Gelsenkirchen. Nachfrage bei zehn Gelsenkirchener Sportvereinen zeigt: Die Identifikation mit Schalke bröckelt, die Befürchtung eines Total-Absturzes ist groß.

Nach einer monatelangen Talfahrt ist der Abstieg für Bundesliga-Schlusslicht Schalke 04 so gut wie besiegelt. Viele Fans der Königsblauen sorgen sich um die Zukunft des Traditionsklubs. Auch die Gelsenkirchener Sportwelt ist skeptisch und zum Teil tief enttäuscht. Bei der Umfrage unserer Redaktion unter Trainerinnen, Trainern und Aktiven von diversen Sportvereinen sieht die Zukunft für die Königsblauen ziemlich düster aus.

Ein Stimmungsbild, aufgezeichnet von Thomas Tartemann und Andreas Artz.

Schalke 04: „Der Verein braucht Menschen, die Bock auf Schalke haben“

Tom Wierzoch, Spieler im Pétanque Club Balistique, Schalke-Mitglied und Dauerkarteninhaber: „Für die Stadt tut es mir besonders leid. Wenn ich daran denke, was hier an einem Spieltag los ist, die Anspannung ist überall zu spüren. Die ganze Stadt steht hinter dem Verein. Eigentlich sind das beste Voraussetzungen, aber man hat mit dem Geld aus Transfers und Champions League die falschen Leute geholt. Auch im Aufsichtsrat haben zu viele die Augen zugemacht.

Der Verein braucht jetzt Menschen, die Bock auf Schalke haben und etwas aufbauen wollen. Wie schwierig der direkte Wiederaufstieg ist, zeigt sich aber gerade beim Hamburger SV. Ich sehe deshalb die Gefahr, dass Schalke mit dem wenigen Geld, das zur Verfügung steht, eine Mannschaft aufbaut, die nur Mittelmaß in der zweiten Liga ist. Dann frage ich mich, ob sich der Verein ein zweites Jahr in dieser Liga erlauben kann.“

Trabertrainer Oppoli: „Schalke stand früher noch für ganz andere Werte“

Der Trabertrainer und Trabsport-Legende Ralf Oppoli steht mit seiner Traberstute Brionis First Lady auf der Trabrennbahn Gelsenkirchen.
Der Trabertrainer und Trabsport-Legende Ralf Oppoli steht mit seiner Traberstute Brionis First Lady auf der Trabrennbahn Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Ralf Oppoli, Trabertrainer am Nienhausen Busch, dazu S04-Dauerkartenbesitzer: Ich war viele Jahre Schalke-Mitglied, bin aber vor ein paar Monaten wegen der entlassenen Knappenschmiede-Fahrer ausgetreten. Schalke stand früher noch für ganz andere Werte, das fehlt mir heute. Der Verein hat sich von seinen normalen Fans entfernt.

Ich habe noch ein Kindheitsfoto aus dem Jahr 1974. Damals stand ich neben Trainer Ivica Horvath an der Trainerbank beim Heimspiel gegen Hertha BSC. Das wäre ja heute undenkbar. Ich habe diese Saison vielleicht drei Spiele über 90 Minuten gesehen und merke einfach: Die Distanz wird immer größer. Bei dem ganzen Negativen, was da so abläuft, denke ich manchmal: Irgendwann gibt es einen Knall und Comedy-Mann Stefan Raab kommt aus einem Kostüm heraus. Ich glaube nicht, dass Schalke sich in der 2. Liga bekrabbelt.“

Zurhausen: „Die Spieler und Trainer haben das Debakel zu verantworten“

Michael Zurhausen, Präsident des RC Olympia Buer: Das Debakel haben in erster Linie Spieler und Trainerstab zu verantworten. Es wäre mal interessant, wenn Schalke die Fitnessdaten seiner Spieler veröffentlichen würde – natürlich, ohne Namen zu nennen. Wenn ich sehe, dass Profis, die rund drei Millionen Euro pro Jahr verdienen, nach 70 Minuten mit Krämpfen auf dem Rasen liegen, dann fehlt mir dafür jegliches Verständnis.

