Gelsenkirchen. Im Umfeld von Schalke 04 wurde zuletzt schon Kritik an Frank Kramer laut. Vorstand Peter Knäbel stärkt dem Trainer im Interview aber den Rücken.
Manche Begegnungen wecken Emotionen, bevor sie gespielt werden. Für Peter Knäbel (55) ist das Bundesliga-Spiel an diesem Samstag zwischen dem FC Schalke 04 und dem VfL Bochum (18.30 Uhr/Sky) nicht nur von sportlicher, sondern auch von übergeordneter Bedeutung. Schalkes Sportvorstand debütierte einst als Bochumer Spieler in der Bundesliga. Für beide Revierklubs geht es um den Klassenerhalt.
Herr Knäbel, Sie haben für den VfL Bochum, St. Pauli und 1860 München 108 Bundesligaspiele bestritten – aber keins gegen Schalke. Wie konnte das passieren?
Peter Knäbel: (lacht) Ich konnte einfach nicht gegen Schalke sein.
Beim VfL Bochum wurden Sie Profi – kommen bei Ihnen vor dem Derby nostalgische Gefühle auf?
Knäbel: Auf Spiele gegen meine Ex-Klubs, die mich geprägt haben, freue ich mich immer etwas mehr. Für Nostalgie ist dabei kein Platz – aber natürlich für Sympathie und Respekt, was der Verein leistet. Wenn ich zum Ruhrstadion gehe, schaue ich schon, wie die Plätze heute aussehen, wie die Kabinen sind, in denen ich mich umgezogen habe. Persönliche Beziehungen gibt es auch, ich kenne Ilja Kaenzig und Co-Trainer Frank Heinemann.
Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen Schalke und dem VfL?
Knäbel: Schalke hat mehr an Tradition, Erfolgen und Dramen. Unterschiede gibt es auch in der Bedeutung für die Stadt. Ich sage nicht, dass der VfL für Bochum unwichtig ist, aber die Stadt hat ja noch zum Beispiel das Schauspielhaus, dazu etwa 100.000 Einwohner mehr als Gelsenkirchen. In der Bundesliga sind wir aktuell Konkurrenten auf Augenhöhe.
Haben Sie sich in der Planung vor einem Jahr nach dem Abstieg am VfL orientiert, der unmittelbar zuvor den Aufstieg geschafft hatte?
Knäbel: Orientiert würde ich nicht sagen, aber natürlich schaut man auf die Arbeit erfolgreicher Teams. Unsere Geschichte ist allerdings eine andere. Wir sind auf einen harten Betonboden gefallen, mussten einen unvergleichlichen Umbau vollbringen. Der VfL ist mit elf Jahren Anlauf aufgestiegen, ohne in der Aufstiegssaison Favorit gewesen zu sein. Aber der VfL hat einige Sachen ganz hervorragend gemacht, auch im ersten Bundesligajahr. Das haben wir genau betrachtet.
Sie haben beim VfL aber so genau hingeschaut, dass Sie den Trainer Thomas Reis im Sommer abwerben wollten…
Knäbel: Dazu ist genug gesagt worden.
Durch die Diskussion wurde die Position von Frank Kramer aber nicht gestärkt. Er hat ohnehin kein großes Standing bei den Fans. Ist das für Sie verständlich?
Knäbel: Wir haben mit Überzeugung unsere Auswahl getroffen, und an dieser Überzeugung hat sich nichts geändert. Dass es in der Öffentlichkeit immer unterschiedliche Stimmen gibt, ist klar, das gehört zum Geschäft. Wir machen uns davon frei.
Aber die Vorstellung, ein Heimspiel gegen Bochum verlieren zu können, dürfte für alle Schalker unerträglich sein. Dann wäre Großalarm vor dem Derby in Dortmund.
Knäbel: Da befinden wir uns im Konjunktiv. Das lasse ich nicht gelten. Ich finde, vor uns steht ein Fußballfest. Wir dürfen Gastgeber des ersten Revierduells seit unserem Abstieg sein. Ein Derby vor voller Hütte ist immer ein Meilenstein in einer Saison. Das sind magische Momente, in denen man wachsen kann. Ich würde mich freuen, wenn wir mit dem ersten Sieg nach Dortmund fahren können – und ich bin davon überzeugt, dass uns dies gelingen wird. So funktioniert meine Gedankenwelt. Ich verschwende keine Energie in Krisenmodus-Szenarien. Wir haben erst den sechsten Spieltag der Saison. Und da steigt man nicht auf oder ab, sondern erst am 34. Spieltag.
