Gelsenkirchen. Im Interview spricht Schalke-Idol Gerald Asamoah, inzwischen Leiter der Lizenzspieler-Abteilung, über seine neue Rolle und das Kabinenleben.

Zwischen zahlreichen Trainingsplätzen, mit Blick auf die Arena, kommt Gerald Asamoah (43) zum Interview. Als er 1999 zum FC Schalke 04 gekommen war, gab es das alles noch nicht. Es beginnt ein Gespräch über seine Rolle als Leiter der Lizenzspielerabteilung, die junge Generation und die Zweite Liga.

Sie haben viel erlebt mit Schalke 04, haben in Mailand, London und Barcelona gespielt. Nun mussten sie zu Punktspielen in der Zweiten Liga nach Heidenheim und Regensburg. Tut das weh?

Gerald Asamoah: Es ist schon etwas anderes, das ist klar. Ich war vorher noch nie in Regensburg und Heidenheim. Das war neu für mich.

13 Spieltage sind vorbei. Überrascht Sie die Zweite Liga?

Asamoah: Nein, ich habe ja auch selbst mal Zweite Liga gespielt…

Das ist aber lange her, zuletzt im April 2012 …

Asamoah: Ja, das stimmt, aber ich wusste trotzdem, was auf uns zukommt. Ich würde das mit meiner Situation als Manager der U23 vor einigen Jahren vergleichen. Wir sind damals von der Regionalliga in die Oberliga abgestiegen – ich habe zunächst gedacht, dass wir mit unserem Kader locker den direkten Wiederaufstieg schaffen würden. Dann habe ich aber gemerkt, dass die gegnerischen Trainer ihre Spieler gar nicht motivieren mussten. Denn die haben gesehen, wie wir mit dem großen Schalke-Mannschaftsbus angekommen sind. Und etwas ähnliches merken wir auch gerade. Alle sind heiß auf Schalke. Das müssen wir verstehen und annehmen.

Schalke-Idol Gerald Asamoah im Interview.
Schalke-Idol Gerald Asamoah im Interview. © Bernd Thissen / FUNKE Foto Services

Sie sind seit etwa acht Monaten Leiter der Lizenzspielerabteilung. Wie kommen Sie mit der Rolle zurecht?

Asamoah: Ich fühle mich sehr gut. Mir hat geholfen, dass ich im Frühjahr 2019 diese Rolle in Ansätzen schon einmal ganz kurz innehatte, als Huub Stevens Interimstrainer war. Auch der Job bei der U23 war wichtig. Jetzt ist alles noch einmal größer und umfangreicher. Ich muss nicht nur für die Jungs da sein, sondern auch sehr viel Organisatorisches klären, Entscheidungen treffen und quasi alle Abläufe und Prozesse rund um die Kabine koordinieren.

Wer sind Ihre engsten Ansprechpartner?

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Asamoah: Ich führe viele Gespräche mit Rouven Schröder, der mich dann zum Beispiel fragt, wie es in der Kabine gerade läuft. Durch meine Erfahrung als ehemaliger Profi erkenne ich sehr viel, sehe mich als Übersetzer zwischen Kabine und sportlicher Leitung. Das ist eine meiner Kernaufgaben. Mein Büro ist im Profileistungszentrum so gelegen, dass praktisch alle an mir vorbeimüssen, wenn sie z.B. in den Speiseraum gehen. Da kriegst du schnell ein Gefühl dafür, wer reden will, wen du in den Arm nehmen musst, wem es mal nicht gut geht.

Empfinden Sie durch Ihre neue Position eine andere Verantwortung?

Asamoah: Eine gute Frage. (überlegt) Als Spieler machst du dir gar keine Gedanken, lebst in einer Blase. Du stehst auf, frühstückst, trainierst, fährst nach Hause. Jetzt merke ich, wie viel Aufwand allein hinter einem Training steckt, wie viele Gedanken sich die Trainer machen. Wenn ich vor einem Heimspiel sehe, ab wann zum Beispiel die Security-Leute schon an der Arena stehen – als Spieler bist du nur im Hotel und weißt gar nicht, was für dich alles vorbereitet wird.

Lassen Sie diese Verantwortung an sich heran?

Asamoah: Natürlich haben wir den eigenen Anspruch, das, was in der vergangenen Saison passiert ist, wieder gutzumachen.

Sind Sie denn inzwischen Herr Asamoah – oder weiter „Asa“?

Asamoah: (lacht laut) Ich bin immer noch Asa. Ich fand es immer sehr komisch, wenn die Jungs aus der U23 „Herr Asamoah“ gesagt haben. Da habe ich nur geantwortet: ,Hört auf, das bin nicht ich.‘ Ralf Fährmann versucht mich ab und zu hochzunehmen und nennt mich ,Gerald‘, wie sonst nur meine Mutter. (lacht)

Müssen Sie auch mal böse werden?