Wenn Schalke es nicht hinbekommt, eine vernünftige Mannschaft aufzustellen, die ordentlich trainiert und fit ist, sehe ich wenig Chancen auf Besserung. Strukturell muss da einiges passieren, um den Verein wieder nach oben zu bringen.“

Hockeytrainer Hebel: Sobald der Name Schalke fällt, weiß jeder Bescheid

Sascha Hebel, Jugendwart und Jugendtrainer beim Buerschen HC: Ich bin zwar kein Schalke-Fan, aber natürlich berührt mich das, was bei den Königsblauen vorgeht. Ich denke beim Abstieg vor allem an die vielen Arbeitsplätze, die auf der Kippe stehen. Da hängt eine Menge dran.

Wenn man im Ausland ist und sagt, dass man aus Gelsenkirchen kommt, können da wenige etwas mit anfangen. Sobald aber der Name Schalke fällt, weiß jeder, was los ist. Schalke ist ein großes Aushängeschild für Gelsenkirchen.“

Volleyballtrainer Hemforth erinnert sich gerne an die Zeiten in der Glückaufkampfbahn

Volleyball-Oberliga-Trainer Gerd Hemforth vom TC Gelsenkirchen will auch in der 2. Liga in die Arena gehen – wenn wieder Zuschauer zugelassen sind.
Volleyball-Oberliga-Trainer Gerd Hemforth vom TC Gelsenkirchen will auch in der 2. Liga in die Arena gehen – wenn wieder Zuschauer zugelassen sind. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Gerd Hemforth, Frauen-Volleyballtrainer des TC Gelsenkirchen, S04-Dauerkartenbesitzer: Die Bundesliga ist ein Wohlfühlbecken, die 2. Liga wird ein Haifischbecken. Darauf muss sich Schalke einstellen. Ich rechne damit, dass Schalke drei bis fünf Jahre unten bleiben wird. Um sofort wieder aufzusteigen, muss mit einer komplett neu zusammengestellten Mannschaft alles passen. Das wird schwierig.

Als Kind war ich früher bei den Schalker Heimspielen in der Glückaufkampfbahn. Wenn ein älterer Herr seinen Eintritt bezahlt hatte, habe ich hinterhergerufen: Opa warte! Dann bin ich schnell ohne Karte hinterher. Wir haben mit der Familie jetzt drei Schalke-Dauerkarten und werden sie auch in der 2. Liga nutzen. Insgesamt bin ich sehr zwiegespalten. Gerne würde ich die Zukunft blau-weiß sehen, aber sie ist eher schwarz.“

Boxtrainer Wendt: 1860 und Kaiserslautern als warnendes Beispiel

Andreas Wendt, Boxtrainer von Rot-Weiß Buer: Ich war früher Schalke-Fan ohne Ende und bin mit Kumpels auch zu weiten Auswärtsspielen wie nach Schweinfurt gefahren. Beim legendären 6:6 im DFB-Pokal gegen die Bayern war ich live im Stadion. Meine Mitgliedschaft habe ich aber schon vor Jahren gekündigt, weil ich kein Fan des ehemaligen Managers Rudi Assauer war.

Auch durch Corona habe ich mich jetzt immer weiter vom Fußball entfernt. Beim Thema Abstieg bin ich deswegen relativ relaxed. Es hat sich ja ohnehin abgezeichnet. Und wenn ich mir so die Fitness der Profis ansehe, dann fehlen mir teilweise die Worte. Gegen Mainz lagen viele Spieler mit Krämpfen auf dem Boden. Ich denke, dass es schwierig wird, gute Spieler nach Schalke zu holen.

Dass der S04 oben mitspielen wird, kann ich mir nicht vorstellen. Wenn es für sie ganz schlecht läuft, dann werden sie nach unten durchgereicht. Als Beispiele kann man den 1. FC Kaiserslautern und 1860 München anführen. Das waren mal starke Bundesligisten. Heute sind sie in der Versenkung verschwunden.“

Fußballtrainer Inal: „Gelsenkirchen wurde durch Spiele gegen Real Madrid weltbekannt“

YEG-Hassel-Trainer Ahmet Inal.
YEG-Hassel-Trainer Ahmet Inal. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Ahmet Inal, Trainer Fußball-Westfalenligist YEG Hassel: Das ist ein riesiger Verlust für die Stadt. Ich weiß noch, als ich vor ein paar Jahren beim Champions-League-Spiel gegen Real Madrid in der Arena war. Gelsenkirchen wird durch solche Spiele weltbekannt. Ich finde, dass das 0:8 zum Saisonstart bei den Bayern der Knackpunkt für Schalke war. Natürlich kann man da verlieren, aber nicht so.