Es gab 14 externe Zugänge, 21 Abgänge im Vergleich zum Aufstiegskader. Hat sich die Mannschaft denn verbessert?
Knäbel: Eindeutig ja. Der Kader hat an Breite, an Erstliga-Erfahrung und an Variabilität gewonnen.
Aber gerade in der Verteidigung wurden mit Ko Itakura und Malick Thiaw Schlüsselspieler abgegeben.
Knäbel: Die Nachfrage kann ich verstehen. Sicherlich sind die Automatismen noch nicht so da. Was immer vergessen wird: Wir haben im Sommer auch den Trainer gewechselt. Auf der Bank müssen sich ein paar Prozesse ebenfalls noch finden. Wie im vergangenen Jahr ist der Kader gut genug, um die Saisonziele zu erreichen. Wir müssen nun mit den Spielern arbeiten, sie besser machen – so wie in der vergangenen Saison auch. Ich kann gleichzeitig verstehen, dass Fans und auch Medien sich einen Kracher-Zugang gewünscht haben.
Warum hat das nicht geklappt?
Knäbel: Für die Strategie, wie wir unser Budget benutzen, gab es zwei Möglichkeiten: Kaufen wir mit dem Geld einen oder zwei Spieler, die es dann reißen müssen, oder verbreitern wir den Kader sukzessive? Wir haben uns für die zweite Möglichkeit entschieden. Deshalb konnten wir nicht viel Geld auf eine Personalie setzen wie zum Beispiel Itakura. Dann hätten wir entweder das Budget überschritten oder Lücken im Kader aufreißen lassen, die für Rouven Schröder und sein Team schwierig zu füllen gewesen wären.
Sie haben die Transfers angesprochen: Das Stadion ist wieder ausverkauft, durch den Aufstieg gibt es höhere TV-Gelder und zusätzliche Sponsoren-Einnahmen. Und doch haben Sie einen Transferüberschuss in fast zweistelliger Millionenhöhe erwirtschaftet. Hat sich das so ergeben, oder war das eine wirtschaftliche Vorgabe?
Knäbel: Wir haben eine Finanzplanung, die langfristig auf die nächsten Jahre ausgerichtet ist und die wirtschaftliche Stabilität und Handlungsfähigkeit im Auge hat. Das ist in bester Verantwortung für den Fortbestand des Klubs passiert. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben durch den Abstieg und die Corona-Pandemie über 100 Millionen Euro an potenziellen Einnahmen verloren. In der Transferzeit gab es deshalb eine Standleitung zwischen Sport und Finanzen. Und wir haben alle Planzahlen erfüllt. Der Sport konnte sich in dem Tanzbereich, der ihm zur Verfügung stand, austoben. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden. Es sind andere Vereine schon mit weniger Geld dringeblieben. Das Wesentliche passiert sowieso während einer Saison: Werden die Spieler besser oder nicht?
Es gibt ja ein geflügeltes Wort auf Schalke, dass alle Neuzugänge hier schlechter werden…
Knäbel: Ich glaube, wir haben in der Entwicklung unseres Kaders in der Liga am meisten Luft nach oben, weil unsere Spieler am wenigsten vorher zusammengespielt haben. Das zu schaffen, dafür sind das Trainer-Team und der Staff verantwortlich. Wir haben jedes Wochenende die Möglichkeit zu sehen: Stimmt die Richtung oder nicht?
Das ist Peter Knäbel
Peter Knäbel (55), geboren in Witten, arbeitet seit April 2018 für Schalke 04, zuerst als Verantwortlicher des Nachwuchsbereiches, seit Februar 2021 als Sportvorstand. Zuvor war er Technischer Direktor beim FC Basel sowie beim Schweizer Fußballverband und Profifußball-Direktor beim Hamburger SV. Seine Stationen als Spieler: VfL Bochum, FC St. Pauli, 1. FC Saarbrücken, TSV 1860 München, FC St. Gallen, 1. FC Nürnberg, FC Winterthur.
Wie bewerten Sie den Abstiegskampf?
