Gelsenkirchen/Marseille. . Eine Überraschung ist es nicht mehr, dass Amine Harit von Schalke nach Marseille wechselt. Er ist aber der Letzte der Top-Verdiener, der geht.
Mit viel Verspätung ist der letzte Abgang des Zweitligisten FC Schalke 04 in der Sommer-Transferperiode perfekt: Knapp anderthalb Tage, nachdem fast überall in Europa die Transferfenster schlossen, waren endlich alle Formulare unterzeichnet: Amine Harit (24) wechselt für ein Jahr auf Leihbasis zum französischen Spitzenklub Olympique Marseille. Eine Kaufoption ist nicht vereinbart. Warum es so lange dauerte? Hier ist die Chronik des Kaugummi-Transfers.
Die Vorgeschichte: Im Juli 2017 war Amine Harit vom FC Nantes zu Schalke 04 gewechselt, erlebte in den vier Jahren danach viele Höhen und Tiefen - 19 Tore erzielte er in 119 Pflichtspielen. Er wurde Vizemeister und "Rookie des Jahres" in der Bundesliga (2017/18), er spielte mit Schalke Champions League (2018/19). Wegen etlicher Eskapaden wurde er aber zweimal suspendiert, zuletzt im September 2020 von Trainer Manuel Baum. In seiner Heimat Marokko war er im Sommer 2018 an einem Unfall mit Todesfolge beteiligt. Den Abstieg in der Saison 2020/21 konnte er nicht verhindern. Nach dem 0:1 beim 1. FC Köln am letzten Spieltag vergoss er bittere Tränen. Doch sein Berater teilt Schalke mit: In der 2. Bundesliga sieht sich der kleine Spielmacher nicht. Die Königsblauen suggerieren: Harit für viel Geld zu verkaufen, das werde kein Problem sein.
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17. Juni - Trainingsauftakt: 35 Grad im Schatten bringen 500 Fans im Parkstadion zum Schwitzen. Sie sind neugierig: Wie viele Zugänge für die Zweitliga-Saison sind schon da? Wer von den Top-Verdienern lässt sich sehen? Amine Harit ist entgegen erster Hoffnungen immer noch da, aber an diesem Sommertag nicht zu sehen. Schwänzt er? Nein, versichern die Schalker. Die Leistungs- und Coronatests hat er mitgemacht. Muskuläre Probleme würden ihn am Training hindern. Auch an der Autogrammstunde könne er nicht teilnehmen.
29. Juni - Trainingslager-Start: Schalkes Profis reisen für zwölf Tage nach Mittersill in Österreich. Zum Kader in den malerischen Kitzbüheler Alpen gehören auch einige, die noch gehen sollen. So wie Omar Mascarell, Matija Nastasic und: Amine Harit. Direkt nach der Ankunft in Mittersill bekommt er Zahnschmerzen und muss zum Arzt. Der verordnet eine kurze Trainingspause. Angebote für ihn gibt es noch nicht. Dabei soll er Schalke mehrere Millionen Euro bringen.
8. Juli - Trainingslager: Von Trainer Dimitrios Grammozis und Sportdirektor Rouven Schröder gibt es für Harit, der sich in der Vergangenheit nicht nur einen Aussetzer erlaubte, nur Lob. Vorbildlich würde er sich in der Kabine verhalten. Am 8. Juli dann eine Schrecksekunde: Nach einem Torschuss hält er sich die linke Wade und muss das Training abbrechen. Eine schwere Verletzung wäre der GAU für Schalke. "Amine, alles okay?", fragt Gerald Asamoah, der Leiter der Lizenzspieler-Abteilung. Am Abend gibt es Entwarnung: ist nicht Schlimmes.
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9. Juli - Testspiel gegen Donezk in Mittersill: Selbst wenn Harit am 23. Juli noch auf Schalke sein sollte, wenn das erste Spiel gegen den HSV ansteht: Spielen wird er nicht. Das stellt Grammozis klar. Für den Test gegen Shakthar Donezk gilt das aber nicht. In der 64. Minute wird er eingewechselt, vergibt anschließend die größte Chance. Das Spiel endet 0:0. Trainer Grammozis wirkt etwas verzweifelt. Er weiß: Im Kampf um den Wiederaufstieg könnte Harit zum entscheidenden Mann werden. Die Chancen auf einen Verbleib liegen aber bei 0,01 Prozent.
23. Juli - Saisonstart: Schalke verliert mit 1:3 gegen den HSV, wie von Grammozis angekündigt, fehlt Harit im Kader. Nach wie vor gibt es lediglich kleinere Anfragen über Harits Berater, konkret meldet sich aber kein Verein bei Schröder mit einem diskutablen Angebote. Die Verträge mit Mark Uth und Sebastian Rudy sind inzwischen aufgelöst, Torwart Markus Schubert ist transferiert. Bei Harit passiert nichts.