Asamoah: Das kam schon vor. Bei manchen Erwartungen einiger Jungs muss ich schon sagen: Das gibt es nicht. Ich bin ein lockerer Typ, lache viel, aber die Spieler haben schon gemerkt, wie weit sie gehen dürfen.

Zum Beispiel?

Asamoah: Die langen Busfahrten zu und nach Auswärtsspielen. Ich bin jahrelang auch gern geflogen, aber die finanzielle Situation ist jetzt anders. Wenn trotzdem jemand kommt und sich beschwert, werde ich auch mal deutlicher.

Gerald Asamoah im Jahr 2008 als Schalke-Profi im Champions-League-Spiel gegen den FC Porto.
Gerald Asamoah im Jahr 2008 als Schalke-Profi im Champions-League-Spiel gegen den FC Porto. © firo

Kaum jemand steht so sehr für Schalke wie Sie. Wie würden Sie das Schalke-Gen definieren?

Asamoah: Erst einmal ist es ganz wichtig, dass jeder Spieler den Verein versteht und erkennt, dass die Stadt diesen Verein lebt. Mir hat es gutgetan, dass ich in meiner Anfangszeit in Gelsenkirchen am Nordring und später 14 Jahre in Marl gewohnt habe. Da gibt es ja auch nur Schalker. Da habe ich ein Gefühl bekommen, wie die Menschen ticken. Wenn du auf den Platz gehst und dich für die Leute zerreißt, dann akzeptieren sie dich so wie du bist. Ich war für die Schalker direkt „unser Asa“.

So schwer klingt das gar nicht.

Asamoah: Ich war nicht der überragende Spieler, der zehn Übersteiger macht. Die Fans wussten aber: Wenn Asa auf dem Platz steht, gibt der alles. Vielleicht hat nicht alles funktioniert, aber die Leute wussten: Ich bin nie mit einem sauberen Trikot vom Platz gegangen. Wenn die Jungs marschieren, sind die Fans mit wenig zufrieden. Als Victor Palsson kam, konnte er es nicht erwarten, in die VELTINS-Arena zu gehen. Er hat mich gefragt: ,Asa, was kann ich machen, dass die Fans mich lieben?‘ Ich habe geantwortet: ,Sei wie du bist. Spiel das, was du kannst, dann wirst du gut ankommen.‘

Haben die vielen neuen Spieler Schalke denn schon verstanden?

Asamoah: Die Jungs verstehen immer besser, warum der Verein so geliebt wird. Neulich habe ich Kollegen unserer Stiftung „Schalke hilft!“ zu uns eingeladen, damit sie ihre Arbeit präsentieren. Es wurde dann ein Video gezeigt – viele Spieler haben da erst einmal genau verstanden, was in Gelsenkirchen los ist. Das war emotional.

Welche Impulse haben Sie in Ihrem neuen Posten gesetzt?

Asamoah: Wir haben versucht herauszufinden, was in den vergangenen Jahren nicht gut war und was wir verbessern müssen. Ein Input von mir war: Wie du eine Kabine hinterlässt, das zeigt, wie eine Mannschaft tickt. Wir können nicht als großes Schalke nach Heidenheim fahren und dann auf dem Kabinenboden Müll wie Tapebänder hinterlassen. Ein weiterer Punkt, der sich einfach anhört, aber große Wirkung hat: Wir haben auch unsere Parkplatzordnung in Gelsenkirchen geändert. Früher durfte jeder parken, wo er will. Jetzt hat jeder seine Nummer. Du musst es dir verdienen, irgendwann mal auf der „1“ zu parken.

Haben Sie sich das aus der eigenen Karriere abgeschaut?

Asamoah: Nein. Früher gab es eine stärkere Hierarchie in den Mannschaften, da kam das automatisch. Wenn ich als junger Spieler die Kabine betreten habe und Jiri Nemec saß schon dort, dann habe ich aus Respekt Abstand gehalten. Lag ich auf der Massagebank und ein erfahrener Spieler kam, bin ich aufgestanden. Die junge Generation heute ist anders. So etwas muss man jetzt ansagen. Wir haben vor kurzem festgelegt, dass die jungen Spieler dafür sorgen, dass Wasser im Kühlschrank ist – für mich eigentlich ein Automatismus. Wir haben auch die Sitzordnung in der Kabine geändert – junge sitzen neben alten Spielern.

Gerald Asamoah (rechts) im Gespräche mit Reporter Andreas Ernst.
Gerald Asamoah (rechts) im Gespräche mit Reporter Andreas Ernst. © Bernd Thissen / FUNKE Foto Services

Warum?

Asamoah: Damit Simon Terodde, 33, zum Beispiel Marvin Pieringer, 22, ein paar Sachen mitgibt. Damit die Jungen nicht immer nur mit dem Handy in der Kabine sitzen.

Trainieren Sie selbst auch mal mit?