Knäbel: Kein Kader ist in diesem Jahr in der Bundesliga chancenlos. Das ist meiner Meinung nach eine der ausgeglichensten Bundesligen seit Jahren, wenn wir den Titelkampf außen vor lassen. Den Unterschied wird machen, welche Mannschaft sich am meisten verbessert. Es ist eine wirkliche Gelegenheit, diesen Verein wieder in der Bundesliga zu etablieren.
Sie haben schon angedeutet, dass die sogenannte „Kaderwert-Entwicklung“ ein zentraler Baustein Ihrer Arbeit ist. Wie viel Potenzial sehen Sie im aktuellen Kader?
Knäbel: Ich bin froh, dass dieser Begriff Einzug hält in die Fußballwelt. Früher hat es kaum jemanden interessiert, wie viel ein Spieler wert ist und wie sich dieser Wert entwickeln kann. Die drei Säulen einer Kaderentwicklung sind a) Spieler selbst auszubilden, b) Spieler im Kader besser zu machen oder c) Kaderwert einzukaufen. Werte einkaufen – das können wir nicht. Also müssen wir schlau sein. Ich erwarte, dass wir unsere Spieler besser machen. Bei Ko Itakura ist das gelungen, daran ändert auch sein Abgang nichts. Bei Thomas Ouwejan, der ist 25 Jahre alt, sehe ich zum Beispiel noch Luft nach oben, genauso bei Tom Krauß und weiteren talentierten Spielern in unserem Kader.
Ist die Knappenschmiede eine der wichtigsten Säulen des neuen FC Schalke 04?
Knäbel: Zu 100 Prozent.
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Aktuell ist es aber so, dass in Stuttgart kein Spieler in der Startelf stand, der in Schalkes U19 ausgebildet wurde. Ist aus der Knappenschmiede eine Verkaufsschmiede geworden?
Knäbel: War sie das nicht schon immer? Wobei der Begriff nicht ganz präzise ist: Aus der Knappenschmiede heraus sind die wenigsten direkt verkauft worden, Malick Thiaw ja auch nicht. Grundsätzlich gilt, dass die Verweildauer bei den Profis kürzer geworden ist.
Ist das der finanziellen Lage von Schalke geschuldet oder dem Markt?
Knäbel: Dem Markt. Spieler werden heute sehr viel früher entdeckt. Die Knappenschmiede hat ein international konkurrenzfähiges Budget, was Investitionen in Infrastruktur und Trainerteams betrifft. Sie hat es noch nicht im Transferbudget, kann also nicht 16-Jährige für siebenstellige Summen holen. Da würden wir gern hinkommen, doch das dauert noch.
Aber warum sind aktuell die Spieler aus der eigenen Jugend nicht da?
Knäbel: Ich rede wie ein Weinhändler von Jahrgängen. Wenn es in einem Jahrgang weniger Talente mit Profi-Potenzial gibt, weißt du das drei Jahre im Voraus. Die Frage ist: Wie gehen wir mit der Delle um? Wir wohnen in einer Stadt mit 260.000 Einwohnern – den Vereinen drumherum geht es nicht so gut wie zum Beispiel in Köln. Dort gibt es Viktoria Köln in der 3. Liga und Fortuna Köln in der Regionalliga. Früher gab es hier höherklassige Vereine wie Hassel, Erle und Horst. Heute nicht mehr. Wir zahlen über die Stiftung „Schalke hilft!“ allen Trainern im Fußballkreis ihre C-Lizenzen, damit die kleinen Vereine gute Trainer haben. Denn gute Trainer bringen gute Spieler. Es gibt Indizien, dass die nachfolgenden Jahrgänge besser sind, was nicht nur mit der U17 zu tun hat, die in diesem Jahr Deutscher Meister geworden ist.
Wäre aber Malick Thiaw früher, als es Schalke wirtschaftlich besser ging, geblieben, weil zehn Millionen Euro zu wenig gewesen wären?
Knäbel: Wieder der Konjunktiv (lacht). Die Vereine kämpfen immer früher mit immer größeren Summen um die größten Talente. Natürlich würden wir uns wünschen, Spielern dieser Kategorie und mit dem Talent eine glänzende Perspektive aufzuzeigen. Die eigenen Spieler vor dem 25. Geburtstag zu verlieren, fällt immer schwer, weil man ja eine Beziehung zu ihnen aufbaut. Jammern ist aber bei Malick verboten, weil wir sehr gut abgewogen haben, ob es der richtige Zeitpunkt und das richtige Gesamtpaket ist. Ob Malick irgendwann 25 Millionen Euro wert ist? Es ist wie mit Aktien. Man weiß nie, ob es der richtige Zeitpunkt ist, sie abzugeben.