27. Juli - Testspiel gegen Velbert: Schalke bestreitet ein Testspiel gegen die SSVg Velbert im Parkstadion und gewinnt 7:0. Amine Harit steuert zwei Tore bei.
31. Juli: Der erste Monat der Saison ist um. Zahltag für Harit - ein Monatsgehalt beträgt bei ihm etwa 350.000 Euro.
10. August: Es gibt neue Hoffnung. Galatasaray Istanbul, der türkische Traditionsverein, hat sich nach Harit erkundigt. Doch heiß wird diese Spur nicht. Es bleibt bei Interesse und kommt nicht zu Verhandlungen. Harit selbst hat anderes im Sinn - er sieht sich in einer großen europäischen Liga, bei einem Klub, der international spielt. Nun wird klar: Vielleicht muss er seine Ambitionen herunterschrauben. In seinem familiären Umfeld ereilen Harit zwei Trauerfälle: Sein Großvater und seine Großmutter sterben innerhalb weniger Tage. Er wird vom Training freigestellt.
17. August: Nach einigen Tagen Pause kehrt Harit ins Training zurück. Nun drängt die Zeit. Einen Plan B für eine Wiedereingliederung ins Team gebe es nicht, sagt Trainer Grammozis. Sportdirektor Schröder ist sehr optimistisch, Harit doch noch loswerden zu können. Wiederholt loben beide die Trainingseinstellung Harits. Der FC Villarreal aus Spanien ist interessiert. Konkret wird es nicht.
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28. August: Gibt es doch noch ein Happy End? Olympique Marseille hat sich bei Schalke gemeldet - wie von Harit gewünscht: ein Traditionsverein aus Frankreich. Nach etwas längeren Verhandlungen einigen sich Marseille und Schalke auf ein Leihgeschäft ohne Kaufoption. Schalke erhält eine stattliche Leihgebühr und spart Harits Restgehalt für die verbleibenden zehn Monate der Saison. Nicht das, was Schröder wollte - aber besser als nichts. Harit fliegt bereits nach Südfrankreich, wie Schröder am Rande des Zweitliga-Spiels gegen Fortuna Düsseldorf bestätigt.
29. August: Schalke ist im Freudentaumel nach dem emotionalen 3:1 über Fortuna Düsseldorf. Und Amine Harit verabschiedet sich von den S04-Fans. "So habe ich mir den Abschied nicht vorgestellt. Aber unsere Geschichte geht nun zuende. Ich kam für die meisten von euch als ein junger Fremder hierher. Aber ihr habt mich vom ersten Tag an mit offenen Armen aufgenommen. Ich habe in diesem Trikot viel gelacht und ich habe in diesem Trikot geweint", schreibt er über Instagram.
31. August: Ein guter Tag für Harit: Der zweite Monat ist um - Zahltag! Wieder gehen geschätzt etwa 350.000 Euro auf sein Konto. Und er steht bereits mit seinen neuen Teamkollegen auf dem Trainingsrasen, obwohl der Deal noch nicht unumkehrbar perfekt ist. Videoaufnahmen, die Harit im "OM"-Dress zeigen, werden in den sozialen Netzwerken nach kurzer Zeit wieder gelöscht.
Nacht vom 31. August auf 1. September: Auf einmal wackelt der Deal. Alles war ausgehandelt, als am letzten Tag der Transferperiode die französische Transfer-Aufsichtsbehörde die Zustimmung verweigert. Erst müsse "OM" noch Spieler abgeben und das Gehalt deckeln. Eilig telefonieren die Vereine mit Berater und Spieler - die Zeit ist begrenzt. Bis 0.59 Uhr am Morgen des 1. September dürfen französische Klubs noch verpflichten. Kurz vor Ablauf der Frist melden die Beteiligten Vollzug. Drei Spieler, der Ex-Dortmunder Leonardo Balerdi, Pol Lirola and Alvaro González, verzichten offenbar auf Teile ihres Gehalts, damit das Gesamtbudget passt und Harit kommen kann.
1. September: Der französische Verband tagt am Nachmittag und bespricht alle schwierigen Transfer-Fälle. Gegen 18.15 Uhr kommt für Harit, Schalke und Marseille die Erlösung: genehmigt. Eine offizielle Verkündung wird aber erst für den Folgetag angekündigt. Harit hängt weiter in der Warteschleife.
2. September: Der Transfer ist perfekt. 77 Tage nach dem Trainingsauftakt verlässt Harit Schalke 04. Als letzter der Top-Verdiener.