Gelsenkirchen. Zwölf Jahre spielte Andreas Müller für Schalke, drei Jahre war er Manager. Seinen Ex-Klub sieht der 59-Jährige auf einem guten Weg.

Wenn Andreas Müller (59) auf die letzten ein, zwei Jahre auf Schalke zurückblickt, sieht er „sehr viel Gutes“. Der Klub habe sich vom umstrittenen Hauptsponsor Gazprom emanzipiert, und die Führung bestehe heute ausschließlich aus Personen, die sehr realistisch seien, was Zielsetzung und Finanzierung angehe: „Peter Knäbel als Sportvorstand ist ein extrem besonnener Mensch. Rouven Schröder ist geradezu prädestiniert dafür, einen Kader zusammenzustellen, bei dem Leistung und Preis zusammenpassen“, lobt Müller. „Auch im Schalker Aufsichtsrat sitzen vernünftige Leute, die keine utopischen Ziele mehr vorgeben oder sonst irgendwelche Parolen raushauen.“

Jetzt von Vereinsseite irgendwelche Zeitpläne zu präsentieren, wäre sowieso kontraproduktiv, findet Müller: „Am wichtigsten ist es, die Erwartungen im Zaum zu halten. Dass Schalke irgendwann wieder europäisch spielen will, ist ohnehin klar.“ Die Blaupause für eine schrittweise Rückkehr ins obere Drittel der Bundesliga hat der Klub selbst geliefert: Nach dem Wiederaufstieg 1991 brauchte S04 fünf weitere Jahre, bis man auf die europäische Bühne treten durfte. Andreas Müller persönlich stellte diesen Erfolg sicher: mit seinem Kopfballtor zum 2:1-Heimsieg gegen die Bayern am 33. Spieltag der Saison 1995/96. Schalke wurde Tabellendritter und qualifizierte sich erstmals nach 19 Jahren wieder für den Uefa-Cup, den man im Jahr darauf sogar gewann. „Das war ein Meilenstein, sportlich wie finanziell“, erinnert Müller.

Andreas Müller: Schalke hat das Potenzial für eine Europa-Rückkehr

Der Vergleich zwischen damals und heute hinke jedoch, findet der gebürtige Schwabe: „In den 90er-Jahren herrschte auch nach dem Aufstieg zunächst ständig Unruhe im Verein – es gab keine Kontinuität in der Führung.“ Und auch die Begleitumstände in der Bundesliga sind andere. Der FC Bayern ist inzwischen Serienmeister, die finanziellen Unterschiede zwischen den Spitzenklubs und dem Rest der Liga werden immer größer. Inzwischen ist es undenkbar, dass ein Aufsteiger – wie 1998 der 1. FC Kaiserslautern – um die Tabellenspitze kämpft oder sogar Deutscher Meister wird.

Als Profi lief Andreas Müller zwischen 1988 und 2000 324-mal für Schalke auf (30 Tore).
Als Profi lief Andreas Müller zwischen 1988 und 2000 324-mal für Schalke auf (30 Tore). © firo

Mit Blick auf die Wucht und das enorme Potenzial von Schalke 04, hält es Andreas Müller allerdings für möglich, dass der Klub es wieder nach Europa schafft. „Man muss dem Verein natürlich Zeit geben, bis wieder eine gute Substanz vorhanden ist – auch wirtschaftlich. Schalke braucht jetzt mal drei Jahre. Dann hat man im vierten Jahr vielleicht die Schulden ein Stück weit abgebaut, sich wieder ein höheres Gehaltsbudget erarbeitet und kann damit eventuell den Europacup anpeilen.“ Müller betont die Worte „vielleicht“ und „eventuell“.

Doch auch im Erfolgsfall sei es wichtig, die betriebswirtschaftliche Bodenhaftung zu wahren, wie die Vergangenheit gelehrt habe: „Nach dem Uefa-Cup-Sieg 1997 ist Schalke nur noch dem Traum von der Schale hinterher gehechelt, das war fatal“, analysiert Müller. Zur Saison 2000/01 hatte S04-Manager Rudi Assauer ein Team zusammengestellt, das in Liga und Pokal kaum zu stoppen war. Im Mai 2001 errangen Ebbe Sand, Gerald Asamoah, Andreas Möller und Co. immerhin die Vizemeisterschaft und holten den DFB-Pokal. Auch 2005, 2007, 2010 und 2018 wurde Königsblau jeweils „Vize“. Für die Schale reichte es nie, dafür türmten sich die Schulden.

Lob für Schalke-Trainer Frank Kramer

Für die Zukunft gelte es, die Euphorie und die Fantasterei nicht wieder ins Uferlose wuchern zu lassen – weder vereinsintern noch im emotionalen Schalker Umfeld, mahnt Müller: „Nächste Saison zählt sowieso nur der Klassenerhalt. Man sollte zusehen, dass man dieses Ziel möglichst frühzeitig erreichen kann – auch mit Blick auf die weitergehenden Planungen.“ Dass Schalke für manchen Experten der Abstiegskandidat Nummer eins ist, lässt Müller kalt: „Wer hätte denn in der zurückliegenden Saison dem VfL Bochum so eine gute Platzierung zugetraut?“

Von 2006 und 2009 war Andreas Müller (rechts) Manager auf Schalke - und holte 2008 unter anderem Jefferson Farfan.
Von 2006 und 2009 war Andreas Müller (rechts) Manager auf Schalke - und holte 2008 unter anderem Jefferson Farfan. © firo

Der wichtigste Trumpf, den Schalke derzeit halte, sei der wiederbelebte Zusammenhalt zwischen Fans und Mannschaft. „Dadurch hat der Verein genau das zurückgewonnen, was ihn früher immer ausgemacht hat“, findet Müller. Auch der neue S04-Coach benötige nun die Rückendeckung des Anhangs, betont der Mann, der insgesamt 21 Jahre für Königsblau tätig war: „Ich selbst kenne Frank Kramer sehr gut aus gemeinsamen Zeiten in Hoffenheim. Dort habe ich ihn nach der Trennung von Markus Babbel zum Interimstrainer gemacht. Frank ist ein sehr guter Fachmann und bringt genau die richtige Mentalität für die Aufgabe auf Schalke mit.“

Vielleicht, hofft Andreas Müller, werde man „in zehn Jahren auf die blau-weiße Abstiegs-Saison zurückblicken und sagen: 2020/21 war der Tiefpunkt, von da an ging es wieder bergauf.“ Doch es sei noch ein weiter Weg zu meistern. „Der Verein braucht jetzt Geduld. Und Rouven Schröder wird vor allem in den ersten Jahren weiter so ein glückliches Händchen bei Transfers benötigen wie bisher.“ Noch sei Königsblau ein sehr zartes Pflänzchen, das behutsam hochgezogen werden müsse. „Aber in einigen Jahren kann Schalke wieder richtig aufblühen.“