Wie überzeugt man die besten Spieler einer Region, nicht nach Dortmund oder Bochum, sondern zu Schalke 04 zu wechseln?
Knäbel: Das Wichtigste ist: Du musst gute Trainer haben.
Das Aushängeschild der Knappenschmiede ist Norbert Elgert. Er wird sicher nicht mehr ewig U19-Trainer sein. Wie bereiten Sie sich auf den Tag X vor?
Knäbel: Wenn ich Norbert erlebe, wie vital er ist, habe ich keine Bedenken, dass er das noch ein paar Jahre macht. Ich freue mich für jeden Jahrgang, den er mitprägen kann. Und er wird sich melden, wenn er ein neues Lebenskapitel starten möchte. Wenn der Zeitpunkt kommt, brauchst du gute Alternativen. An denen arbeiten wir.
Sie haben gesagt, dass Sie den Schalkern nicht dauerhaft Abstiegskampf verkaufen können. Was wollen Sie in drei oder fünf Jahren erreicht haben?
Knäbel: Es kostet schon Überwindung zu sagen, dass es zwei Jahre lang um den Klassenerhalt geht. Aber im Pott reden wir nicht lange drumherum. Wir brauchen sicherlich einige Jahre, um sportlich wieder andere Ziele ins Auge fassen zu können. Ich hätte es auch gern anders. Das Schlimmste wäre aber, wenn ein Schalker zu mir sagt: Du hast dafür gesorgt, dass unser Verein verschwunden ist. Der Verein hat wieder eine Perspektive auf eine erfolgreiche Zukunft – die müssen wir nun nutzen.
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Vor 40 Jahren ist Schalke nach dem Wiederaufstieg direkt wieder abgestiegen. Vor diesem Horrorszenario haben viele Fans Angst.
Knäbel: Wenn man sagt, dass der Klassenerhalt das Ziel ist, dann ist klar, was einem auch blühen kann. Auch darauf sind wir vorbereitet. Wir haben für beide Fälle durch die Vertragsabschlüsse eine taugliche Basis – das heißt, dass wir in der nächsten Saison entweder mit punktuellen Verstärkungen das Ziel Klassenerhalt in der Ersten oder das Ziel Wiederaufstieg in der Zweiten Liga realisieren könnten. Ich bleibe dabei: Den Schalkern kannst du Dauer-Abstiegskampf nicht verkaufen. Du kannst ihnen aber durch gewonnene Glaubwürdigkeit einen Stufenplan aufzeigen, wie wir uns nach oben entwickeln können – und nicht nur in Form von Tabellenplätzen, sondern auch, indem wir wertvollere Spieler verpflichten können und den Kaderwert steigern.
Sind die Verträge der aktuellen Mannschaft auch für die Zweite Liga gültig?
Knäbel: Wir haben aus dem letzten Abstieg die notwendigen Lehren gezogen. Die Verträge der Spieler haben Zweitliga-Gehälter.
Sie haben gesagt, der Kaderumbau sei nach drei Transferperioden abgeschlossen.
Knäbel: Der, der nach dem Abstieg notwendig geworden war, ja. Ich meinte damit die Spieler, die wir aus der „alten“ Welt übernommen haben. All das, was jetzt da ist, haben wir geholt.
Im kommenden Sommer gibt es viele auslaufende Verträge von Leihspielern wie van den Berg oder Schwolow oder von Stammspielern wie Drexler, Terodde und Yoshida. Droht wieder ein Umbruch?
Knäbel: Der Vertragsbestand bringt egal für welchen Fall wieder die Notwendigkeit eines Umbaus mit, allerdings nicht in der Größenordnung, die wir in den vergangenen beiden Jahren erlebt haben.
Sie glauben fest an den Klassenerhalt. Warum?
Knäbel: Weil unser Trainerteam, das Expertise, Fleiß und Menschlichkeit auszeichnet, einen konkurrenzfähigen Kader so verbessert, dass er genug Mannschaften hinter sich lassen kann.