Asamoah: Ich laufe manchmal mit den Jungs aus. Hin und wieder überlege ich mal, ob ich Fußballschuhe anziehen soll, aber dann denke ich: Vielleicht trittst du ja einen um… (lacht)

Sie haben das Abstiegsjahr mitgemacht, kamen drei Monate vor Saisonende. Lässt sie eine vergleichsweise kleine Negativserie mit drei Niederlagen in Folge kalt?

Asamoah: Nein, das tut sehr weh. Wir hatten vorher vier Spiele in Folge gewonnen. An Niederlagen muss man sich erst einmal wieder „gewöhnen“ – weil man das Gefühl als Sportler nicht erleben möchte. Die drei Monate in der Abstiegssaison waren für mich sehr lehrreich. Ich bin danach anders an die Aufgabe herangegangen. Wir brauchten neue Typen in der Kabine. Typen, die wissen, für was für einen Verein sie spielen.

Es gab viele Trainer in den vergangenen Jahren. Stimmt es aktuell zwischen Trainer Dimitrios Grammozis und der Mannschaft?

Asamoah: Nach meinem Empfinden, und ich bin jeden Tag in der Kabine, ist zwischen Trainer und Jungs alles in Ordnung.

Im Vergleich zum Abstiegsjahr ist eine entscheidende Sache anders: Die Fans sind zurück. Es gibt die Hypothese, mit Fans im Stadion wäre Schalke nicht abgestiegen. Wie sehen Sie das?

Asamoah: Ich glaube, mit den Fans wären wir zumindest nicht so sang- und klanglos abgestiegen. Ob wir dringeblieben wären, weiß ich nicht. Aber wir hätten mehr Punkte geholt und es wäre spannender geworden. Du siehst doch jetzt, wie gut die Fans dem Verein tun. Als gegen Darmstadt kurz vor Schluss das 2:3 fiel, saß ich auf der Bank und habe mich gefragt: Wie laut ist das? Was passiert hier?

Nach so vielen Jahren auch als Spieler begeistert Sie das immer noch?

Asamoah: Ja klar. Wenn du als Spieler auf dem Platz stehst, nimmst du viele Sachen nicht wahr. Auf der Bank war das Gänsehaut pur.

Ist die Bindung zwischen Spielern und Fans auf Schalke anders als bei anderen Vereinen?

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Asamoah: Ja, das denke ich schon. Egal wo ich bin, irgendwo ist immer ein Schalker. Dann höre ich „Hey Asa“ hier, oder „Blondie“ dort. (grinst) Schalker sind überall.

Seit Sie 1999 von Hannover zu Schalke 04 wechselten, hat sich allein auf dem Vereinsgelände viel verändert.

Asamoah: Damals gab es das Parkstadion, dazu noch einen Rasen- und einen Ascheplatz. Wenn es richtig geschneit hat, mussten wir auf Asche ausweichen. Ich werde nie vergessen, als ich einmal Emile Mpenza umgetreten habe – der hatte sein ganzes Bein aufgeschürft… Wenn ich den Jungs heute erzähle, dass ich hier noch auf Asche trainiert habe, dann glauben die das nicht. Für uns war das normal.

Und wenn sie jetzt das Gelände aus der oberen Etage der Geschäftsstelle überblicken und so viele Plätze sehen?

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Asamoah: Was für ein Bild! Man sieht, wie der Verein sich entwickelt hat. Das finde ich genial. Schalke ist ein Riesenverein, gibt Gelsenkirchen viele Arbeitsplätze. Früher kannte ich alle auf der Geschäftsstelle. Als es die Arena noch nicht gab, sind wir nach den Spielen vom Parkstadion gemeinsam mit den Fans zur Geschäftsstelle gelaufen. Dort saßen unsere Frauen und es gab das Mannschaftsessen. Hast du schlecht gespielt, haben dir die Fans direkt die Meinung gesagt.

Die aktuelle Realität ist die Zweite Liga. Wie blicken Sie in die Zukunft von Schalke?

Asamoah: Ich bin guter Dinge, auch wegen der Menschen, die über mir die Verantwortung tragen. Die brennen für den Verein. Ich frage Peter Knäbel häufig, wann er überhaupt schläft. Um 1 Uhr nachts bekommst du eine Mail, um 6 Uhr morgens schon wieder eine SMS. Und ich ziehe den Hut davor, was Rouven Schröder hier bisher geleistet hat. Er musste so viele Spieler transferieren, das ist beinahe unglaublich. Wir haben eine Mannschaft, die den Verein verkörpert.

Ist in Ihrem Hinterkopf, dass Schalke auch mal wieder in Mailand, London und Barcelona spielt oder darf man diese Gedanken nicht haben, wenn es gerade nach Heidenheim und Regensburg ging?

Asamoah: Wir hoffen, dass wir in den nächsten Jahren wieder in die Erste Liga kommen und uns wieder etablieren. Danach kann man sich wieder andere Ziele setzen, aktuell zählt nur das Spiel gegen Werder Bremen.