Vom ersten Spieltag an hat das Komplettpaket nicht gepasst: Es gab zu viel Unruhe durch Trainerwechsel und Suspendierungen. Hinzu kommt, dass die Fans gefehlt haben. Gerade Schalke holt durch sie oft noch die letzten Prozentpunkte heraus. Jetzt muss der Verein die Fehler erkennen und an den richtigen Schrauben drehen. Dann könnte der Abstieg sogar guttun. Langfristig muss Schalker aber wieder hoch, dafür ist der Verein zu groß.“

Turnerin Leister: Auch für Nicht-Fans ist Schalke ein großes Thema

Anna Leister, Turn-Trainerin beim BC Erle 49: „Ich bin zwar kein Fußball-Fan, aber ich bekomme es natürlich am Rande mit, wenn mein Freund und meine Familie Schalke gucken. Das ist ein großes Thema, darüber wird viel gesprochen.

Ich finde die Entwicklung auf Schalke schade und könnte mir vorstellen, dass das Interesse am Verein weniger wird. Aber ich kenne es seit ich klein bin, dass Schalke-Spiele in der Familie immer ein wichtiger Termin sind und alles darum herum geplant wird. Gemeinsam Schalke zu gucken und darüber zu diskutieren, gibt ja auch ein Gefühl von Verbundenheit. Es wäre merkwürdig und traurig, wenn das plötzlich verloren ginge.“

Darts-Spieler Sven Hilling: Identifikation mit dem Team fast bei Null

Sven Hilling glaubt, dass nach Corona wieder viele Leute ins Stadion gehen werden.
Sven Hilling glaubt, dass nach Corona wieder viele Leute ins Stadion gehen werden. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Sven Hilling, Spieler der Sons of Darts: Wenn ich Zeit habe, schalte ich noch zu den Spielen ein und lasse das über mich ergehen. Aber es wird immer weniger. Meine Identifikation mit dieser Truppe ist fast bei Null angekommen. Die Spieler erwecken nicht den Eindruck, dass die Krise sie persönlich berühren würde. Im Gegenteil: Die machen nicht mal Dienst nach Vorschrift. Mit dem Verein identifiziere ich mich aber weiterhin. Schalke ist schließlich mehr als die Mannschaft.

Ich denke auch, dass sich für die Sportstadt Gelsenkirchen nicht viel ändern wird. Schalke wird weiterhin ein Thema bleiben und auch die Stadien werden wieder voll sein, sobald es Corona zulässt. Die meisten Fans werden Schalke nicht den Rücken zukehren, obwohl zuletzt von der Personal- bis zur Finanzpolitik vieles nicht gepasst hat.“

Luftgewehr-Trainer Pawelke: Ein Bundesligist weniger

Frank Pawelke, Trainer von Luftgewehr-Bundesligist BSV Buer-Bülse (lebt in Paderborn): Schalke fehlt das, was das Ruhrgebiet eigentlich ausmacht: die Typen. Du brauchst in Gelsenkirchen Menschen, die für den Verein brennen. Davon gibt es auf Schalke momentan nur sehr wenige. Da frage ich mich: Wer plant das so und worauf wird da Wert gelegt?

Für Gelsenkirchen ist Schalkes Abstieg ein herber Verlust, weil die Stadt im Sport sonst nicht viel zu bieten hat. Neben Schalke gibt es nur zwei Erstligavereine, einen Billardklub und uns. Schalke ist Gelsenkirchens Aushängeschild und das geht gerade verloren. Es traurig für die Fans und die Stadt, dass dieser Verein so heruntergewirtschaftet wurde. Das geht auch mir als Paderborn-Fan nahe. Auf das Auswärtsspiel in der nächsten Saison freue ich mich aber trotzdem, ich fahre gerne nächstes Jahr nach Schalke.