Gelsenkirchen. Das Zweitliga-Spiel zwischen Schalke 04 und dem FC Erzgebirge Aue ist auch das Treffen der berühmtesten Bergarbeiter-Vereine Deutschlands.
Wenn Schalke am Freitag (18.30 Uhr/Sky) den FC Erzgebirge Aue empfängt, schlägt das Herz von Klaus Herzmanatus noch höher als sonst bei Heimspielen seiner Knappen. Das mag zum einen daran liegen, dass die Partie absolut richtungsweisend ist für den weiteren Saisonverlauf. Zum anderen freut sich der 60-jährige Chef des „Kleinen (Bergbau-)Museums“ in Gelsenkirchen-Buer auf das historisch erste Pflichtspiel „dieser zwei so stark vom Bergbau geprägten Vereine“ (Herzmanatus).
Die 1000 Gäste-Fans bekommen in der Veltins-Arena durchaus vertraute Klänge zu hören: „Beide Klubs spielen traditionell das Steigerlied im Stadion“, weiß Ex-Bergmann Herzmanatus, den es als Gewerkschafter einst nach Aue verschlug: „Das war rund um den Mauerfall. Damals habe ich die dortigen Betriebsräte geschult. Während meiner vier Wochen in Aue bin ich sogar in den tiefsten Schacht der Region eingefahren, auf rund 1.500 Meter.“
Die Mentalität ist vergleichbar mit dem Ruhrgebiet
Auch wenn im Erzgebirge keine Steinkohle, sondern radioaktives Uran abgebaut wurde: Die Mentalität der Menschen dort sei vergleichbar mit jener im Ruhrgebiet, findet Herzmanatus: „Hüben wie drüben leben Kumpel und Malocher. Die Identifikation mit der Region und dem Bergbau ist hoch, ebenso die Fußballbegeisterung.“
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Da mag es kaum verwundern, dass der FC Erzgebirge Aue, der zu DDR-Zeiten lange BSG Wismut Aue hieß, als „Schalke des Ostens“ gilt. So steht es sogar im offiziellen Leitbild des Vereins zu lesen. Die Auer Mittelfeld-Legende Holger Erler (359 DDR-Oberliga-Spiele für die BSG Wismut) ist nach eigenem Bekunden „stolz auf den Vergleich mit Schalke“ – ebenso wie auf das BSG im früheren Namen seines Vereins: „Dieses Kürzel stand für ,Betriebssportgemeinschaft’ und hatte durchaus seine Berechtigung. Als Wismut-Fußballer mussten wir in den 70er- und 80er-Jahren noch richtig im Bergbau arbeiten, wenn auch nur stundenweise“, verrät der 71-Jährige. „Wir fuhren regelmäßig ein und mussten vor Ort für unsere Kumpel aufräumen.“
Zeitzeuge Bernd Friedrich: Auch in Aue ist der Bergbau „längst Geschichte“
Auch an den Wochenenden probten die Wismut-Kicker den produktiven Schulterschluss mit den Vollzeit-Bergleuten: „Unsere Kumpel haben uns von der Tribüne aus frenetisch angefeuert“, berichtet Erler, dessen Team einen ungleichen Kampf austragen musste: „Größere Vereine wie der Berliner FC Dynamo oder Dynamo Dresden konnten praktisch reine Profis aufbieten. Bei denen musste niemand unter der Woche arbeiten.“
Große Titel konnten die chronisch benachteiligten Auer nur in den 50ern erringen, als der Verein von der DDR-Obrigkeit zwischenzeitlich in „SC Wismut Karl-Marx-Stadt“ umbenannt und drei Mal Meister wurde (1956, 1957, 1959). Den vielleicht noch größeren Erfolg erkämpften die Fans: Per Streikandrohung verhinderten sie den drohenden Umzug des Vereins nach Karl-Marx-Stadt (heutiges Chemnitz).
Die Popularität der „Veilchen“ ist bis heute ungebrochen. Schalke-Fan Klaus Herzmanatus bewundert die Bodenständigkeit des FC Erzgebirge Aue: „Dieser Verein ist sehr stark mit seinen bergmännischen Wurzeln verbunden, vielleicht noch stärker als der FC Schalke 04 zuletzt.“ Dabei sei der Bergbau auch in Aue „längst Geschichte“, betont Bernd Friedrich, langjähriger Chronist des FC Erzgebirge: „Heute findet hier nur noch die Sanierung der alten Schachtanlagen statt. Abgebaut wird nichts mehr, auch die Halden von einst sind verschwunden.“
Rückbesinnung auf die Malocher-Tradition
Wehmut kommt bei Friedrich nur bedingt auf: „Man darf nicht vergessen, dass der Uran-Abbau hier viele gesundheitliche Schäden verursacht hat.“ Dennoch singen die Fans im Erzgebirgsstadion bis heute Lieder, die an die Bergbau-Tradition erinnern. Eines davon geht so: „Zwei gekreuzte Hämmer und ein großes W – das ist Wismut Aue, uns’re BSG ...“
Währenddessen verzeichnet Knappen-Fan Herzmanatus auch auf Schalke einen Trend zur Rückbesinnung. „Wir kommen langsam wieder dahin, ein richtiger Kumpel- und Malocher-Klub zu sein“, sagt der gebürtige Gelsenkirchener, der in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche S04-Stars wie Raúl oder Ebbe Sand durch sein „Kleines Museum“ geführt hat: „In den letzten Jahren war der Verein allein schon in Sachen Gehälter weit von seiner Basis entrückt. Vielleicht ist die 2. Liga, in der ja alles etwas kleiner ist, eine gute Gelegenheit, sich seiner Wurzeln zu erinnern. Dazu tragen natürlich auch Leute wie Co-Trainer Mike Büskens bei, der die Schalker Historie total verinnerlicht hat.“
Auch zu DDR-Zeiten blickte man in Aue zu den Schalker Knappen
Auch Aues Fußball-Ikone Holger Erler verfolgt die Entwicklung bei S04 mit Interesse. „Schon zu DDR-Zeiten haben wir stets geguckt, wie es den Knappen erging. Schließlich gibt es zwischen beiden Vereinen eine besondere Verbindung, die weit über Fußball hinausgeht“, sagt der heutige Auer Stadtrat.
Anfang der 90er-Jahre etwa überließ S04 den Erzgebirglern die ausrangierte Anzeigetafel aus dem Parkstadion. 2003 (während eines Schalker Trainingslagers in Sachsen) und 2018 (anlässlich des Wechsels von Domenico Tedesco vom FC Erzgebirge zum FC Schalke) gastierte Königsblau zu Freundschaftsspielen bei den „Veilchen“. Das erste Duell gewann S04 1:0 (Tor: Sand), bei der „Revanche“ siegten die Auer 1:0.
Nun steigt das erste Pflichtspiel zwischen diesen Klubs, die geografisch weit voneinander entfernt sind und sich doch so nahe stehen. „Wenn vor dem Anpfiff das Steigerlied ertönt, krieg’ ich todsicher eine Gänsehaut“, gesteht Holger Erler.