situation realistisch einschätzen. Nichtsdestotrotz hätten nicht nur die Leute im Umfeld, sondern auch wir gerne mal wieder eine ruhigere Saison, in der wir früh den Klassenerhalt schaffen, um uns dann nach oben zu orientieren. Es gibt Vorbilder – eines ist in dieser Hinsicht der SC Freiburg, der es geschafft hat, mit konstanter und kontinuierlicher Arbeit erfolgreicher zu sein als wir. Auch wir wollen uns mit Konstanz und Stabilität weiterentwickeln, und dann nicht mehr immer nur Platz 14 oder 15 erreichen, sondern mal wieder um Platz zehn spielen.

Der US-Unternehmer David Blitzer hat über die „Bolt Football Holdings“ Anteile erworben – macht das viel in Ihrem Tagesgeschäft aus?

Reuter: Alles, was wir als FC Augsburg bisher erreicht haben, haben wir uns selbst erwirtschaftet.

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Im Sommer 2022 ist der FC Augsburg in die Schlagzeilen geraten – Ihr langjähriger Präsident Klaus Hofmann ist zurückgetreten, Trainer Markus Weinzierl mit großem Getöse gegangen, Sie haben Gegenwind bekommen. Was hat dieser Sommer für Ihren Verein bewirkt?

Reuter: Wir sind uns bewusst geworden, dass es in Augsburg nur funktionieren kann, wenn alle in eine Richtung gehen. Wir haben in den jüngsten beiden Transferphasen gezeigt, welchen Weg wir in der neuen Konstellation einschlagen wollen: junge, entwicklungsfähige Spieler holen, dazu einen Trainer, der mit allen Spielern im Kader intensiv arbeitet – außerdem ganz gezielt auf die eigenen Talente zu setzen. Das soll der neue Weg des FCA sein.

Wie haben Sie die Kritik empfunden? Sie sind seit 2012 im Amt.

Reuter: Man darf nicht alles an sich heranlassen, es aber auch nicht dramatisieren. Was ganz wichtig ist: Man muss sich selbst hinterfragen und überlegen, was man besser machen kann. Es ist wichtig, nicht nur das zu verwalten, was man hat, sondern immer zu überlegen, wie man sich weiterentwickeln kann.

Sie haben Trainer Enrico Maaßen von Borussia Dortmund II in die Bundesliga geholt. Sind Sie zufrieden?

Reuter: Ja. Wir spüren, dass bei ihm ein großer Ehrgeiz da ist, jeden einzelnen Spieler besser machen zu wollen, sich nicht mit dem 15. Platz zu begnügen, sondern ambitioniert zu sein.

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Augsburg ist für ihn die erste Bundesligastation. Warum sind Sie dieses Risiko eingegangen, nachdem Sie zuvor erfahrene Trainer wie Markus Weinzierl, Heiko Herrlich, Martin Schmidt hatten?

Reuter: Weil wir mit zwei jungen, hungrigen Trainern sehr erfolgreiche Jahre verlebt haben – damit meine ich zum Beispiel die erste Amtszeit von Markus Weinzierl ab 2012. Auch Manuel Baum war ein Neuling in der Bundesliga, als er 2016 kam. Im ersten Gespräch mit Enrico haben wir schon spüren können, dass auch er ehrgeizig und hungrig ist. Er hatte vorher über Jahre die Möglichkeit, sich als Trainer in Ruhe zu entwickeln, seinen Weg zu finden, auch wenn es nicht auf Bundesliga-Niveau war. Aber auch in der Dritten Liga hatte er Erfolge, die nicht so leicht zu realisieren sind.

Mit dem FC Augsburg wird vor allem ein physischer Spielstil assoziiert. Die Statistik zeigt: Keine Mannschaft bekommt mehr Karten…

Reuter: Es waren auch Karten dabei, die man nicht unbedingt hätte geben müssen. Man muss aber selbstkritisch sein und sagen: Wir haben zu viele unnötige Gelbe Karten selbst zu verantworten.

Wie nah ist der FC Augsburg am von Ihnen gewünschten Spielstil?

Reuter: Wir leben die Tugenden des FCA: sehr leidenschaftlich und engagiert zu spielen mit dem nötigen Biss. Ich bin der Meinung, dass uns das im Laufe der Saison immer mehr gelungen ist, auch attraktiv und mutig zu spielen. Wir sind nicht mehr so ausrechenbar.

Sportchef Stefan Reuter (r.) vom FC Augsburg mit Neu-Nationalspieler Mergim Berisha.
Sportchef Stefan Reuter (r.) vom FC Augsburg mit Neu-Nationalspieler Mergim Berisha. © dpa

Aus dem aktuellen Kader des FC Augsburg stechen zwei Spieler hervor – Torwart Rafal Gikiewicz und der Torjäger und neue Nationalspieler Mergim Berisha. Stehen die Beiden für das, was sie skizziert haben: Leidenschaft, Biss, spielerische Weiterentwicklung?

Reuter: Es ist unfair, nur die Beiden hervorzuheben. Sie machen natürlich auf sich aufmerksam und spielen eine gute Rolle, aber ganz viele machen es richtig gut bei uns. Jeder Einzelne trägt zum Erfolg bei. Wir benötigen den ganzen Kader.

Sehen Sie sich außerhalb der Gefahrenzone?

Reuter: Nein. Es ist eine Wahnsinnssaison. Allen Mannschaften, die unten dabei sind, ist eine positive Serie zuzutrauen. Das macht die Saison so gefährlich.

Nun geht es gegen Schalke 04. Sie sind lange im Geschäft – schmerzt es, dass Schalke so abgestürzt ist oder können Sie sich solche Sentimentalität nicht leisten?

Reuter: Ganz ehrlich: Wenn du in der Mühle drin bist, versuchst du erst einmal, alles für deinen Verein zu geben. Es ist schon so, dass die großen Klubs wie Schalke 04 dem deutschen Fußball gut tun, weil sie eine große Strahlkraft besitzen. Das wirtschaftlich vernünftige Handeln sollte aber auch bei allen Vereinen an erster Stelle stehen.

Die Schalker Führungskräfte fordern, dass das Interesse des Publikums, das sich zum Beispiel durch TV-Quoten äußert, bei der Verteilung der TV-Gelder stärker berücksichtigt wird. Eine Forderung, die sich gegen kleinere Vereine wie den FC Augsburg richtet. Wie entgegnen Sie?

Reuter: Natürlich muss darüber diskutiert werden, wie die TV-Gelder verteilt werden. Das heißt aber nicht, dass jemand automatisch mehr Geld bekommt, weil er aus der Tradition heraus viele Fans hat. Es ist schon wichtig, dass Leistung honoriert wird. Vor zwölf Jahren hat uns niemand zugetraut, so lange am Stück Bundesliga zu spielen. Darauf kann jeder in Augsburg stolz sein. Für die Verteilung gibt es viele Ansätze, die es lohnt zu diskutieren.